bastien girod bastien girod: «wer heute in erneuerbare energien investiert, profitiert morgen»
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Bastien Girod: «Wer heute in erneuerbare Energien investiert, profitiert morgen»

16.09.2020
von Dominic Meier

Nicht nur ein effizienter Energieverbrauch, sondern auch woher und unter welchen Bedingungen wir Energien gewinnen, ist umwelttechnisch relevant. Bastien Girod, Umweltwissenschaftler, Nationalrat und Vizepräsident der Grünen Schweiz, spricht mit «Fokus» über Energieeffizienz, erneuerbare Energien und deren Rolle für eine klimaneutrale Zukunft.

Herr Bastien Girod, Sie engagieren sich seit Ihrer Jugend für die Umwelt. Wie hat das angefangen?

Schon als Kind hat mich die Natur fasziniert und begeistert. Diese Begeisterung habe ich dann auch in meinen beruflichen Werdegang einfliessen lassen. Ich entschied mich dementsprechend für ein Naturwissenschaftsstudium an der ETH Zürich. Nach meinem Abschluss war mir dann klar, dass ich mich noch stärker für Umweltthemen engagieren möchte, weshalb ich politisch aktiv geworden bin.

Schon als Kind hat mich die Natur fasziniert und begeistert. Bastien Girod

Sie sind seit acht Jahren verheiratet und haben zwei kleine Töchter. Welche «grünen» Themen sind im Familienleben der Girods präsent? 

Ich finde es wichtig, dass man als Kind eine Verbundenheit und ein Bewusstsein für die Natur entwickeln kann. Deshalb möchte ich meinen Töchtern meine Begeisterung für die Natur weitergeben. Da sie aber noch klein sind, versuche ich nicht, ihnen komplexe Themen wie die Klimaerwärmung näherzubringen. Sie wissen aber, dass sich Papa für Pinguine und deren Welt einsetzt – auf dem Logo der Firma South Pole, wo ich tätig bin, ist ein Pinguin erkennbar (lacht). Ich möchte sie nicht überfordern, ihnen aber gleichzeitig zeigen, weshalb es wichtig ist, sich für unsere Flora und Fauna einzusetzen und ihnen Sorge zu tragen.

Wie achten Sie persönlich darauf, ein umweltfreundliches Leben zu führen?

Nebst meiner Arbeit bei South Pole und meinem Engagement bei den Grünen versuche ich, in weiteren Bereichen aktiv etwas für das Klima zu tun. Meine Familie und ich wohnen beispielsweise in einem Wohnquartier nach Minergie-P-Standard und unsere Nachbarschaft ist für Nachhaltigkeitsthemen engagiert. Im persönlichen Konsum gebe ich zudem umweltfreundlichen Lösungen den Vorzug und probiere beispielsweise in der Ernährung gerne auch vegane Alternativen aus.

Seit 2007 politisieren Sie für die Grünen im Nationalrat. Welche Unterschiede zu früher nehmen Sie wahr, wenn das Parlament über Umweltthemen diskutiert?

Während meiner Zeit im Parlament habe ich so etwas wie zwei Wellen erlebt: Bei meiner ersten Wahl war bereits die Klimaerwärmung ein wichtiges Thema, dann kam 2011 noch der Fukushima-Unfall, was die erste Welle schuf. Das Thema Umweltschutz wurde wichtiger, als noch in den Jahren zuvor, und wir haben mit der Energiestrategie 2050 wichtige Reformen für die Zukunft beschlossen. Danach hat sich das Ganze aber wieder gelegt und die Relevanz von Umweltthemen nahm kontinuierlich ab. Das gipfelte in der Versenkung der Vorlage für eine Grüne Wirtschaft. Die Wahlen von 2019 brachten dann aber eine gewaltige zweite Welle mit sich. Diese trägt uns hoffentlich weiter und erlaubt es, dringende Reformen zugunsten unserer Umwelt durchsetzen zu können.

Während der Sommersession hat das Parlament mit der Revision des CO2-Gesetzes beschlossen, dass die Schweiz bis 2030 ihre CO2-Emissionen gegenüber 1990 halbieren muss. Wie stehen Sie zu diesem Ergebnis?

Das revidierte Gesetz ist eine klare Verbesserung zu früher. Wir sprechen hier von einer Verdoppelung der Reduktion von CO2-Emissionen im Inland und einem zusätzlichen Beitrag im Ausland. Es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung und sicherlich nicht der letzte. Jetzt ist es wichtig, diese Revision möglichst rasch unter Dach und Fach zu bringen, um weitere Themen für eine klimafreundliche Zukunft angehen zu können.

Für die Energiestrategie 2050 plant die Schweiz den Atomausstieg. Welche Energiealternativen werden diesen Wandel hauptsächlich begleiten?

Eine tragende Rolle spielt hier sicherlich die Photovoltaik. Obwohl der Solarstrom ein zentraler Pfeiler der alternativen Energiegewinnung darstellt, braucht es dennoch weitere erneuerbare Alternativen. Energie aus Wasser, Wind oder Biomasse – all diese Alternativen stellen Puzzleteile dar, welche in Kombination eine zuverlässige Energieversorgung während des gesamten Jahres garantieren.

In Zukunft müssen wir uns zudem auf Themen wie Energieeffizienz, saisonale Speichermöglichkeiten und dezentrale Lösungen konzentrieren. Hierfür ist die Energie aus Biomasse in Kombination mit Wärmekraftkopplung ein passendes Beispiel: Diese erzeugt sowohl Wärme als auch Elektrizität. So hat man eine Heizung, die auch gleichzeitig Strom produziert.

In Zukunft müssen wir uns zudem auf Themen wie Energieeffizienz, saisonale Speichermöglichkeiten und dezentrale Lösungen konzentrieren. Bastien Girod

Bastien Girod

Bastien Girod

Hat man in der Schweiz das Potenzial erneuerbarer Energien zu spät erkannt?

Wenn es um erneuerbare Energien geht, hat man auf gesetzlicher Ebene leider immer noch die Handbremse angezogen. Die Förderung wichtiger Energiealternativen lässt man nämlich mit einer sogenannten «Sunset-Klausel» bis 2023 auslaufen. Hier besteht dringender Handlungsbedarf, damit man diese Bremse löst und die Förderung der Erneuerbaren für die Jahre danach festlegt. In erster Linie muss das Parlament also dafür sorgen, dass dieser Stopp per 2023 nicht das Ende der Förderung darstellt. Ausserdem sollte man durch Optimierung bestehender Förderunginstrumente sicherstellen, dass es sich auf allen grossen Dächer lohnt, Solarstrom zu gewinnen.

Welche Themen werden das Wohnen der Zukunft beeinflussen?

Beim Wohnen spielt die Energieeffizienz eine wichtige Rolle. Eine gut isolierte Gebäudehülle sorgt hier für Energieeinsparungen. Auch hat man dank neusten Technologien und intelligenten Heizsystemen die Möglichkeit, Energien zwischen Tag und Nacht sowie Winter und Sommer zu verschieben: Moderne Bodenheizungen können beispielsweise nicht nur im Winter heizen, sondern auch im Sommer kühlen.

Die Politik hat die Aufgabe, den Wandel in Richtung erneuerbare Energien frühzeitig voranzutreiben. Bastien Girod

«Nicht jeder kann sich erneuerbare Energien für zu Hause leisten.» Was halten Sie von dieser Aussage?

Wirtschaftlich betrachtet haben Investitionen in erneuerbare Energien einen langfristigen Horizont. Eine Wärmepumpe verlangt schnell mal zehn- bis zwanzigtausend Franken höhere Investitionen als eine Erdölheizung und eine energetische Sanierung ist mit weiten Investitionen verbunden. Doch wer auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien setzt, investiert heute, um morgen zu profitieren. Über zehn Jahre gerechnet, ist eine Erdölheizung teurer als eine Wärmepumpe. Letzten Endes muss man also kurzfristig mehr Geld in die Hand nehmen, um anschliessend langfristig in der Wohnqualität und von tieferen Kosten profitieren zu können, während man gleichzeitig das Klima schont.

Mit dem neuen CO2-Gesetz unterstützt man Haushalte mit einem Cash-Beitrags bei solchen Investitionen. Zudem: Wer heute noch neue fossile Heizsysteme installiert, geht ein finanzielles Risiko ein, da die Kosten von fossilen Heizträger stetig zunehmen werden. Die Politik hat deshalb auch die Aufgabe, Klarheit für die kommenden Jahre zu schaffen und den Wandel frühzeitig voranzutreiben.

Auch die hiesige Mobilität muss sich hinsichtlich der Energiestrategie 2050 wandeln. Inwiefern?

Gerade für die individuelle Mobilität ist die Elektromobilität eine gute Alternative. Dabei müssen wir aber verstärkt die sogenannten grauen Emissionen berücksichtigen. Denn es braucht ein ausgeprägteres Ökobilanz-Denken: Es bringt nichts, nur die direkten Emissionen anzuschauen. Auch indirekte Emissionen – beispielsweise innerhalb der Produktion oder den Lieferketten – müssen in die Rechnung einfliessen.

Grundlegend kann aber gesagt werden: Wenn wir für die Elektromobilität erneuerbare Energie verwenden, ist die Bilanz im Endeffekt deutlich besser. Denn es ist viel günstiger, den Strom zu dekarbonisieren – also CO2-frei zu machen – als die Treibstoffe zu dekarbonisieren.

Ziel ist es auch, bis 2050 den Pro-Kopf-Energieverbrauch der Schweizer Bevölkerung beinahe zu halbieren. Mit welchen Massnahmen können wir dieses Ziel erreichen?

Neben der geschilderten Veränderung bei den Gebäuden, können auch Geräte- und Fahrzeugvorschriften helfen, den Energieverbrauch effizienter zu gestalten. Besonders auch bei den Vorgaben für Importeure von Personenwagen: Hier gibt es enorme Einsparpotentiale, aber die Importeure verdienen mehr an ineffizienten Fahrzeugen. Deshalb braucht es den politischen Druck, damit auch alle vom technischen Fortschritts zugunsten der Umwelt profitieren können.

Strom muss klimaneutral gewonnen und effizient gebraucht werden. Bastien Girod

In der Vergangenheit sprach man im Zusammenhang mit einem tieferen Energieverbrauch auch von einer 2000-Watt-Gesellschaft. Ist dieser Ansatz heutzutage noch relevant?

Mit dem Ansatz der 2000-Watt-Gesellschaft wollte man stärker in Richtung Energieeffizienz gehen. Das ist ein richtiger Gedanke – heute steht aber vielmehr der Netto-Null-Ansatz im Fokus. Es ist nämlich nicht nur entscheidend, wie viel Kilowatt Leistung wir verbrauchen, sondern auch wie wir diesen herstellen und wie viel CO2wir dafür ausstossen. Ein erneuerbares Kilowatt ist viel weniger schädlich als ein fossiles.

Mit dem Ziel von Netto-Null kommt im Vergleich zur 2000-Watt-Gesellschaft also hinzu, dass man verstärkt in Richtung erneuerbare Energien gehen muss. Denn man soll nicht nur effizienter Strom nutzen, sondern diesen auch klimaneutraler produzieren. Langfristig sollten wir nicht nur neutral, sondern klimapositiv wirtschaften und damit mehr CO2 aus der Atmosphäre entnehmen, als wir ausstossen.

Warum liegt der Klimaschutz nicht nur in der Verantwortung des einzelnen Bürgers?

Grundsätzlich kann man in der Schweiz in verschiedensten Rollen einen Beitrag leisten – als Konsumenten, als Unternehmer und vor allem als Stimmbürger. Es ist aber auch Tatsache, dass man als Einzelperson weniger bewirken kann. Der eigene ökologische Fussabdruck hängt sehr stark von der umliegenden Infrastruktur ab, welche man nicht frei wählen kann. Lange Zeit hatte man beispielsweise keine Alternativen zu fossilem Strom. Wie soll man in solchen Situationen als Einzelperson etwas bewirken können?

Ein ökologischer Wandel der Infrastruktur ist deshalb unentbehrlich, damit auf individueller Ebene ein umweltbewusstes Leben möglich wird. Dafür braucht es politische Veränderung und technologische Innovationen, die attraktive Alternativen darstellen und verfügbar machen.

Inwiefern muss sich demnach das Schweizer Wirtschaftssystem wandeln?

Wir brauchen ein Wirtschaftsystem, in welchem jene Unternehmen erfolgreich sind, welche nicht nur für ihre Eigentümer und Shareholder Profit machen, sondern auch für unseren Planeten und die Menschen. Das heisst, das Unternehmen sich das Ziel setzen, Emissionen auf Netto-Null zu senken und auch zur Verbesserung des sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft beizutragen. Viele Unternehmen denken hier bereits um – wichtig ist, dass die Politik nachzieht und jene belohnt, die mehr für die Nachhaltigkeit tun, während die Bremser in die Pflicht genommen werden.

Wie können Unternehmen vorgehen, die klimaneutraler wirtschaften möchten?

Unternehmen können mit einer Art Gesundheitscheck anfangen: Welchen ökologischen Fussabdruck hinterlassen sie? Dabei gilt es, die direkten sowie die indirekten – auch «grauen» genannten – Emissionen miteinzubeziehen. Wenn man sich dann ein Gesamtbild machen konnte, sieht man genau, wo die Stärken und Schwächen der eigenen Klimabilanz sind und wo Handlungsbedarf besteht.

Bevor man dann entsprechende Massnahmen bestimmt, muss man auch an die verschiedenen Stakeholder denken. Mit einer Mischung aus den Erkenntnissen des ökologischen Fussabdrucks sowie der Analyse der Stakeholder und deren Bedürfnisse, erstellt man dann eine Art Roadmap, welche aufzeigt wie die Klimabilanz Schritt für Schritt verbessert werden kann.Typischerweise geht es darum, Effizienzpotentiale auszuschöpfen, auf erneuerbare Energien zu wechseln und die verbleibenden Emissionen dann mit nachhaltigen Klimaprojekten zu kompensieren. Natürlich ist es im Interesse des Unternehmens dabei innovativ und intelligent vorzugehen. In meiner Tätigkeit bei South Pole leite ich ein 12-köpfiges Team, welches sich auf diese Themen spezialisiert hat. Interessierte Unternehmen können für weitere Informationen also gerne auf mich zukommen.

Interview Dominic Meier
Headerbild Béatrice Devènes, Porträtfoto Alessandro Della Valle

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