Der Schweizer Klimatologe und Professor für Klimaphysik Reto Knutti ist davon überzeugt, dass der Klimawandel noch aufzuhalten ist. Jedoch müssen Politik, Wirtschaft und das Individuum am gleichen Strang ziehen.
Der UNO-Klimarat veröffentlichte am 9. August den sechsten Klimabericht. Es wird erwartet, dass sich ohne drastische Massnahmen die Temperatur bis etwa 2030 um 1,5 Grad gegenüber vorindustriell erhöhen wird. Was löst diese Prognose in Ihnen aus?
Als Klimaforscher, ein Schulterzucken. Wir sagen seit Jahrzehnten all das voraus, was nun eintrifft. Jeder Bericht macht es einfach noch etwas robuster und fügt dem Bild ein paar Finessen hinzu. Gleichzeitig löst die Situation als Bürger und Vater Angst und Frustration aus, weil wir seit einem halben Jahrhundert unfähig sind, auf das Problem zu reagieren.
Können wir überhaupt noch etwas tun, um den Klimawandel aufzuhalten?
Natürlich. Der grösste Teil des Klimawandels ist zwar über viele Jahrhunderte nicht rückgängig zu machen, aber die CO2-Emissionen über die nächsten Jahrzehnte werden bestimmen, ob wir bei 1,5 oder 2 oder 3 Grad landen. Technisch und wirtschaftlich ist ein ambitioniertes Klimaziel durchaus machbar und es ist deutlich günstiger, als weiter zu wursteln und später für die Schäden zu bezahlen. Was fehlt, ist der politische Wille.
Der Sommer 2021 brachte extreme Wetterereignisse mit sich, auch in der Schweiz. Müssen wir uns zukünftig an solche Ereignisse gewöhnen?
Besonders Hitzewellen wie in Kanada oder Griechenland und Starkniederschläge wie in der Schweiz und Deutschland nehmen zu. Und immer mehr werden Rekorde nicht nur knapp übertroffen, sondern regelrecht pulverisiert. Das ist ein grosses Risiko, weil wir uns zu oft an bestehenden Rekorden orientieren und anpassen. Als Konsequenz sind wir dann unvorbereitet.
Die Wichtigkeit des Klimaschutzes ist in Teilen der Bevölkerung noch nicht angekommen, Initiativen wie das CO2-Gesetz werden vom Volk abgelehnt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Die Ablehnung des CO2-Gesetzes war knapp und ohne die hohe Mobilisierung gegen die Agrarinitiativen in den ländlichen Gebieten hätte es wohl gereicht. Aber tatsächlich ist die Dringlichkeit nicht überall angekommen. Wir sind etwas träge, egoistisch und kurzsichtig. Viele fürchten die kurzfristigen Kosten und Regulierungen. Aber machen wir uns nichts vor: Mit gut schweizerischem Mittelmass und Abwarten wird es nicht reichen. Die Schweiz hat das Übereinkommen von Paris und damit ein Netto-Null-CO2-Ziel vor 2050 ratifiziert. Diesen Beitrag müssen wir leisten. Zur Debatte steht nur, mit welchen politischen Instrumenten wir das tun wollen.
Welche Rolle kann die kleine Schweiz denn überhaupt spielen?
In der UNO gilt das Prinzip der «gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung». Alle müssen gemeinsam handeln, aber wer mehr Technologie, Geld, Infrastruktur und gut ausgebildete Leute hat, der kann und muss mehr leisten. Wenn die Schweiz das nicht meistert, wer dann sonst? Wir sollten die Chancen für eine intakte Natur, aber auch die Innovation packen. Es lohnt sich. International kann die Schweiz als neutrales und verlässliches Land auch vermitteln und Vorschläge in die Klimaverhandlungen einbringen.
Eine Studie ergab, dass satte 71 Prozent der globalen Emissionen von nur 100 Unternehmen produziert wird. Kann ich als Individuum also kaum etwas zum Klimaschutz beitragen?
Die Emissionen von diesen Firmen sind auch nur so hoch, weil wir all diese Produkte kaufen. Mit unseren Entscheidungen können wir natürlich unseren Fussabdruck massiv reduzieren. Es war noch nie so einfach und attraktiv wie heute.
Was kann eine Einzelperson konkret tun, um den Klimaschutz zu unterstützen?
Die offensichtlichsten Schritte kennen wir schon lange: weniger Autofahren, ein elektrisches Auto, weg von der Ölheizung, weniger Fliegen, weniger tierische Produkte konsumieren.
Das ist alles wichtig, aber machen wir uns nichts vor: Eigenverantwortung und Markt allein reichen nicht aus. Ich kann mit meinen persönlichen Entscheiden weder einen Veloweg bauen, noch Technologien entwickeln. Es braucht griffige politische Rahmenbedingungen, damit alle beim Klimaschutz mitmachen und damit die nötige Infrastruktur aufgebaut wird. Dafür braucht es den politischen Prozess.
Wie wichtig ist die Unterstützung der Wirtschaft?
Die Wirtschaft spielt eine zentrale Rolle. Grosse Teile haben erkannt, dass der Status Quo ein wirtschaftliches Risiko darstellt: Veränderungen im Kundenverhalten, Regulierungen, Klagen, Kosten auf CO2 oder Shitstorms. Gleichzeitig erkennt die Wirtschaft die neuen Geschäftsfelder. Bei den Personenwagen zum Beispiel ist das Ende der Verbrenner besiegelt, ohne politische Intervention. In anderen Sektoren sind Ideen und Wille da, aber es braucht noch Starthilfe. Wichtig ist, dass man die Weichen früh stellt, weil Veränderungen nicht von heute auf morgen vor sich gehen können.
Viele hoffen, dass technische Innovationen den Klimawandel aufhalten
werden. Wie realistisch ist das?
Die technischen Lösungen sind zentral. Wir werden die Menschen nicht dazu bringen, dass sie einen Lebensstandard wie denjenigen von unseren Urgrosseltern akzeptieren, und das ist auch nicht nötig. Wir müssen in erster Linie weg von Öl, Gas und Kohle, und das ist möglich. Gleichzeitig ist klar, dass Technologie nicht vom Himmel fällt: Man muss sie erforschen und unterstützen, damit sie den Weg in die breite Masse findet. Und bei allem Glaube an Technologie müssen wir überlegen, wie viel Konsum und Mobilität nötig ist, was eine Welt lebenswert macht und wie wir sie unseren Kindern übergeben. Wir werden sie weiterentwickeln müssen, aber nachhaltig.
Tiefgreifende politische Massnahmen zum Schutze der Bevölkerung liegen im Bereich des Möglichen, dies hat uns die Covidkrise gezeigt. Braucht es ähnlich drastische Massnahmen, wenn es um den Klimaschutz geht?
Die Pandemie hat uns aufgezeigt, wie verwundbar die Gesellschaft ist. Sie hat uns auch gezeigt, dass rasches und dezidiertes Handeln im Prinzip möglich ist, wenn es nötig ist. Daraus können wir lernen. Von oben diktierte Massnahmen sind jedoch nur kurzfristig eine Option. Der Kampf gegen den Klimawandel wird Jahrzehnte dauern. Die Massnahmen müssen damit zwingend über den demokratischen Prozess entschieden werden, damit alle sie mittragen. Politik sei ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern, hat Max Weber einmal gesagt. Das gilt auch, oder ganz besonders, für Klimapolitik.
Es gibt noch immer Menschen, die schlichtweg nicht an den Klimawandel glauben. Wie begegnen Sie solchen Leuten?
Es gibt immer weniger Menschen, welche die Existenz des Klimawandels oder den Einfluss des Menschen abstreiten. Die Faktenlage ist eindeutig. Die Einwände verlagern sich nun in Richtung Ablenkung. Argumente, dass es nicht so schlimm sei, die Lösungen zu teuer oder ineffizient, dass sich das Ganze von allein lösen werde, oder dass es jetzt schon hoffnungslos sei, zählen dazu. Dahinter steckt in den wenigsten Fällen Unwissen, sondern vielmehr die Tatsache, dass diese Menschen ein bestimmtes Weltbild haben, das oft geprägt ist von Individualismus, Freiheit und Misstrauen in staatliche Regulierung. Die vorgeschlagenen Massnahmen zum Klimaschutz stellen dieses Weltbild in Frage. Und es geht uns allen so: Es ist einfacher etwas abzustreiten, was uns nicht passt, als unser Verhalten zu hinterfragen. Wenn man die Bedenken und Hintergründe der Menschen ernst nimmt, dann ist oft ein konstruktives Gespräch möglich. Wir können uns über die Fakten und die Dringlichkeit einig sein, aber dürfen durchaus debattieren, welche Entscheide wir mit diesen Fakten rechtfertigen. Das Klima ist da auch nicht einzigartig: Covid-Fallzahlen oder Asylgesuche sind die Fakten, aber sie bedeuten nicht Einigkeit im Umgang mit der Pandemie oder in der Flüchtlingspolitik.
Die extremen Wetterereignisse und der Klimabericht lassen bei einigen Menschen ein Gefühl von Hoffnungslosigkeit oder gar Endzeitstimmung aufkommen. Man spricht von Climate Anxiety. Was würden Sie jemandem sagen, der mit solchen Gefühlen kämpft?
Ich habe Verständnis, dass diese Ängste auftauchen. Ein Gespräch mit Gleichgesinnten hilft oft schon. Die Dringlichkeit ist nicht überall angekommen und unsere Anstrengungen genügen nicht. Aber mit Hoffnungslosigkeit lösen wir keine Probleme. Rückschläge gehören dazu und es gibt keine andere Möglichkeit als es immer wieder zu versuchen, jede und jeder in seiner Rolle. Wir haben keinen zweiten Planeten und keine zweite Chance. Jede Tonne CO2 zählt, jedes Jahr zählt. Ich bin optimistisch, dass wir das Schlimmste verhindern können, wenn wir wollen. Der beste Punkt zum Handeln war vor dreissig Jahren. Der zweitbeste ist jetzt.
Interview Fatima Di Pane
Bild Manuel Rickenbacher
Sollen alle nach Knutti’s CO₂ Pfeife tanzen?
𝘿𝙖𝙨 𝙆𝙡𝙞𝙢𝙖 𝙡𝙖𝙚𝙨𝙨𝙩 𝙨𝙞𝙘𝙝 𝙣𝙞𝙘𝙝𝙩 𝙨𝙘𝙝𝙪𝙚𝙩𝙯𝙚𝙣! 𝙀𝙨 𝙪𝙚𝙗𝙚𝙧𝙡𝙚𝙗𝙩 𝙙𝙞𝙚 𝙈𝙚𝙣𝙨𝙘𝙝𝙝𝙚𝙞𝙩.
Herr Knutti will nur seine Macht als kleiner Professor missbrauchen. Dabei basiert der Klimawandel, der in der Vergangenheit geschieht und nicht vorausgesagt werden kann nicht auf CO₂ , sondern aus vielen anderen Gründen.
Wer einmal einen James Bond gesehen hat, der kann Parallelen ziehen: Knutti als grössenwahnsinnigen Bösewicht!
Der Klimawandel basiert auf die Sonne, der Coroliskraft und auf Vorgänge in der Lithosphäre (Beispielsweise „auch“ auf die Verschiebung des magnetischen Nordpols).
Klima ist eine Statistik von vergangenen Wetterdaten. Herr Knutti kann das Wetter nicht voraussagen. Das schaffen nicht einmal Meterologen über eine Woche im Voraus! Ich frage mich, welche Kristallkugel er nützt!
Das Dilemma: wie die Erdgeschichte beweist, kann die belebte Erde ausgezeichnet mit einem Klima von 3 Grad+ umgehen. Dummerweise ist der Mensch in einer Kaltzeit erschienen. Wir haben mit dem CO2 ein Ungleichgewicht geschaffen. Das wieder – mit noch mehr Ressourcenverschleiss – wegzumachen wird mehr Schaden als Nutzen bringen. Deshalb bitte sorgfältig überlegen, was zu tun ist. CO2 in den Boden bringen ist nicht klug. Im Gegensatz zur Atmosphäre ist es dort in konzentrierter Form ein Fremdkörper.
Ja herr knutti, sie haben recht. Es braucht unbedingt politiker, die sagen wos lang geht. Jeder einzelne muss lernen zu verzichten.
Ein grosses Problem ist, dass wir immer noch nur die Liegestühle auf der Titanic anordnen. Ich warte immer noch auf den Winston-Churchill-Moment, in dem ein Politiker bereit ist zu sagen, dass es bei der Klimazerstörung um «Blut, Schweiss und Tränen» geht. Der Energiebedarf der Menschheit wird heute noch zu 84% durch fossile Brennstoffe gedeckt. Ausserdem liefert Öl den Rohstoff für die ganze petrochemische Industrie. Dies zu ändern, wird sehr schwierig sein. Wenn wir es nicht tun, haben unsere Kinder keine Chance. Um mit Harald Welzer zu sprechen, handelt es sich um die einseitige Aufkündigung des Generationenvertrages. Mehr dazu hier: https://nordborg.ch/2019/12/09/ist-die-zukunft-mehrheitsfahig/