Mental Health bei Männern bleibt in der Schweiz ein stark tabuisiertes Thema, doch ein offener Umgang ist entscheidend für das eigene Wohlbefinden. Im Interview mit «Fokus» spricht der Schweizer Schauspieler und Unicef-Botschafter über seinen Werdegang und die Bedeutung psychischer Gesundheit.
Anatole Taubman, könnten Sie uns zu Beginn etwas über Ihren beruflichen Werdegang erzählen und wie Sie zur Schauspielerei gekommen sind?
Es war ein Schlüsselmoment, der mich meine Laufbahn einschlagen liess. Nach einer Schultheateraufführung von Shakespeare «Der Kaufmann von Venedig» im Internat in Einsiedeln war mir auf einen Schlag klar, was die Schauspielerei mir zurückgibt. Ich mimte eine düstere Figur und nach der Vorstellung kamen viele auf mich zu und sagten, sie hätten mich nicht wiedererkannt, so überzeugend und glaubhaft hätte ich die Rolle gespielt. Ich war bis dahin mehr als «Clown» bekannt. Nun fühlte ich mich ernst genommen. Das war der Grundstein für meine spätere Ausbildung an der renommierten Schauspielschule Circle in the Square in New York.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag für Sie aus und wie variiert dieser je nach Projekt oder Rolle?
Während der Dreharbeiten bin ich in «the Zone», konzentriert und diszipliniert. Alles ist klar strukturiert, was mir sehr zugutekommt.
Wenn ich nicht drehe, variieren die Tage sehr. Einen typischen Alltag gibt es bei mir nicht. Die morgendliche Zigarette, etwas durch die Wohnung fliegen und ein bisschen Haushalt machen, das ist ziemlich gesetzt. Das ist sehr therapeutisch für mich und hilft mir, im Tag anzukommen, ansonsten ist der weitere Verlauf von Tag zu Tag verschieden.
Wie definieren Sie persönlich eine gute Work-Life-Balance?
Es ist für mich sehr wichtig, einen Ausgleich zu haben. Die Wochenenden sind mir deshalb heilig, am liebsten verbringe ich sie mit meiner Familie. Tägliche Zeit für mich ist ein wichtiger Teil davon. Kommunikation und Kompromisse sind essenziell in einer Familie.
Welche Herausforderungen haben Sie bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben erlebt?
Selbstständiger Schauspieler, Produzent, Freund und gleichzeitig Familienvater und Ehemann in einem zu sein, verlangt ein gewisses Mass an Organisation und Disziplin. Wir schaukeln das zu Hause wunderbar.
Welche Aktivitäten oder Routinen helfen Ihnen, sich nach einem intensiven Arbeitstag wieder aufzuladen?
Fussball! Ich bin ein fanatischer Fussballfan, sowohl aktiv als auch passiv. Manchester United ist meine Religion. Ich verpasse kein Fussballtraining oder Zusammenfassung.
Ich liebe es auch, mit meinem Sohn aktiv Fussball zu spielen: Da bin ich mehrere Stunden im Flow – ein kompletter Tapetenwechsel und Quality Time. Ansonsten baue ich täglich Fitnessübungen ein. Das tut gut, gleicht aus, hält die Balance. Dazu mache ich «WAMs» (Wait A Minute). Für alle Interessierten empfehle ich, weitere Informationen online zu recherchieren – es lohnt sich auf jeden Fall. Eine gute Portion Selbstliebe, Humor und Selbstironie sind zwingend notwendig.
Gibt es spezielle Techniken oder Methoden, die Sie nutzen, um Stress abzubauen?
Ich versuche sehr bewusst zu leben. Da ich ein ziemlich aktives ADHS habe und alles spannend finde, bin ich ein Weltmeister im Verzetteln. Zeitmanagement ist daher für mich eine riesige Herausforderung, deshalb lege ich grossen Wert auf eine Tagesstruktur. Diese einzuhalten, gibt mir Ruhe und vermeidet Stress.
Wie finden Sie Zeit für sich selbst, insbesondere während intensiver Arbeitsphasen?
Dreharbeiten sind für mich herrlich, da alles genauestens strukturiert ist und ich nur mich organisieren muss. Ich bin auch ein grosser Teamplayer und gerade deshalb ist es wichtig, auch während der Dreharbeiten bewusst Zeiten für mich selbst einzuplanen.
Zeit ist wirklich mein Thema. Ich brauche für alles viel Zeit, mache aber auch alles sehr genau. Ich schaffe mir immer wieder Fenster für mich. Beispielsweise gehe ich auf wenige Veranstaltungen und wenn ich an Veranstaltungen gehe, sagen mir Partys nicht mehr so zu. Früh aufzubrechen und mit mir wichtigen Menschen noch einen Absacker an der Hotelbar zu trinken – das sind solche bewussten Entscheidungen, die mir mehr Raum und Zeit geben für das wirklich Wichtige im Leben.
Welche Ratschläge würden Sie jemandem geben, der Schwierigkeiten hat, eine gesunde Balance im Leben zu finden?
Ich würde mich mit Leuten umgeben, die eine Balance im Leben haben. Nicht so einfach, aber es hilft. Kinder und Hunde geben ebenfalls eine Struktur vor und man lebt automatisch gesünder. Um Rückenschmerzen nach Bandscheibenvorfällen vorzubeugen, gehören für mich seit Jahren tägliches Yoga und Sport dazu. Das hilft sehr, ebenso wie Post-its und Notizzettel für die wichtigsten Pendenzen des Tages. An dieser Stelle wiederhole ich gerne – Struktur und bewusste Planung helfen, eine gesunde Balance im Leben zu finden. Am wichtigsten ist es, einen Job zu wählen oder sich in einem Bereich weiterzubilden, der wirklich Freude, Erfüllung und Selbstwirksamkeit bringt. Das ist mehr als die halbe Miete.
Es geht im Leben auch beständig darum, seinen inneren Beobachter zu schärfen, um sich besser zu spüren und zu regulieren.
Wie gehen Sie mit den emotionalen Anforderungen und Belastungen Ihres Berufs um?
In eine neue Rolle einzutauchen verlangt mir immer viel ab. Akribische Vorbereitungen und Recherchen sind zwingend notwendig für mich. Ich ziehe mich zur intensiven Vorbereitung gerne zurück. So kann ich die emotionale Balance besser halten, da ich mich natürlich ganz auf mich konzentrieren kann. Ansonsten liebe ich die emotionalen Anforderungen meines Berufes auch sehr – sie geben mir mehr Kraft, als dass sie Energie rauben. Eine grosse Säule meines Handwerkes sind ja gerade die Emotionen. Der Mensch steht im Zentrum. Ich liebe es, in die Anatomie der komplexen menschlichen Psyche unter speziellen Umständen einzutauchen. Begegnungen mit Menschen und Charakterstudien sind für mich sehr bereichernd und inspirierend.
Welche Strategien haben Sie entwickelt, um Ihre mentale Gesundheit zu unterstützen und zu erhalten?
«Life is not about waiting for the storm to pass, life is about knowing how to dance in the rain.» Ich habe gelernt zu unterscheiden, wo, wann und mit wem ich was verändern kann und wo nur akzeptieren und hinnehmen funktioniert. Ich verehre Bäume. Ihre Urkraft, ihre Selbstverständlichkeit, ihre Resilienz und Ruhe – ich möchte wie ein grosser, starker Baum sein. Das ist ein Bild, das ich für mich verinnerlicht habe. Simplicity and Fluidity. Prinzipien vor persönlichen Befindlichkeiten.
Ich habe gelernt zu unterscheiden, wo, wann und mit wem ich was verändern kann und wo nur akzeptieren und hinnehmen funktioniert. – Anatole Taubman
Ich treffe mich daher beispielsweise in meinem Privatleben mit Menschen, die mir guttun. Ich habe mich deshalb in den letzten Jahren auch bewusst von einigen Menschen verabschiedet. Das ist nie einfach, aber ich weiss, dass dies für mein inneres Gleichgewicht sehr wichtig war. Echte Freunde, Bewegung und frische Luft, vor allem im Wald, gutes Essen, WAMs, Fussball, der tägliche Austausch mit meiner Frau, Zitate und Sprüche, Erinnerungsstücke und Erinnerungsfotos, all das hält mich in Balance und ist sehr wichtig für mich.
Wie stehen Sie zu dem Gedanken, dass Männer oft ermutigt werden, ihre Probleme alleine zu bewältigen, statt Hilfe zu suchen?
Werden Männer das? Ich sehe diesbezüglich glücklicherweise seit einigen Jahren, zumal in gewissen Gesellschaftsschichten, einen eindeutigen Gegentrend.
Tendenziell, und das bezeugen ja auch Studien, ist es so, dass Männer viel weniger in die Therapie gehen und Hilfe holen. Stress äussert sich bei ihnen häufig in Wut oder Aggression, weniger in Trauer oder Rückzug wie bei Frauen. Deshalb werden bei Männern fälschlicherweise auch weniger Depressionen diagnostiziert. Das kann fatale Folgen haben. Die Suizidrate ist bei Männern somit signifikant höher als bei Frauen.
Ich kenne viele Männer, die mit Gefühlen sehr gut umgehen, diese benennen, darüber sprechen. Es gibt auch Männer, die machen weniger schnell auf und das ist auch ok. Und natürlich ist es in einem gewissen Masse auch Charaktersache.
Nichtsdestotrotz ist es wichtig, dass Männern unmissverständlich transportiert wird, dass es wichtig ist, sich Hilfe zu holen. Und dabei zeigt man nicht Schwäche, sondern vielmehr Stärke. Weil man mit sich und seinen Gefühlen verbunden ist, sich spürt, ernst nimmt. Akzeptanz, Selbstliebe, Hinterfragen von langjährig tradierten Normvorstellungen. Davon profitiert das Individuum und nicht zuletzt auch das Umfeld.
Haben Sie das Gefühl, dass es in der Männerwelt spezielle Erwartungen oder Tabus gibt, wenn es um die mentale Gesundheit geht?
Ja, ich habe es soeben schon angesprochen. Mentale Probleme haben und in die Therapie gehen, werden immer noch vermehrt mit einem traditionell weiblichen Rollenbild konnotiert. Genau deshalb sind Männer auch eher aggressiv und wütend, wenn sie depressiv sind, denn gesellschaftliche Normvorstellungen assoziieren mit Symptomen für Depression wie Trauer, Angst und Rückzug weibliche Attribute. Die meisten Männer wollen nicht weiblich wirken und damit steht es ausser Frage, sich einzugestehen, dass man(n) sich eigentlich sehr alleine und traurig und hilflos fühlt. Dabei sind Wut und Aggression, erhöhtes Risikoverhalten etc. nur eine Maske für die tieferen Gefühle darunter.
Wissen Sie, meine Frau produziert einen Psychologie-Podcast. Darin hat sie zwei Folgen zu Mental Health bei Männern realisiert – darum bin ich darin wirklich etwas bewandert (lacht)!
Welche Ratschläge würden Sie anderen Männern geben, die Schwierigkeiten haben, ihre mentalen Herausforderungen offen zu adressieren?
Es gibt mittlerweile massgeschneiderte Psychotherapien für Männer. Also Expert:innen, die sich mit den genau hierfür spezifischen Hürden und Problemen auskennen. Die Uni Zürich beispielsweise sucht dafür auch Probanden. Zudem gibt es auch öffentliche Angebote, die spezifisch auf Männer zugeschnitten sind. Wie die Männerberatung beispielsweise. Es gibt heute Onlinetherapien – wenn jemand beispielsweise das Wartezimmer einer Psychologin fürchtet. Man sollte diese guten Angebote nutzen!
Vielleicht hilft es auch, ein Tagebuch zu führen. Was war heute gut, was war heute schlecht? Indem man Dinge zu Papier bringt, werden sie plastischer, man kann sie besser akzeptieren und dadurch wohl auch verbalisieren. Wichtig dabei ist, dass man sich gleich viele positive, wenn möglich auch mehr positive Ereignisse, Gefühle notiert als negative. Und meistens gelingt dies ganz von alleine.
Bilder ©Mirjam Kluka
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