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Begpacking – ohne Geld um die Welt

21.08.2019
von Stefan Marolf

Reisen mit dem Rucksack sind schon seit Jahren beliebt. Junge Erwachsene und Studenten ermöglichen sich so Ferien an ihren Traumdestinationen, ohne viel Geld in die Hand nehmen zu müssen. Nun hat dieser Trend eine neue Stufe erreicht – und eine Grenze überschritten.

Junge Menschen, vornehmlich aus Australien, Russland oder Grossbritannien, betteln in Entwicklungsländern um Geld für ihre Reisen. Sie treiben den Budgettourismus auf die Spitze und versuchen, ganz ohne Ausgaben ihre Ferien zu verbringen. Das Phänomen ist unter dem Begriff Begpacking bekannt und wird derzeit im Internet kontrovers diskutiert. Begpacking setzt sich zusammen aus den zwei englischen Begriffen «beg», also «betteln», und «Backpacking», dem günstigen Reisen mit Rucksack.

Meines Erachtens fehlt es den Begpackern an Respekt gegenüber dem besuchten Land und dessen Bevölkerung. Thorsten Merkle, Tourismusexperte

Bettelnd durch die Touristen-Hotspots

Der «Trend» ist vor allem in Südostasien zu beobachten. Besonders in Touristendestinationen wie Thailand oder Vietnam sind viele Begpacker anzutreffen. Thorsten Merkle, Studienleiter Tourismus an der HTW Chur, kennt die Gründe: «Zum einen ist das Reisen mit kleinem Budget dort verhältnismässig einfach und sicher, zum anderen bietet Südostasien attraktive Orte mit spannenden Kulturen.» Begpacker platzieren sich an Fussgängermeilen und versuchen, bettelnd ihre Reisekasse aufzubessern. Die jungen Erwachsenen setzen dabei auf unterschiedliche Methoden: So machen manche Strassenmusik, verkaufen Fotos oder bieten «Premium Hugs» an. Andere sind sich selbst dafür zu schade – sie begnügen sich mit einem Kartonschild, auf dem sie ihre Wünsche äussern. Für Merkle verstösst diese Art des Reisens gegen eine soziale Ordnung, denn: «Die Ferien werden als etwas wahrgenommen, das man sich verdient und geniessen kann.» In der Wahrnehmung vieler Leute fehle diese Komponente beim Begpacking, argumentiert er.

Bangkok ist ein beliebtes Ziel: 15 Mal pro Woche wird Thailands Hauptstadt von Zürich aus angeflogen.

Dreist, dreister, Begpacker

Besonders unverfrorene Touristen geben vor, beraubt worden zu sein und deshalb Geld sammeln zu müssen. Gewisse unter ihnen überschreiten jegliche Grenzen des Anstands: In Australien wurden Begpacker dabei erwischt, wie sie Duschen in Notunterkünften nutzten. Ausserdem bedienen sich gewisse Reisende der Mahlzeiten, welche die Heilsarmee eigentlich an Obdachlose abgibt. Während das beliebte Backpacking akzeptiert ist, hat die «Extremform» Begpacking viele Gegner. Der allgemeine Tenor im Internet: Sich mit so wenig Geld wie möglich und einer sparsamen Lebensweise durchzuschlagen, ist in Ordnung. Die lokale Bevölkerung aber um Geld zu bitten; das geht zu weit. Eine Erklärung für diese Sichtweise ist schnell gefunden. Begpacker unterwandern die Grundidee des Tourismus: Anstatt Geld in Länder zu bringen, die es gut gebrauchen könnten, betteln sie selbst um finanzielle Unterstützung. Auch Thorsten Merkle äussert Bedenken zur kontroversen Reiseform: «Meines Erachtens fehlt es den Begpackern an Respekt gegenüber dem besuchten Land und dessen Bevölkerung.»

Social Media als Spendenquelle

Begpacking findet zum einen auf den Touristenstrassen Südostasiens und Mittelamerikas und zum anderen auch im Internet statt. Vor kurzem sorgte ein deutsches Influencer-Paar für Aufsehen, indem es versuchte, eine Tandemreise nach Afrika über eine Crowdfunding-Kampagne zu finanzieren. Zu diesem Zweck baten die Reiseblogger ihre Fans in einem Instagram-Post um finanzielle Unterstützung. Im Gegenzug versprach das Paar, seine Erlebnisse mit der Welt zu teilen. Die Reaktion aber kam für die beiden unerwartet: Die Community goutierte das Vorgehen überhaupt nicht und reagierte mit einem regelrechten Shitstorm. Von den angestrebten 10 000 Euro kamen bisher lediglich 800 zusammen. Der Vorwurf: Wer reisen will, soll sich das benötigte Geld selbst erarbeiten. Thorsten Merkle betont: «Das finanzielle Argument kann nur teilweise gelten – immerhin reisen Begpacker ja meist per Flugzeug ins Zielgebiet.» Was die Gegner der Begpacking-Bewegung zusätzlich enerviert, ist die Art, wie Begpacker ihren Reisestil zelebrieren. Stolz verbreiten sie im Internet Fotos von ihren Bettel-Aktionen.

Ich denke nicht, dass Begpacking über längere Zeit von grosser Bedeutung sein wird. Thorsten Merkle

Vor den Kopf gestossen

Privilegierte Leute aus Industriestaaten, die in Entwicklungsländern um Geld betteln – eigentlich absurd. Trotzdem tun es viele junge Reisende und sie scheinen stolz darauf zu sein. Das Stichwort «Poverty Porn» liefert eine mögliche Erklärung dafür. Poverty Porn bezeichnet das Bestreben, durch Bilder der Armut und des Elends Mitgefühl auszulösen. Begpacking ist nichts anderes als eine Abwandlung davon: Statt andere, wirklich arme Menschen abzulichten, setzen sich Begpacker selbst als «Hilfsbedürftige» in Szene. Begpacking wird in diesem Zusammenhang auch als Respektlosigkeit gegenüber der lokalen Bevölkerung verurteilt: Bettelnde Touristen nutzen die vor allem in Asien vorherrschende Geber-Mentalität schamlos aus und lassen sich von Leuten, die selbst fast nichts besitzen, unter die Arme greifen. Für Thorsten Merkle geht es vor allem um einen vorübergehenden Trend: «Begpacker sind meist junge Leute, die sich gegen die Konsumgesellschaft und gegen das bestehende System positionieren. Ich denke nicht, dass Begpacking über längere Zeit von grosser Bedeutung sein wird.»

Ein Slumviertel in Jakarta, Indonesien: Grosse Teile der südostasiatischen Bevölkerung kommen mit dem Nötigsten aus.

Radikale Lösungsansätze

Die Behörden Südostasiens haben die Schnauze voll: In Indonesien verweisen Polizisten die Begpacker direkt an die zuständige Botschaft des jeweiligen Landes. Thailand versucht sogar, die No-Budget-Touristen bereits an der Einreise zu hindern. Wer ins Land will, muss nachweisen, zur Finanzierung des Urlaubs fähig zu sein. Konkret heisst das, dass Urlauber zwischen umgerechnet 250 und 500 Euro dabeihaben müssen. Thorsten Merkle sieht den Entwicklungen derweil entspannt entgegen: «Die Destinationen, die unter Begpacking leiden, werden sich schnell und pragmatisch zu helfen wissen.» Dem Schweizer Aussendepartement EDA ist bislang noch kein Fall eines Schweizer Begpackers bekannt, der an eine Botschaft verwiesen wurde. Es schreibt auf Anfrage: «Im Auslandschweizergesetz ist vermerkt, dass bei der Vorbereitung und Durchführung eines Auslandsaufenthaltes eigenverantwortlich zu handeln ist.» Dazu gehöre auch, genügend Geld mitzunehmen. Wer also von der Schweiz aus als Begpacker verreist, verletzt im schlimmsten Fall die Gesetze mehrerer Länder gleichzeitig.

Die Destinationen, die unter Begpacking leiden, werden sich schnell und pragmatisch zu helfen wissen. Thorsten Merkle

Es geht auch ohne Begpacking

Wer günstig Ferien verbringen will, muss nicht auf Begpacking setzen. Der Tourismusexperte Merkle schlägt Alternativen vor: «Sparpreise bei den europäischen Bahnen oder den Fernbuslinien, Unterkünfte in Hostels, Jugendherbergen oder auf Campingplätzen oder das weltweit mögliche Couch-Surfing sind Möglichkeiten, für kleines Geld die Welt zu sehen. Und gerade für jüngere Leute gibt es in vielen Ländern die Work-and-travel-Programme, mittels derer man sich seinen Aufenthalt ganz legal durch Arbeit im Zielland finanzieren kann.» Zudem macht eine flexible Zeitplanung weitere Einsparungen möglich. Immer wieder bieten Airlines und Hotels günstige Flüge und Zimmer für Kurzentschlossene an. Wer mit knappem Budget eine Reise plant, sollte unbedingt die Kosten im Vorhinein kalkulieren. So kann abgeschätzt werden, wie lange die Reise dauern darf. Es gibt also zahlreiche Möglichkeiten, eine finanzielle Notlage in den Ferien zu vermeiden. Für all jene, die sich trotzdem ohne Geld durch ihren Urlaub mogeln wollen, hat Thorsten Merkle einen Rat: «Lasst es.»

Die Schweiz – nichts für Begpacker

Das Phänomen Begpacking beschränkt sich vorerst noch auf Länder in Südostasien und Mittelamerika. Schweiz Tourismus schreibt auf Anfrage, Fälle von Begpacking seien hierzulande nicht bekannt. Sollte das Begpacking früher oder später auch in die Schweiz gelangen, wären die rechtlichen Grundlagen eindeutig: Wer ins Land will, muss gemäss Ausländergesetz «die für den Aufenthalt notwendigen Mittel besitzen». Das Betteln selbst ist in den lokalen Polizeibestimmungen geregelt und wird somit nicht überall gleich gehandhabt. In den Städten Zürich und Genf beispielsweise existiert ein flächendeckendes Verbot. In anderen Gemeinden ist das Betteln nicht vollständig untersagt, aber eingeschränkt: Wer beispielsweise am falschen Ort bettelt, kann gebüsst werden. Für Touristen aus aller Welt gilt auch hier das Ausländergesetz: «Ausländerinnen und Ausländer, die in der Schweiz eine Erwerbstätigkeit ausüben wollen, benötigen unabhängig von der Aufenthaltsdauer eine Bewilligung.» Die Schweiz ist also kein gutes Pflaster für alle Begpacking-Freunde – und sie entspricht wohl auch sonst nicht deren Bedürfnissen.

Text: Stefan Marolf

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