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Sport und Humor begleiten Luca Tavasci durchs Leben

23.08.2019
von Tina Spichtig

Er ist paralympischer Langläufer, ein Ingenieurstudent durch und durch und immer für einen kleinen Scherz aufgelegt. Luca Tavasci sprüht vor Energie und Elan, obwohl er einen schweren Rucksack mit sich trägt. Der 25-Jährige über seine fehlende linke Hand, den besiegten Lymphdrüsenkrebs und den Traum, eine Medaille an den Paralympics zu gewinnen. 

Pünktlich um 14 Uhr wartet Luca Tavasci vor dem verabredeten Café neben dem Bahnhof in Chur. Später verrät er, dass dies nicht immer der Fall sei: «Oft komme ich fünf bis zehn Minuten zu spät. Ausser, wenn es mir sehr wichtig ist.» Dass es sich hierbei um einen nationalen Spitzensportler handelt, haben sein professioneller Sportrucksack und seine Socken mit aufgestickten Schweizerkreuzen verraten. Doch er setzt nicht nur auf Sport: Der Bauingenieur-Student hat am Morgen des Interviews seine Bachelorarbeit abgegeben. Auf die Frage, ob alles gut gegangen sei, entgegnet er schmunzelnd: «Die Abgabe an sich, ja.» Doch sieht er auch dem Bestehen der Arbeit positiv entgegen. Gefeiert werde heute Abend aber nicht: «Ich steige lieber aufs Bike!»

Ich habe ja keine Lähmung im Arm, mir fehlt dumm gesagt ja nur eine Hand.

«Mir fehlt ja nur eine Hand»

Dass ihm körperlich etwas fehlt, fällt während des Gesprächs nicht auf. Er habe schon die Erfahrung gemacht, dass es Leute erst nach dem zweiten oder dritten Treffen bemerkt haben. Die sogenannte Aplasie der linken Hand begleitet ihn seit seiner Geburt. Auf die Frage, ob er gewisse Tricks im Alltag hat, antwortet er: «Sehr wahrscheinlich schon. Aber da ich so geboren wurde, merke ich das gar nicht. Es ist für mich normal. Beim Mountainbiken habe ich jedoch eine spezielle Abstützung.» Obwohl der Langläufer sehr gerne mit dem ÖV reist, nimmt er für die Wettkämpfe das Auto. «Wenn ich viel Gepäck mitnehmen muss, bin ich im Zug doch etwas eingeschränkt.» Während des Langlaufens fühlt sich Luca Tavasci jedoch keineswegs so. Der linke Arm komme einfach mit der natürlichen Bewegung mit. Dieser gebe ihm auch ohne Stock Schwung. «Ich habe ja keine Lähmung im Arm, mir fehlt dumm gesagt ja nur eine Hand.» Trotzdem muss der Leistungssportler seine Muskulatur mit Übungen ausgleichen. Dabei sei ein gutes Rumpftraining sehr wichtig. «Eine gewisse Dysbalance ist immer da, aber diese versuche ich, möglichst in Grenzen zu halten.»

In seinem ganzen Leben musste er sich glücklicherweise
noch nie mit diskriminierenden Äusserungen anderer herumschlagen. Es sei unbezahlbar,
ein tolles Umfeld zu haben, dank dem er nie in solche Situationen komme. Für
Luca Tavasci hat jeder Mensch – mit oder ohne Behinderung – mit Dingen im Leben
zu kämpfen: «Ob man es einem Menschen direkt ansieht oder nicht, jeder trägt
seinen Rucksack mit irgendwelchen ‹inneren Kämpfen› mit sich. Entweder ist
dieser Rucksack einfach sichtbar oder durchsichtig. Im Leben sollte man jeder
Person mit Respekt gegenüberstehen.»

Ein bisschen Witz muss sein

Eigentlich sehe er keine besonderen Vor- oder Nachteile der Aplasie. Schelmisch erzählt der 25-Jährige: «Ich muss beim Langlaufen mit nur einem Stock und nicht mit zwei unterwegs sein. Zudem kann ich im Rennen viel besser rechts überholen als die anderen.» Ab und zu ein kleinesSpässchen darüber zu machen, tue auch gut.

Ob man es einem Menschen direkt ansieht oder nicht, jeder trägt seinen Rucksack mit irgendwelchen ‹inneren Kämpfen› mit sich.

Wie der Sport zum Lebenselixier wurde

Früher sei er unsportlich und fast schon pummelig gewesen. Kaum vorzustellen, wenn man den heute so durchtrainierten Spitzensportler sieht. Als er klein war, habe er es geliebt, beim Grossvater auf dem Bauernhof mitzuhelfen. Als dieser starb, fiel das leider nach und nach weg. Erst als der Bündner ins Gymnasium in seinem Heimatort Samedan ging, entdeckte er dank seiner sehr sportlichen Klasse die Bewegung für sich. «Die Lehrer und Mitschüler haben mich immer ermuntert, in der Freizeit mehr Sport zu machen. In der vierten Klasse des Gymnasiums haben mich dann das Fahrradfahren und Langlaufen gepackt. Heute könnte ich es mir kaum noch anders vorstellen.»

Im Winter Langlaufen, im Sommer Mountainbiken. «Ich brauche nicht viel, um glücklich zu sein. Sport zu machen, ist für mich das Grösste.» Auch wenn seine Leidenschaft zeitintensiv ist: «Dieser Aufwand gibt mir sehr viel zurück. Ich finde, neue Orte und die eigenen Grenzen zu entdecken, gehören zum Leben. Sport ist meine Leidenschaft und mein bestes Stressmanagement.» Der Bündner ist Teil von PluSport, dem Dachverband des schweizerischen Behindertensports. Derweil ist Luca Tavasci noch der einzige Langläufer der Schweiz. «Ich trainiere im Engadin mit meinem Coach. Je nachdem schliesse ich mich dem Stützpunkt im Oberengadin an, dem SAAS, manchmal trainiere ich auch lieber alleine oder mit Kollegen. Ich habe das Privileg, mir überall das herauszupicken, was für mich passt.»

Der Traum von der Paralympicsmedaille

Der Langläufer wurde im letzten Jahr zum Bündner Behindertensportler des Jahres gekürt und ist sichtlich stolz auf seine erste Teilnahme an den Winter-Paralympics letztes Jahr in Pyeongchang. «Die Spiele waren ein grosser Meilenstein für mich.» Die Top 10 hat er mit seinem 11. Rang im Sprint knapp verfehlt, doch mit seiner Leistung war er mehr als zufrieden. «Viele denken, dass die Paralympics ein tieferes Niveau wie die normalen Olympischen Spiele haben. Doch das stimmt nicht. Auch wir müssen hart trainieren und die Konkurrenz ist gross.» Der Ehrgeiz ist dabei förmlich zu spüren: «Ein Traum von mir ist es, an den Paralympics eine Medaille zu gewinnen.» Sein Idol ist Petter Northug, ein norwegischer Langläufer. Dieser inspiriert den Bündner besonders: «Er hat eine spezielle Persönlichkeit, denn er ist ein Schlitzohr, und geht seinen eigenen Weg. Damit hat er den Langlaufsport auf seine Art ‹aufgepfeffert›.»

«Aufgeben ist keine Option»

Auf die Frage, ob er ein Lebensmotto habe, kommt schnell: «Ja, ich habe viele Lebensweisheiten. Doch eine liegt mir besonders am Herzen: Man sollte immer wieder aufstehen, wenn man hinfällt. Meine Devise lautet, niemals aufzugeben. Denn wenn man nie hinfällt, lernt man auch nicht, aufzustehen. Im Langlaufen passiert dies manchmal wortwörtlich.» Wille hin oder her, manchmal ergreifen auch ihn Zweifel. «Momentan habe ich eine längere Verletzungsphase hinter mir. Die Probleme mit der Achillessehne sind immer noch nicht ganz in Ordnung, doch ich kann wieder langsam ins normale Training einsteigen. Die ganze letzte Saison war deshalb ‹verbockt›. Bei solchen Tiefs ist es sehr wichtig, dass man die richtigen Menschen um sich herum hat. Diese können einem helfen, die Zweifel beiseite zu schieben.» Seine Mutter spende ihm in diesen Zeiten viel Kraft und halte ihn immer auf dem Boden. «Sie lässt mich in meinem Leben machen, was ich will und unterstützt mich überall.» Zudem
müsse man in solchen Momenten immer eine Relation zu anderen Menschen herstellen: «Oft merke ich dann, dass es viel schlimmere Sachen im Leben gibt.»

Diagnose Krebs

2012 erhielt Luca Tavasci kurz vor der Matura die Diagnose Lymphdrüsenkrebs. Auch zu dieser Zeit war seine Mutter eine wichtige Bezugsperson. An den Moment, als er vom Krebs erfuhr, kann er sich noch genau erinnern: «Es war an einem Abend nach dem Training. Daraufhin bin ich sofort auf das Bike gesprungen und habe zwei kleine Runden in der Natur gedreht. Es klingt komisch, aber schon damals kam der Ingenieur in mir heraus. Ich hatte ein Problem, das nun gelöst werden musste. Eine Lösung war sicherlich die Chemotherapie. Es war zum Glück eine Krebsart, die man gut kennt und weiss, wie sie zu behandeln ist. Die zweite Lösung war für mich klar: ‹Grind abe und dure›. Etwas anderes kam nicht in Frage. Auch der Sportgedanke hat mir dabei geholfen: Durchhalten und erst aufhören, wenn der Krebs besiegt ist.» Luca Tavasci bezeichnet diese Fähigkeit heute als seine Stärke: «Wenn ich etwas wirklich will, dann kann ich schon wüten. Ich werde alle Hebel in Bewegung setzen, um mein Ziel zu erreichen.» Die Stiftung Greenhope, welche krebskranken Kindern mit Sportevents diese schlimme Zeit ein kleines Stück unbeschwerter macht, hat Luca Tavascis Liebe zum Sport unterstützt, bis heute noch.

Wenn man nie hinfällt, lernt man auch nicht, aufzustehen.

Weshalb negativ, wenn es positiv geht?

Auch für das Thema Krebs hat Luca Tavasci etwas Positives übrig: «Den Krebs hatte ich zur richtigen Zeit, da ich in diesem Moment die wichtigsten Bezugspersonen und die besten Ärzte um mich herum hatte. Es war keine schöne Zeit, es war sogar sehr schwierig. Aber es war und ist heute noch wichtig, bei einem Problem selbst mitzudenken, mitzuwirken und aktiv zu sein. Mit dem Sport habe ich versucht, das ‹böse Zeug› aus mir herauszutreiben. Man darf sich niemals aufgeben.» Während der Chemotherapie blieb ihm zum Glück einiges erspart: »Ich musste nie erbrechen oder hatte nie Appetitmangel.» Doch was ihn am meisten getroffen habe, war der Haarausfall. «Zuvor hätte man fast nicht bemerkt, dass ich Krebs hatte. Das war ein Moment, der nicht einfach für mich war. Kurze Zeit später konnte ich auch dies mit
Humor nehmen. Ich war dann halt für eine Zeit der Meister Propper, das war auch nicht schlecht.» Durch die Krankheit hat sich seine Körperwahrnehmung enorm verstärkt, «manchmal ist diese Wahrnehmung schon zu viel des Guten, da ich dann vor allem im Sport zu vorsichtig werde.»

Heute gilt Luca Tavasci als geheilt: «Ich bin dankbar dafür, dass ich wieder gesund bin und in meinem Leben tun und lassen kann, was ich möchte.» Der Bündner macht während des Gesprächs einen glücklichen und zufriedenen Eindruck. Auf die Frage, ob er zum Schluss der Gesellschaft noch etwas mitteilen möchte, zögert er nicht lange: «Ja sicher! Habt Spass beim Sport, geniesst das Leben und geht nach draussen. Wir leben in einer so wunderschönen Landschaft, das muss man ausnützen!»

Geplauder aus dem Nähkästchen…

Langlauf oder Mountainbike? Uff das ist mal ein Outing! Ich denke schon eher Langlauf.
Pizza oder Pasta? Da bin ich eher der Pasta-Typ.
Welche Sauce gibt’s dazu? Vorschlag?
Lachs mit Rahm! Fix, das ist super.
Wein oder Bier? Ich trinke sehr wenig Alkohol, aber wenn, dann Rotwein.
Wellness oder Action? Ich tendiere immer mehr zum Wellness, vielleicht ist es das Alter…
Schokolade oder Käse? Schoggi.
Verträumt oder realistisch? Sehr realistisch, fast zu sehr.
Vorspeise, Hauptgang oder Dessert? Dessert.
Kino oder Netflix? Kino, aber sehr selten.
Welcher Film? Alles, was lustig ist. Das Leben ist schon genug seriös.
Nachteule oder Frühaufsteher? Immer mehr bin ich der Frühaufsteher. Ich werde halt immer älter, was will man machen!

Text: Tina Spichtig

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