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Wie Kinder sprechen lernen

06.10.2020
von Lars Meier

Sprechen lernen stellt einen grossen Schritt in der Entwicklung eines jeden Kindes dar. Wie geht dieser Prozess vonstatten und wie können Eltern dabei beistehen? «Fokus» hat nachgeforscht.

Vom ersten Brabbeln über Ein- und Mehrwortsätze bis hin zur vollständigen Sprachbeherrschung: Sprechen lernen stellt sowohl für ein Kind als auch dessen Eltern eine spannende Entwicklung dar. Doch der Erstspracherwerb beginnt bei einem Kind früher, als man annehmen könnte – nämlich sogar noch vor seiner Geburt. Dies bestätigt Logopädin Sabrina Disabato: «Das Baby nimmt durch die Bauchdecke der Mutter Umweltgeräusche sowie die Stimmen der Mutter und des Vaters wahr und lernt diese so kennen.» Im ersten Lebensjahr könne das Baby zwar noch nicht sprechen, aber es erwerbe grundlegende Fähigkeiten, die es braucht, um das Sprechen und die Kommunikation in seinen kommenden Lebensjahren zu erlernen. «Das Baby hört aufmerksam zu; mit dem Schreien trainiert es seinen Sprechapparat und nimmt mit seiner Umwelt Kontakt auf», so die Expertin.

Das Baby hört aufmerksam zu; mit dem Schreien trainiert es seinen Sprechapparat und nimmt mit seiner Umwelt Kontakt auf. Sabrina Disabato

Lallphase und erste Sätze

«Ab seinem dritten Lebensmonat fängt das Baby an zu lächeln und es schreit nicht nur noch, sondern kann sich auch über gurren, quietschen, lallen, juchzen und brabbeln mitteilen», führt Sabrina Disabato aus. «Brabbelgespräche» mit den Bezugspersonen entstehen und das Kind zeigt Interesse an Lautäusserungen seiner Umwelt und ahmt diese nach. Das Sprachverständnis entwickelt sich in dieser Zeit immer mehr und das Kind versteht bereits Alltagswörter wie beispielsweise «Bett», was gemäss der Expertin die Grundlage für die weitere Sprachentwicklung darstellt. Um den ersten Geburtstag herum spricht das Kind dann die ersten Wörter. «Zunächst sind das Wörter, die aus Silbenketten entstehen, wie ‹Ma-ma›», ergänzt die Expertin. «Dann folgen Wörter, die meist in der Kindersprache gesprochen werden wie ‹Brummbrumm› für Auto oder ‹Wauwau› für Hund.» Langsam beginne das Kind Wörter, die es in seinem Umfeld hört, nachzusprechen.

Der Wortschatz wächst

Mit etwa zwei Jahren spricht ein Kind dann um die 50 Wörter. Anschliessend erfolge die sogenannte «Wortschatzexplosion», wobei das Kind sehr schnell an Wortschatz zulegt. Sabrina Disabato führt aus: «Das Kind hat nun mehr Ausdrucksmöglichkeiten und beginnt, Wörter zu einem Satz aneinander zu reihen.» Das Kind befindet sich gemäss der Expertin jetzt im ersten Fragealter. Es will alles in seiner Umgebung kennenlernen und vor allem alle Bezeichnungen der Dinge wissen.

Auf- und Ausbau der Grammatik

Zwei- bis dreijährige Kinder artikulieren sich in der nächsten Stufe weiterhin zunehmend in Mehrwortäusserungen, wobei die Grammatik noch nicht immer vollkommen korrekt ist. «Das Kind merkt aber immer besser, dass die Sprache Regeln hat», weiss Sabrina Disabato. Am Ende dieser Stufe kann das Kind zudem weitgehend richtig sprechen, Fragen stellen und Zusammenhänge erläutern.

«Mama, Papa, warum…?»

Im Alter von drei bis vier Jahren durchlaufen Kinder die Festigungsphase. «Diese Phase wird auch als das ‹zweite Fragealter› bezeichnet, da die Kinder ständig ‹Warum-Fragen› stellen», ergänzt die Expertin. Durch ständiges Fragen über die Umgebung, Erlebnisse und die Gründe für Handlungen erweitere das Kind sein Wissen, und der Wortschatz wächst weiter. «Mit der Zeit kann das Kind erste Nebensätze bilden und äussert Präpositionen korrekt», so Sabrina Disabato. Das Kind bekomme weiterhin auch allmählich ein Zeitgefühl für gestern und heute.

Ab seinem dritten Lebensmonat fängt das Baby an zu lächeln und es schreit nicht nur noch, sondern kann sich auch über gurren, quietschen, lallen, juchzen und brabbeln mitteilen. Sabrina Disabato

Der Abschluss des Erstspracherwerbs

Mit vier bis sechs Jahren ist die Sprachentwicklung des Kindes dann im Wesentlichen abgeschlossen. Das Kind kann beispielsweise von Erlebtem zusammenhängend erzählen, spricht in komplexen Sätzen, kennt die Zeitformen und kann auch über abstrakte Zusammenhänge reden. «Einige grammatikalische Regeln werden erst zu einem späteren Zeitpunkt verinnerlicht», fügt die Expertin hinzu.

Mehrsprachige Spracherziehung

In einer multikulturellen Gesellschaft ist es gang und gäbe, dass ein Kind mehrsprachig aufwächst. Wie unterscheidet sich der Erstspracherwerb von mehrsprachigen Kindern von jenen, die einsprachig aufwachsen? «Die Sprachentwicklung verläuft ähnlich wie bei einem Kind, das einsprachig aufwächst», hält Sabrina Disabato fest. «Das Kind muss verinnerlichen, dass es verschiedene Sprachsysteme gibt.» Oft vermische das Kind aber anfänglich die Sprachen und der Wortschatz in den verschiedenen Sprachen ist zudem nicht derselbe.

Interaktion als Türöffner

Für eine erfolgreiche Sprachentwicklung hat die Expertin einige Tipps bereit: «Bezugspersonen sollten viel mit dem Kind über alles mögliche reden. Sprache entsteht durch Interaktion, durch Begreifen und Handeln!» Fingerverse, Lieder, Bücher fördern gemäss der Expertin ebenfalls das Interesse an Sprache. Apropos Interesse: Im digitalen Zeitalter ziehen zahlreiche Medien besonders Kinder in ihren Bann. Wie geht man als Eltern damit am besten um? «Wenn Medienkonsum stattfindet, ist es auch hier wichtig, über das Gesehene zu reden.» Denn beim Fernsehen lerne das Kind lediglich nachzuplappern wie ein Papagei; da der Bildschirm kein Dialogpartner ist, findet somit keine Interaktion statt.

Die Freude an der Sprache stärken

Zeige ein Kind allenfalls Artikulationsschwierigkeiten auf, sollte man es als Eltern nicht korrigieren, sondern das falsch Ausgesprochene korrekt wiederholen. Wenn ein Kind beispielsweise stottert, sollte es gemäss der Expertin ebenfalls nie aufgefordert werden, das Gesagte nochmals zu wiederholen. «Ich rate den Eltern immer: Es ist wichtig was das Kind sagt und nicht wie es das tut!», schliesst Sabrina Disabato. Der Erhalt der Freude an der Sprache ist für ein Kind das A und O, um sich diesbezüglich optimal zu entwickeln. Sind Eltern bezüglich der Sprachentwicklung ihres Kindes dennoch besorgt, sollten sie unbedingt den Rat einer Logopädin oder eines Logopäden suchen.

Weiterführende Informationen zum Spracherwerb und zur Sprachförderung www.kindersprache.ch

Die Phasen des Erstspracherwerbs in Kürze

Geburt – ca. 3 Monate: Phase der Vorstufe
3 – 12 Monate: Lallphase
1 Jahr – 18 Monate: Stufe der Ein-Wort-Sätze
18 Monate – 2 Jahre: Phase der Zwei- und Mehrwortsätze
2 – 3 Jahre: Auf- und Ausbau der Grammatik
3 – 4 Jahre: Phase der Festigung
4 – 6 Jahre: Vollständige Beherrschung

Text Lars Gabriel Meier

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