Im Interview mit «Fokus» spricht Maik Neuhaus, CEO der Halter AG, über die Herausforderungen zur Erreichung der Netto-Null-Ziele in der Immobilienbranche. Diese reichen von neuen Geschäfts- und Zusammenarbeitsmodellen bis hin zur Nutzung der Digitalisierung und den damit verbundenen Potenzialen. Zudem beleuchtet er die Verantwortung privater Unternehmen im Bereich des bezahlbaren Wohnungsbaus.
Maik Neuhaus, warum sind Netto-Null-Ziele und Kreislaufwirtschaft für den Bausektor besonders relevant?
Die Immobilien- und Bauwirtschaft hat einen erheblichen Einfluss auf Umwelt und Ressourcen. Sie verursacht mehr als ein Drittel der CO₂-Emissionen und des Energieverbrauchs sowie über zwei Drittel des Abfallaufkommens. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einerseits – positiv betrachtet – schafft die Branche stetig neuen und dringend benötigten Lebensraum. Andererseits – und das ist problematisch – ist die Produktion ressourcenintensiv und die Branche erzielt aufgrund ihrer stark fragmentierten Prozesslandschaft weder ausreichende Produktivitätssteigerungen noch eine funktionierende Kreislaufwirtschaft. Beide sind elementar und bedingen sich gegenseitig: Kreislaufwirtschaft reduziert den Ressourcenverbrauch und die Abfälle, was nicht nur ökologische Vorteile hat, sondern auch die Effizienz und Wirtschaftlichkeit eines Gebäudes steigert. Ohne geschlossene Kreisläufe keine Produktivitätssteigerung und umgekehrt.
Welche Rolle spielen dabei neue Prozesse und eine neue Zusammenarbeitskultur?
Um die Klimaziele respektive Netto-Null bei allen Bauprojekten zu erreichen, sind neben einem effizienten Ressourceneinsatz und der Verwendung nachhaltiger Materialien insbesondere kreislauffähige und -fördernde Prozesse sowie eine neue Kultur der Zusammenarbeit erforderlich. Gefragt sind innovative Lösungen und eine neue Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten, planen und bauen und die Potenziale der Digitalisierung nutzen. Die beste Antwort auf diese Herausforderung respektive die Basis für Zukunftsfähigkeit ist aus unserer Sicht das integrierte Design-Build-Modell.
Können Sie das Design-Build-Modell erklären und wie es dazu beitragen kann, Netto-Null zu erreichen?
Bei diesem Modell wird die eingangs erwähnte effizienz- und kreislaufhemmende Fragmentierung weitestgehend eliminiert, indem die Planung («Design») und Ausführung («Build») ineinander verschmelzen. Deshalb auch der Begriff «Design-Build». Im Gegensatz zu den üblichen linearen Abläufen, bei denen ausführende Unternehmen, Produzenten und Lieferanten oft erst spät eingebunden werden, bringt Design-Build alle relevanten Akteure frühzeitig zusammen. So kann bereits in der entscheidenden Anfangsphase von deren Know-how profitiert und die Kompetenzen optimal aufeinander abgestimmt werden. Dadurch entwickelt sich eine völlig neue, auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtete Zusammenarbeitskultur. Das Ergebnis: ein durchgängiger Transfer von Wissen, Informationen und Daten – die Basis für Kreislaufwirtschaft – sowie bessere Resultate. Mithilfe eines digitalen Gebäudezwillings lassen sich Projekte realitätsnah simulieren und optimieren. Die Projektbeteiligten definieren schon in der frühen Projektphase die besten Konstruktionssysteme, Materialien und Komponenten. Erst wenn das Projekt alle Zielvorgaben – wie beispielsweise Energieeffizienz und Emissionen – erfüllt, wird es in die Umsetzung gebracht.
Wie hat sich das Design-Build-Modell bei Halter bewährt?
Dies geschah in der Vergangenheit vor allem in Situationen, in denen ein von einem reinen Planungsteam entwickeltes Konzept technisch nicht umsetzbar oder nicht finanzierbar war. In solchen Fällen haben wir gemeinsam mit ausführenden Unternehmen Optimierungen erarbeitet, für deren Funktionalität die beteiligten Unternehmen die Garantie übernommen haben. Heute machen wir das systematisch und von Anfang an. Bei Weitem noch nicht immer, aber immer öfter, weil immer mehr Bauherrschaften und Projektpartner die Chancen und Potenziale dieses Modells erkennen und dieses bereits heute als neues Standard-Modell sehen.
Klar ist aber auch, dass wir uns in einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess befinden. Es wird noch einige Jahre, Projekte und gemeinsame Erfahrungen brauchen, um das volle Potenzial auszuschöpfen. Entscheidend dabei ist, dass zum einen die ausführenden Unternehmen sich für diesen Wandel fit machen, und zum anderen, dass unsere Branche auch kurzfristige Rückschläge als Teil des Lernprozesses versteht, ohne gleich wieder in die «Alte Welt» zurückzufallen.
Welche Vorteile bringt die Standardisierung von Bauprozessen und Systemen für die Effizienz und Präzision von Projekten?
Durch Industrialisierung respektive Standardisierung, Skalierung und Vorfertigung lassen sich Effizienz und Qualität kontinuierlich steigern, während Kosten und Zeitaufwand reduziert werden. Es werden weniger Fehler gemacht und weniger Ressourcen verschwendet. Das wirkt sich positiv auf die Erreichung der Ziele Klimaneutralität durch Kreislaufwirtschaft und Produktivitätssteigerung aus.
Erst durch Standardisierung wird auch Skalierung sowie dezentrale (Teil-)Vorfertigung möglich und wettbewerbsfähig. Die Standardisierung beschränkt sich jedoch nicht nur auf Prozesse, sondern sollte auch bei den Konstruktionssystemen sowie den verwendeten Materialien und Komponenten erfolgen. In den letzten Jahren haben wir bei verschiedenen Projekten aktiv und teils reaktiv – da wo wir später ins Projekt gekommen sind – den Grad an Standardisierung und Vorfabrikation erhöht. Dies oft als Lösung für ursprünglich konventionell angedachte Fachkonzepte, wie z. B. Fassaden bei Hochhäusern oder komplexe Gebäudetechnikkonzepte, die technisch nicht umsetzbar oder nur mit einer Kostenexplosion verbunden gewesen wären.
Kritiker:innen argumentieren, dass Standardisierung und Vorfabrikation die kreative Entfaltung einschränken. Wie beurteilen Sie diese Meinung?
Standardisierung und Vorfabrikation assoziiert man unberechtigterweise noch zu oft mit den nüchternen Sozial- oder Betonbauten der Nachkriegszeit. Dabei sind sie heute zentrale Treiber für höhere Produktivität und bessere Qualität. Andere Branchen wie beispielsweise die Automobilindustrie sind da viel weiter und haben nicht trotz, sondern dank dieser Faktoren Design-Ikonen hervorgebracht, welche weit über die Automobilwelt hinaus bekannt sind. Der Hauptgrund, wieso andere Branchen seit Langem auf Industrialisierung setzen, liegt vor allem am Druck überlebensfähig zu bleiben. Unsere Branche, insbesondere in der Schweiz, ist von diesem existenzbedrohenden Druck bisher verschont geblieben, was sich negativ auf die Innovationskraft und Effizienzsteigerung ausgewirkt hat.
Dabei sind Standardisierung, Skalierung und Vorfabrikation keineswegs ein Hindernis für guten Städtebau und gute Architektur – im Gegenteil. Diese Faktoren haben sehr positive Effekte auf die Qualität von Gebäuden, Quartieren und Städten. Standardisierte Bauweisen und Elemente vereinfachen Planung und Bau und sorgen für Effizienz. In Kombination mit innovativen Nutzungs- und Freiraumkonzepten sowie durchdachtem Design entstehen hochwertige und zukunftsfähige Bauwerke.
Warum sind Datentransparenz und Business Intelligence für die Bauwirtschaft so wichtig?
Für jedes Projekt ist ein durchgängiges und transparentes Wissens-, Informations- und Datenmanagement erforderlich. So können fundierte Entscheidungen getroffen, verbindliche Ziele gesetzt und deren Erreichung gemessen, aber auch aus Erfahrungen gelernt werden. Dies gilt umso mehr, weil die Branche stark fragmentiert ist. Seit rund zehn Jahren nutzen wir die Potenziale der Digitalisierung, insbesondere BIM, sodass wir jederzeit über vollständige und aktuelle Informationen und Daten verfügen, die uns bei der Analyse, Optimierung und Entscheidungsfindung unterstützen.
Die Informationen und Daten werden aber erst in Kombination mit Business Intelligence nützlich. Oder anders formuliert: Informationen und Daten allein führen nicht zu guten Entscheidungen und Ergebnissen. Dafür braucht es zwingend ein hohes Mass an Business Intelligence.
Wie werden Business-Intelligence-Ansätze bei Halter eingesetzt? Welche Innovationen sind daraus entstanden?
Zum Beispiel haben wir mit unserem Produkt «Movement» eine Lösung für das Bedürfnis nach platzsparendem (und preiswertem), aber dennoch attraktivem Wohnraum entwickelt. Durch verschiebbare Möbelelemente wird der gleiche Nutzen wie in einer konventionellen Wohnung auf rund 25 Prozent weniger Fläche erreicht. Das Produkt entspricht auch anderen gesellschaftlichen Gewohnheiten und Tendenzen und wir erreichen damit neben einem geringeren Flächenverbrauch pro Wohnung auch eine höhere Attraktivität bzw. Wettbewerbsvorteile. Dieses von uns entwickelte Produkt eignet sich hervorragend für die Konversion von ungenutzten Bürogebäuden zu neuen Wohngebäuden und stellt somit eine mögliche Lösung für die (rasche) Schaffung von bezahlbarem und attraktivem Wohnraum in Bestandsliegenschaften dar.
Halter ist auch im Bereich des gemeinnützigen Wohnungsbaus aktiv. Wie kommt das?
Die sich abzeichnende Wohnungsnot in der Schweiz entwickelt sich zunehmend zu einem gesellschaftlichen Problem, das immer mehr Menschen betrifft. Der Bedarf an bezahlbarem Wohnraum ist akut. Wir nehmen diese Situation sehr ernst und setzen uns aktiv für die Entwicklung und Umsetzung guter Lösungen ein. Der oft noch geschützte, durch traditionelle Baugenossenschaften besetzte Markt des genossenschaftlichen Wohnungsbaus hat noch viel Potenzial: Ineffiziente Prozesse und Vorgehensmodelle sowie ein eingeschränkter Wettbewerb durch Protektionismus verhindern «echte» kostengünstige Resultate, welche aktuell meist nur durch – eigentlich unnötige – Subventionen «künstlich» erreicht werden. Anstatt die Regulierung weiter auszubauen, wie es gerade die Tendenz ist, braucht es weniger und dafür bewusstere Regulierung. Leitplanken sind wichtig, doch unternehmerisches Denken und Handeln erfordert ausreichend Spielraum. Die Privatwirtschaft muss Teil der Lösung sein und kann – ergänzend zu den traditionellen Genossenschaften – einen entscheidenden Beitrag zu mehr bezahlbarem Wohnraum leisten.
Wie kann ein privatwirtschaftliches Unternehmen dazu beitragen, mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen?
Wir sind der festen Überzeugung, dass bezahlbarer Wohnungsbau und privatwirtschaftliche Interessen keine Gegensätze sind. Im Gegenteil, denn hier sind vor allem Wettbewerb, Innovation und Wirtschaftlichkeit gefragt, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Mit unserer unabhängigen Entwicklungsgenossenschaft «Wir sind Stadtgarten» fördern wir den bezahlbaren Wohnungsbau, indem wir neue und bestehende Genossenschaften, Gemeinden und Städte sowie Arealeigentümer beim Aufbau, der Entwicklung und der Umsetzung von Genossenschaftsprojekten in der ganzen Schweiz unterstützen.
Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum bedingt Effizienz, Suffizienz und absolute Verbindlichkeit bezüglich Einhaltung von Kosten- und Qualitätszielen. Und genau das stellen wir durch unsere Kompetenz und unser Know-how sicher – bedingungslos. Gleichzeitig versuchen wir auch in diesem Bereich innovativ zu sein und entwickeln neue Lösungen wie zum Beispiel Hybridmodelle, die Genossenschafts- und Stockwerkeigentumsmodelle vereinen. Diese sogenannten Eigentümergenossenschaften garantieren trotz Stockwerkeigentum einen spekulationsfreien Umgang mit Landreserven und geniessen somit eine hohe Nachfrage.
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