bau «nachhaltiges bauen erfort von anfang an einen ganzheitlichen ansatz»
Bau & Immobilien Corporate Social Responsibility

«Nachhaltiges Bauen erfordert von Anfang an einen ganzheitlichen Ansatz»

28.08.2021
von Akvile Arlauskaite

Gerade in der Baubranche spielt die Nachhaltigkeit eine immens wichtige Rolle. Diese ist mit einem Anteil von etwa 40 Prozent an den gesamten CO2-Emissionen einer der grössten Emittenten weltweit – und stellt damit eine grosse Herausforderung für die Zukunft dar. In dieser Hinsicht ist die Verwendung nachhaltiger, kreislauffähiger Materialien für ökologisches Bauen unerlässlich. «Fokus» hat sich mit Jörg Watter, dipl. Architekt ETH/SIA Baubiologe, Energieberater und Fachmann für kreislauffähiges Bauen, darüber unterhalten.

Jörg Watter

Jörg Watter

Herr Jörg Watter, was zeichnet ein nachhaltiges Bauwerk aus?

Nachhaltige Bauwerke erfüllen alle drei Aspekte der Nachhaltigkeitsbetrachtung. Im Sinne des sozialen Aspekts soll Architektur die Lebensqualität der Bewohner:innen fördern. Aus ökologischer Sicht steht das Schaffen eines gesunden Wohn- und Arbeitsumfeldes im Fokus. Letztlich geht es beim ökonomischen Aspekt um tragbare Mieten, aber auch faire Erträge für Investierende und Unternehmende.

Welche Anforderungen sollte ein Baumaterial erfüllen, um als nachhaltig zu gelten?

Die Kreislauffähigkeit ist hierbei zentral. Nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip wird zwischen dem biologischen und dem technischen Kreislauf unterschieden. Demnach soll ein nachhaltiger Baustoff am Ende entweder kompostierbar oder für ein neues Produkt wiederverwendbar sein. Durch vermehrte Investitionen in hochwertige, nachhaltige Bauprodukte würde die Branche nicht nur weniger Abfall erzeugen, sondern auch Gelder von rund 2 Milliarden Franken einsparen, die in der Schweiz jährlich für Reparaturen von Bauschäden anfallen.

Inwiefern ist Holz eines der nachhaltigsten Baustoffe?

Holz erfüllt die erwähnten Nachhaltigkeitsaspekte weitgehend. Es ist nachwachsend, meist lokal vorhanden, benötigt beim Verbauen wenige Arbeitsschritte und erbringt eine positive CO2-Bilanz. Ein grosses Aber ist jedoch, dass Holz, vor allem im mehrgeschossigen Bau, häufig zu statisch formstabilen Trägern verleimt wird. Doch obwohl verleimtes Holz mehr CO2 verursacht, ist dessen Herstellung immer noch weniger energieintensiv als diejenige von Beton oder Stahl.

Der klassische Baustoff Beton hat hingegen eine vergleichsweise schlechte Ökobilanz.

Dennoch ist er ein genialer Baustoff. Statisch ist Beton kaum zu übertreffen, kann in fast jede Form gegossen werden und ist vor allem billig. Allerdings schränkt er nicht nur die Flexibilität eines Bauwerks ein, sondern benötigt auch Unterhalt, wenn er reisst oder der Armierungsstahl korrodiert. Ich bin ein Verfechter davon, richtiges Material am richtigen Ort zu verwenden. Insofern sollte Beton vor allem bei Bauten im Untergrund und hoher statischer Belastung eingesetzt werden. Heute sehe ich leider zu viele Wohnbauten, welche einfach durchbetoniert werden.

Es wird erforscht, wie die Ökobilanz von Beton verbessern werden kann. Wie schätzen Sie das Potenzial hier ein?

Vor allem im Recycling von Beton ist die Schweiz sehr progressiv. Das ist entscheidend: In den letzten 60 Jahren wurde viel gebaut, was heute wieder abgebrochen wird. Dabei kommt viel Betongranulat von oft unbekannter Zusammensetzung zusammen, sodass zuerst analysiert werden muss, wo dieses wieder eingesetzt werden kann und darf. Weiter wird versucht, die Ökobilanz von Zement, dessen Herstellung sehr energie- und ressourcenintensiv ist, durch den Einsatz regenerativer Energien zu verbessern. Da sind wir jedoch noch in den Anfängen.

Auf welche nachhaltigen Materialien kann beim Mauerwerk zurückgegriffen werden?

Lehm hat in den letzten Jahren ein Revival erlebt. Er steht fast überall als Rohstoff zur Verfügung und lässt sich leicht aufbereiten. Dessen Brennen ist jedoch ein sehr energieintensiver Prozess. Kalksandstein muss hingegen nicht gebrannt werden und hat insofern eine bessere Ökobilanz. Dafür ist er beim Bau anspruchsvoller. Letztlich ist hier die Arbeit der Planenden entscheidend, denn die Struktur und Statik eines Gebäudes geben die Materialwahl vor. Insofern erfordert nachhaltiges Bauen von Anfang an einen ganzheitlichen Ansatz.

Inwieweit lässt sich die Tragkonstruktion mit bestimmten Materialien nachhaltiger gestalten als mit dem üblichen Stahlbeton?

Nebst dem reinen Stahlbau sind Holz, Backstein, Kalksandstein sowie Lehm nachhaltige Alternativen. Auch hier gilt: Das richtige Material am richtigen Ort einsetzen. Bei hoher statischer Belastung mag eine Stahlstütze die beste Lösung sein. Dies kann allenfalls durch entsprechende Tragwerksplanung vermieden werden, sodass man stattdessen Holz, Stein oder Lehm einsetzen kann.

Welche Vorteile bieten natürliche Dämmstoffe aus Holz, Schafwolle, Kokos, Hanf, Jute oder Kork im Vergleich zu Stoffen fossilen Ursprungs?

Sie weisen deutlich geringere Umweltbelastungspunkte auf. Kokosfasern etwa sind tonnenweise erhältlich, sehr langlebig, feuchtigkeitsresistent und damit eine geniale Alternative zu Polystyrol für die Trittschalldämmung. Natürliche Dämmstoffe sind zudem nicht nur nachwachsend, sondern auch recycelbar, sofern richtig verbaut. Das Recycling von Polystyrolplatten ist hingegen aufwendig im Rückbau und energieintensiv in der Weiterverwendung.

Was können Baufirmen konkret tun, um Schritte in Richtung Nachhaltigkeit zu unternehmen?

Sie sollten ihre gesamte Lieferkette kritisch hinterfragen: Woher kommt das Baumaterial? Kann es auch lokal bezogen werden? Ist das Produkt reparierbar? Muss es am Ende seiner Lebensdauer entsorgt oder kann es wiederverwendet werden? Zwar sind solche Fragen mit viel Aufwand verbunden und manchmal auch unangenehm. Dennoch ist es wichtig, dass jede Berufsgruppe sich damit auseinandersetzt.

Was erschwert es Baufirmen, nachhaltig zu agieren?

Die Tatsache, dass CO2 immer noch zu billig ist. Somit fehlt der Anreiz für alle Marktteilnehmenden, nachhaltige und etwas teurere Baustoffe zu verwenden. Und obwohl das Bewusstsein für die Wichtigkeit kreislauffähiger Baustoffe langsam aufkommt, steht nicht nur die Schweiz, sondern nahezu die gesamte Welt noch ganz am Anfang dieser Geschichte. Wir hätten hier also die grosse Chance, eine Vorreiterrolle einzunehmen.

Warum entstehen aus Ihrer Sicht nicht mehr kreislauffähige Bauten?

Das Grundwissen und die Baustoffe wären vorhanden, aber um es auf einen Nenner zu bringen: Investierende wissen nicht, was sie bestellen sollen, Planende können nicht kompetent beraten, Unternehmende wissen nicht, was sie verbauen und Käufer:innen verstehen nicht, was sie erwerben. Und wenn Kompetenzen auf allen Ebenen fehlen, kann nur mit verbesserter Ausbildung, Weiterbildung und kompetenter Information am Rad weitergedreht werden. Das ist auch meine Motivation, mich im Verein für Nachhaltiges und Biologisches Bauen VNBB zu engagieren, weil wir uns hier um die Bildung der jungen Generation für die Herausforderungen der Baubranche von Morgen einsetzen können. 

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Weitere Informationen

Zahlreiche Berufsverbände im Baubereich haben erkannt, dass sie nachhaltige Themen bereits in der Ausbildung der jungen Berufsleute stärker einbinden müssen, damit nicht nur nachhaltig geplant, sondern auch nachhaltig gebaut wird. Der VNBB bietet daher allen Berufsverbänden an, sich dem Verein anzuschliessen, um gemeinsam die grossen anstehenden Herausforderungen zu einer nachhaltigen Baukultur zu bewältigen. Jede Berufsgruppe soll sich mit den Themen des nachhaltigen Bauens und der Kreislauffähigkeit ihrer Produkte und Angebote auseinandersetzen, um so einen Beitrag zur Erhöhung der gesamten Handlungskompetenzen der Branche und ihrer Mitglieder zu leisten.

Mehr Informationen unter www.vnbb.org

Weiterführende Links:

  • Virtueller Eröffnungsevent der NEST-Unit «HiLo» 6. Oktober 2021 (empa.ch/hilo-opening)
  • ZAHW Wädenswil: Eröffnung KREIS Haus, 3. 4. September in Feldbach, zhaw.ch/iunr/kreishaus-eroeffnung
    Freitag, 3. September Eröffnung für Medien und Sponsoren, unter anderem mit Regierungsrat Dr. Martin Neukom

 

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