Was ist der aktuelle Stand in der Welt der Immobilien? Welche Rolle spielt die Coronapandemie, wenn es um Immobilien geht? Christoph Schumacher, Stefan Lemberger, Andreas Ingold, Karsten Hell und Patrik Schmid haben uns diese und weitere Fragen in einem Expertpanel beantwortet.
Christoph Schumacher, wie schätzen Sie die aktuelle Lage im Immobiliensektor ein?
Der Immobilienmarkt ist grundsätzlich insgesamt stabil. Befürchtungen über allfällige Finanz- oder Immobilienkrisen haben sich bisher als gegenstandslos erwiesen. Nach einem heftigen Rückschlag erholten sich die kotierten Immobilienwerte bereits wieder weitgehend. Der Immobilienmarkt zählt nicht zu den hauptbetroffenen Sektoren der Wirtschaft, ist aber doch Leidtragender. Betroffen sind in erster Linie die Detailhandels- und Gastronomieflächen sowie die Hotellerie. Aufgrund des Lockdowns, der Zurückhaltung der Konsumenten und des Wegfalls des internationalen Geschäfts- und Ferientourismus kämpfen viele Mieter mit dem Überleben. Wertmässig macht dieser Teil aber weniger als zehn Prozent an den kommerziellen Immobilienwerten aus.
Wie könnte sich der Bau- und Immobilienmarkt nach der Coronapandemie entwickeln?
Vorausgesetzt, es kommt nicht zu einer zweiten Welle und zur Wiedereinführung gewisser Schutzmassnahmen, erwarten wir im Wohnungsmarkt eine hohe Stabilität. Zwar werden im Mietwohnungssegment die Leerstände nun erst recht steigen, doch dies dürfte nur in Einzelfällen auf die Bewertung durchschlagen. Denn wegen Covid-19 wird sich auch die Tiefzinsphase nochmals verlängern. Immobilien bleiben dadurch eine äusserst attraktive Anlageklasse. Im Baubereich wird man erstmal einen Gang zurückschalten. Langfristig dürfte das jedoch aus Anlegersicht erwünscht sein, denn das schleichende Überangebot in verschiedenen Bereichen verstärkt sonst nur den Druck auf die Mieten.
Der Immobilienmarkt zählt nicht zu den hauptbetroffenen Sektoren der Wirtschaft, ist aber doch Leidtragender. Christoph Schumacher
Wie steht die Schweiz im Vergleich zum Ausland da?
Trotz hoher Abhängigkeit der Schweiz vom internationalen Handel ist bereits jetzt klar, dass der Wirtschaftseinbruch in der Schweiz geringer ausfallen wird als im Ausland. Das gezielte und vor allem rasche Eingreifen des Bundesrats hat eine übermässige Verunsicherung verhindert und auch international viel Lob erhalten. Das erprobte Instrument der Kurzarbeit dürfte den Anstieg der Arbeitslosigkeit hemmen und damit einen wichtigen Beitrag für die Zuversicht der Konsumenten leisten. Möglich gemacht hat das die mustergültige Zurückführung der Staatschulden seit 2006 dank der Schuldenbremse. Nur so war es möglich, ohne Verzögerung den Worten auch gleich Taten folgen zu lassen.
Welche Trends werden sich trotz der Situation weiterhin durchsetzen?
Covid-19 ist weniger ein «Game-Changer» als vielmehr ein Beschleuniger verschiedener Trends. Die Digitalisierung dürfte dadurch einen mächtigen Schub erhalten. Im Onlinehandel rechnen wir beispielsweise mit einem Sprung von drei Jahren gegenüber einer Entwicklung ohne Corona. Der Fokus sicherheitsorientierter Anleger auf Wohnimmobilien und das Ausweichen auf vielversprechende Nischen wie zum Beispiel die Logistik dürfte in Zukunft noch stärker spürbar werden. Von den Themen, die vorübergehend vom Coronavirus etwas verdrängt wurden, meldet sich vor allem die Nachhaltigkeit schon jetzt wieder mit aller Macht zurück!
Stefan Lemberger, wie schätzen Sie die aktuelle Lage im Immobiliensektor ein?
Begünstigt durch das attraktive Finanzierungsumfeld, ist das Interesse an Wohneigentum unverändert gross. Insbesondere die Nachfrage nach Renditeliegenschaften ist aufgrund des anhaltenden Anlagedrucks weiterhin stark. Das wachsende Überangebot an Mietwohnungen in gewissen Regionen stellt die Vermieter vor zusätzliche Herausforderungen. Die Bautätigkeit ist nach wie vor sehr dynamisch, was insbesondere Mieten in Altliegenschaften etwas unter Druck setzt. Die Preise von Geschäftsliegenschaften mit Detailhandelsflächen, Gastronomiebetrieben oder Produktionsstätten, die bedingt durch die Coronakrise erhebliche Umsatzausfälle erlitten, sinken.
Wie könnte sich der Bau- und Immobilienmarkt nach der Coronapandemie entwickeln?
Gewisse Lohneinbussen und Wertverluste im Anlagevermögensbereich müssen in Kauf genommen werden, was die Nachfrage nach Wohneigentum negativ beeinflussen kann. Rückläufige Zuwanderungszahlen stehen anhaltend hoher Bautätigkeit gegenüber. Regional ist im Mehrfamilienhaussektor mit sinkenden Mieten und höheren Leerstandsquoten zu rechnen. Nichtsdestotrotz wird die Nachfrage nach Renditeobjekten wegen der günstigen Finanzierungskonditionen hoch bleiben. In Bedrängnis geraten Büro- und Geschäftsliegenschaften, seit Homeoffice salonfähig ist und die Beschäftigungszahlen teils gesunken sind. Die tiefere Nachfrage nach Detailhandelsflächen lässt sich auf die steigende Beliebtheit von
Online-Einkäufen zurückführen.
Wie steht die Schweiz im Vergleich zum Ausland da?
Es sind Faktoren wie die starke Währung, die anhaltend tiefen Zinsen, die politische Ausgewogenheit und das Engagement visionärer Unternehmerpersönlichkeiten, die unserem Land in verschiedenen Bereichen zu einer Vorrangstellung gegenüber dem Ausland verhelfen. Ein Vorteil, welchem weiterhin Sorge getragen werden muss.
Rückläufige Zuwanderungszahlen stehen anhaltend hoher Bautätigkeit gegenüber. Stefan Lemberger
Aber auch die Schweizer Wirtschaft wird in den kommenden Jahren gefordert sein. Obwohl die Arbeitslosenquote anfangs Jahr bei ausserordentlich tiefen 2.6 Prozent lag, werden die Ausfälle im Detailhandel, in der Gastronomie und im Tourismus sowie Einschränkungen der Handelstätigkeiten das Konjunkturwachstum stark beeinträchtigen.
Welche Trends werden sich trotz der Situation weiterhin durchsetzen?
Der Klimaschutz wird ein zentrales Thema bleiben. So wird zum Beispiel Heizen mit fossilen Brennstoffen ökologisch nachhaltigeren Varianten weichen. Trendige Mietwohnungen auf kleineren Flächen an Toplagen in Innenstadtbereichen werden an Beliebtheit zunehmen. Derselbe Trend zeigt sich bei Büroräumlichkeiten, die kleinflächiger und multifunktional eingesetzt werden. Man nutzt sie für verschiedene Zwecke und reduziert so die Zahl der persönlichen Arbeitsplätze. Diese Entwicklung geht zulasten des Grossraumbüros. Die Nachfrage nach Eigenheimen bleibt hoch und übersteigt das Angebot. Sollte es in der Coronakrise wider Erwarten zu einem drastischen Rückschlag kommen, könnte sich auch in der Schweiz ein Trend zur Flucht aus den Städten abzeichnen, wie dies mancherorts im Ausland zu beobachten ist.
Andreas Ingold, wie schätzen Sie die aktuelle Lage im Immobiliensektor ein?
Der Immobiliensektor ist weiterhin differenziert zu betrachten. Bei den Wohnflächen hat die Covid-19-Krise lediglich zu einem kurzfristig marginalen Nachfrageeinbruch geführt. Das «Dach über dem Kopf» gehört zu den Grundbedürfnissen der Gesellschaft und wird auch durch eine solche Krise nicht ausgehebelt.
Die Gewerbemieter sind durch die Epidemie stark betroffen. Ich bin davon überzeugt, dass die Auswirkung dieser Krise den Büromarkt deutlich schwerer treffen wird als den Wohnungsmarkt. Im Retailgeschäft bestätigt sich, dass der Online-Einkauf für fast alles funktioniert. Vertrauen zum Anbieter ist das Fundament dazu. Der Lockdown befeuert diesen Strukturwandel.
Der Immobiliensektor ist weiterhin differenziert zu betrachten. Andreas Ingold
Wie könnte sich der Bau- und Immobilienmarkt nach der Coronapandemie entwickeln?
Es wird weiterhin in Bauprojekte investiert. Einzelne Projekte können jedoch zurückgestellt oder hinterfragt werden. Eine Investitionsverlangsamung ist die Folge. Dennoch bleiben Vermögensanlagen in Immobilien aufgrund des günstigen Zinsumfeldes und mangelnder Opportunität nach wie vor attraktiv. Leerstände hingegen können weiter ansteigen. Arbeitgeber werden ihre Büroflächen mit der Ausweitung von Homeoffice reduzieren. Der Markt wird jedoch nicht einbrechen: Der Homeoffice-Trend wurde durch die Krise beschleunigt, das Büro bleibt aber nach wie vor wichtiger Ort für Interaktion mit Kunden und Kollegen. Zudem werden Unternehmen zurückhaltender beim Abschluss von langjährigen Verträgen sein.
Wie steht die Schweiz im Vergleich zum Ausland da?
Die konkreten Auswirkungen von Covid-19 sind heute noch schwer abzuschätzen. Nach wie vor steht die Schweiz im Vergleich zum Ausland sehr gut da. Obwohl auch die Schweiz auf die tiefste Rezession seit Jahrzehnten zusteuert, einen Rückgang des prognostizierten BIP bis Ende 2020 sowie eine Zunahme der Arbeitslosigkeit unvermeidbar ist, fällt dies im Vergleich zum Ausland mehrheitlich deutlich geringer aus. So wird für gewisse Länder in der EU ein teils dramatischer Einbruch der Wirtschaftsleistung erwartet, welcher sich auch negativ auf die Immobilienbranche auswirkt.
Persönlich bin ich bezüglich der Entwicklung des Immobilienmarktes in der Schweiz weiterhin vorsichtig positiv eingestellt.
Welche Trends werden sich trotz der Situation weiterhin durchsetzen?
Die Krise hat aufgezeigt, wie wichtig attraktiver Wohnraum ist. Das Daheim als Wohlfühlzone und Rückzugsmöglichkeit gewinnt weiter an Bedeutung. Die Homeoffice-Erfahrungen der letzten Monate könnten den Trend zu grösseren Wohnungen bestärken. Betreffend Nachhaltigkeit könnte wegen steigender Leerstände die Nutzungsneutralität der Räumlichkeiten und zerstörungsfreier Rückbau durch Trennung der Gebäudestrukturen (Rohbau, Haustechnik, Ausbau) an Bedeutung gewinnen. Zudem wird sich die Digitalisierung weiter signifikant auf unsere Arbeitswelt, das Bauen und Wohnen sowie auf die Nutzer auswirken. BIM-Modelle, die Entwicklung von Ökosystemen, Eigentümer- und Mieterplattformen lassen grüssen!
Karsten Hell, wie schätzen Sie die aktuelle Lage im Immobiliensektor ein?
Eine Korrektur im Bau- und Immobiliensektor wurde seit Längerem vorausgesagt. Für mich ist klar, dass sich die Coronapandemie auf unsere Industrie auswirken wird. Wie stark die negativen Folgen sein werden, kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden. Naturgemäss machen sich Konjunkturabkühlungen in der Baubranche mit einer Verzögerung von ein bis zwei Jahren bemerkbar. Seit dem Lockdown warten Bauherrschaften vermehrt die weitere ökonomische Entwicklung ab, bevor sie Investitionsentscheide treffen. Dieser Trend würde in Kombination mit einer Rezession kurz- bis mittelfristig zu einer – zumindest vorübergehend – rückläufigen Bautätigkeit führen. Davon betroffen wäre insbesondere der Wirtschaftsbau.
Wie könnte sich der Bau- und Immobilienmarkt nach der Coronapandemie entwickeln?
Nach jeder Krise sind neue Chancen entstanden. Als innovatives, gut aufgestelltes und konkurrenzfähiges Unternehmen mit einer bestens gefüllten Pipeline sind wir bereit, die Herausforderungen der Zukunft anzugehen. Künftig wollen wir vermehrt eigene Entwicklungsprojekte realisieren – mit Fokus auf Arealentwicklungen an attraktiven Lagen und mit hoher wohnlicher Dichte. Solche Projekte sind jedes Mal eine neue kreative Herausforderung. Zudem sind wir bei eigenen Entwicklungen für den gesamten Prozess und alle relevanten Schnittstellen verantwortlich – von der Landakquise, über die Planung, die Ausführung bis hin zur Vermarktung.
Als innovatives, gut aufgestelltes und konkurrenzfähiges Unternehmen mit einer bestens gefüllten Pipeline sind wir bereit, die Herausforderungen der Zukunft anzugehen. Karsten Hell
Wie steht die Schweiz im Vergleich zum Ausland da?
Bisher ist die Schweizer Baubranche verhältnismässig glimpflich durch die Krise gekommen. Dazu beigetragen hat die Tatsache, dass es während des Corona-Lockdowns nicht zu einem vollständigen Stillstand auf allen Baustellen gekommen ist – wie dies beispielsweise bei unseren Nachbarn in Frankreich der Fall war. Hierzulande war der Bauboom der letzten Jahre durch Zuwanderung, tiefe Zinsen, die demografische Entwicklung und den Anlagebedarf institutioneller Anleger getrieben. Corona hat vorderhand nicht viel an dieser Ausgangslage geändert und Immobilien gehören weiterhin zu den attraktivsten Assetklassen.
Welche Trends werden sich trotz der Situation weiterhin durchsetzen?
Während Corona hat die Digitalisierung in unserer Branche zugenommen. Neue Technologien, die wir zuvor implementiert hatten, bildeten plötzlich die Grundlage für das digitale Arbeiten von zu Hause aus. Auch bei der Planung und Realisierung von Immobilien eröffnet die Digitalisierung dank BIM (Building Information Modeling) enorme Chancen. Mit Smart-Home-Anwendungen halten neue Technologien auch in fertigen Gebäuden Einzug. Individuelle Steuerungsmöglichkeiten tragen dabei nicht nur zu einem Komfortzuwachs, sondern auch zu Energieeinsparungen bei. Bei Arealentwicklungen geht der Trend in Richtung modularer, bedarfsoptimierter Mischnutzung mit attraktiven Wohn-, Büro- und Gewerbeflächen.
Patrik Schmid, wie schätzen Sie die aktuelle Lage im Immobiliensektor ein?
Das Interesse an Immobilien ist nach wie vor sehr hoch, obschon die Transaktionsaktivitäten während des Lockdowns eingeschränkt waren. Aber weil die Massnahmen und Ankündigungen verschiedener Notenbanken darauf schliessen lassen, dass das Tiefzinsumfeld in vielen Ländern mittelfristig anhalten wird, dürften Immobilieninvestments hoch in der Gunst der Anleger bleiben. Die Nutzernachfrage nach Wohn- und Arbeitsflächen lässt indes erst einmal nach. Zwar erholt sich die Wirtschaft bereits wieder – vor allem beim inländischen Konsum. Jedoch dürfte eine deutliche Besserung in der für die Schweiz so wichtigen Exportindustrie noch einige Zeit auf sich warten lassen.
Wie könnte sich der Bau- und Immobilienmarkt nach der Coronapandemie entwickeln?
Welche Auswirkungen diese Krise haben wird, hängt grundsätzlich davon ab, wie lange die Pandemie die Schweizer Wirtschaft beeinträchtigt und welche Massnahmen die Politik ergreifen würde, falls die Ansteckungen mit dem Coronavirus erneut stark ansteigen sollten. Weitere Infektionswellen sind durchaus nicht unrealistisch, solange kein Impfstoff oder andere Mittel gegen die Verbreitung von Covid-19 zur Verfügung stehen. Demzufolge könnte der Erholungsprozess der Schweizer Wirtschaft immer wieder ins Stocken geraten und demzufolge dürfte auch die Nachfrage nach Flächen im Immobilienmarkt zeitweise unter Druck bleiben.
Das Interesse an Immobilien ist nach wie vor sehr hoch, obschon die Transaktionsaktivitäten während des Lockdowns eingeschränkt waren. Patrik Schmid
Wie steht die Schweiz im Vergleich zum Ausland da?
Der Schweizer Immobilienmarkt hat sich in der Vergangenheit deutlich ruhiger entwickelt als in vielen anderen Ländern – sowohl in Boom- als auch in Krisenzeiten. Die Voraussetzungen stehen gut, dass dies auch aktuell der Fall sein wird. So haben beispielsweise die hiesigen kotierten Immobilienanlagen in den letzten drei Monaten weniger Federn lassen müssen als Immobiliengesellschaften in vielen anderen Ländern. Darüber hinaus ist die Schweizer Wirtschaft im internationalen Vergleich gut aufgestellt. Wir blicken auf eine Dekade mit kontinuierlichem Wirtschaftswachstum zurück, in der die Arbeitslosigkeit gesunken oder die Löhne gestiegen sind.
Welche Trends werden sich trotz der Situation weiterhin durchsetzen?
Ich gehe davon aus, dass die ESG-Themen weiter an Bedeutung gewinnen werden. Zum Beispiel hat sich die Schweiz das Ziel gesetzt, bis ins Jahr 2050 klimaneutral zu sein. Das impliziert, dass die CO2-Emissionen des Gebäudeparks von heute 12.6 Millionen Tonnen bis ins Jahr 2050 auf null gesenkt werden müssen. Wenn nach den heute gängigen Lebenszyklen in den Bestand investiert wird, lässt sich das nicht erreichen. Sowohl die Eigentümer als auch die Politik müssen im Vergleich zum Engagement in der Vergangenheit deutlich mehr Anstrengungen unternehmen.
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