Im grossen Interview spricht der Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher über die Industrie als Lösungsbringer, die Wichtigkeit und Möglichkeiten des Exports.
Stefan Brupbacher, Sie sind seit Anfang Januar 2019 im Amt als Swissmem-Direktor. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Es sind tatsächlich schon drei Jahre! Die Zeit verging wie im Flug. Der Job als Swissmem Direktor ist intensiv. Gleichzeitig ist er vielseitig, spannend und bereichernd. An erster Stelle steht der Austausch mit den Mitgliedfirmen. Das sind meist KMU, die mit weniger als 250 Mitarbeitenden in ihren Marktnischen oft Weltmarktführer sind. Viele werden seit mehreren Generationen von Unternehmerfamilien geführt. Ich spreche fast täglich mit Persönlichkeiten aus der Industrie – sei es per Telefon, in Arbeitsmeetings oder bei einem meiner zahlreichen Firmenbesuche. Dadurch bin ich nahe am Puls der Branche. Das ermöglicht mir und meinem Team, die Dienstleistungen von Swissmem bedürfnisgerecht weiterzuentwickeln und uns zielgerichtet in der Politik für unsere Mitglieder einzusetzen. Genauso wichtig ist der tägliche Austausch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Swissmem. Auf ihren Fachgebieten sind sie alle ausgewiesene Expert:innen. Diese Kombination aus Nähe zu den Mitgliedfirmen und Expertenwissen macht Swissmem zu einer schlagkräftigen Organisation – und den Job als Direktor einzigartig.
Wie hat sich die Schweizer Industrielandschaft in dieser Zeit verändert?
Die Schweizer Industrie verändert sich laufend. Und das ist gut so. Entwicklungen wie die Digitalisierung wurden durch die Pandemie beschleunigt. So schult fast jede Firma ihre Vertreter im Ausland digital. Gleichzeitig hat die Pandemie aber auch die traditionellen Stärken der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM-Industrie) gezeigt. Ich mache zwei Beispiele: Die Pandemie brachte eine absolute Ausnahmesituation. 2020 wurde innert sechs Monaten die globale Wirtschaft zuerst abgestellt und dann wieder auf Volllast hochgefahren. Das gab es noch nie. In diesem Chaos mussten die Betriebe das operative Geschäft aufrechterhalten, die Gesundheit der Mitarbeitenden schützen, Liquidität und Lieferketten sichern sowie Produkte – wo noch möglich – ausliefern. Unsere Firmen haben auch diese Krise mit Agilität, Internationalität, Engagement und Kreativität gemeistert. Das ist absolut beeindruckend und verdient höchste Anerkennung.
…. aber in den Medien sprach man vor allem vom Gesundheitswesen…
Natürlich und das ist richtig so. Das führt mich zum zweiten Beispiel: Die Pandemie hat gezeigt, dass die Industrie für das Funktionieren unserer Gesellschaft systemrelevant ist. Ohne die Mühlwerke der Bühler AG gäbe es weder Pasta, Brot noch Schokolade, ohne unsere Lifthersteller funktioniert kein Spital, ohne unsere Automatisationsfirmen werden keine Impfdosen abgefüllt, ohne Werkzeugmaschinenhersteller gäbe es keine Spritzen und ohne spezialisierte Zulieferfirmen gäbe es keine hier hergestellten Beatmungsgeräte. In der Fertigungsindustrie sind Schweizer Firmen Weltmeister mit Lösungen für fast jedes Problem. Das ist in der Öffentlichkeit leider zu wenig bekannt.
Für jedes Problem? Dann liefert die Industrie auch die Lösung beim Klimawandel?
Ja, besonders beim Klimawandel. Die Schweizer Industriefirmen entwickeln laufend energieeffizientere und ressourcenschonendere Fertigungstechnologien. Sie entwickeln Lösungen für die Wasserstoff- und E-Mobilität, Technologien für die Produktion von erneuerbaren Energien, energieeffiziente Gebäudetechnik und CO2-Abscheidmethoden. Wir sollten die MEM-Industrie deshalb viel eher Tech-Industrie nennen, weil sie mittels technologischer Lösungen die Welt tagtäglich ein Stück sicherer, umweltschonender, gesünder und wohlhabender – kurz besser macht.
Ohne Export gibt es keine Industrie in der Schweiz. Stefan Brupbacher
Und wie steht es in diesem Zusammenhang um die Wichtigkeit und Möglichkeiten des Exports?
Ohne Export gibt es keine Industrie in der Schweiz. Unsere Firmen exportieren rund 80 Prozent ihrer Produkte und Dienstleistungen. Der Schweizer Markt alleine könnte niemals die 320 000 Arbeitsplätze im Inland rechtfertigen. Vom Export profitiert aber nicht nur die Schweiz. Mit ihrem Produktemix aus neuen, klimafreundlichen Technologien kann die Schweizer Tech-Industrie weltweit einen substanziellen Beitrag zur Verringerung des CO2-Ausstosses leisten. Zudem ist sich die Bevölkerung in der Schweiz meist nicht bewusst, dass unsere Firmen in ihren ausländischen Tochterfirmen weitere 560 000 Mitarbeitende beschäftigen und so weltweit für Wohlstand sorgen.
Was sind die aktuellen Anliegen der exportorientierten MEM-Industrie?
Wir brauchen einen möglichst hindernisfreien Zugang zu den globalen Absatzmärkten. Der mit Abstand wichtigste Markt ist die EU, wohin fast 60 Prozent der Industrieexporte gehen. Seit der Beerdigung des Rahmenabkommens hat sich das Verhältnis zur EU leider verschlechtert. Für die Industrie sind jedoch gute Beziehungen zur EU zentral. Hier braucht es einen politischen Effort, um die derzeitige Negativspirale zu beenden und auf einen konstruktiven, zukunftsfähigen Pfad zurückzukehren.
Haben Sie auch hier die Lösung?
Die diplomatische Offensive des Bundesrats ist gut. Ein Neustart von Verhandlungen ist innenpolitisch aber derzeit blockiert. Es braucht deshalb eine Brücke für die EU und die Gewerkschaften. Beide müssen über den eigenen Schatten springen können. Unser Vorschlag: Wir digitalisieren und modernisieren die flankierenden Massnahmen, deren Umsetzung immer noch per Fax etc. erfolgt. Dank künstlicher Intelligenz können sich Kontrollorgane rasch auf echte Problemfälle fokussieren. Kontrollen werden so rascher und gezielter möglich. Das System wird billiger und die umstrittene Voranmeldefrist kann ohne Verminderung des Lohnschutzes reduziert werden. Dieser Win-win-Ansatz hilft, die Situation zu deblockieren.
Aber die Welt besteht ja nicht nur aus Europa.
Stimmt. Wir können weder auf die Märkte in den USA mit einem Exportanteil von 14 Prozent noch auf jene in China mit 7 Prozent Exportanteil verzichten. Entsprechend grosse Sorgen machen uns die Handelskonflikte zwischen den USA, Europa und China. Immer wieder versuchen Protektionisten unter dem Deckmäntelchen von Sicherheits-, Menschenrechts- und Umweltanliegen Handel zu verhindern. Leidtragende sind die Konsument:innen, deren Importe teurer werden sowie unsere Firmen, die weltweit geltende, sich widersprechende Gesetze der Machtblöcke schlicht nicht einhalten können. Nicht zuletzt drängt der Protektionismus die Bevölkerung in Schwellenländern wieder zurück in die Armut, der sie in den letzten Jahrzehnten dank Arbeitsplätzen in der Exportwirtschaft entfliehen konnte. Die Schweiz braucht deshalb eine kluge, neutrale Aussenwirtschaftspolitik. Sie soll sich nicht an den Konflikten der Grossmächte beteiligen. Zudem sage ich klar und offen: Protektionismus ist verantwortungslos!
Dann bereitet Ihnen der schwache Euro keine Sorgen?
Doch. Der schwache Euro ist eine dauernde Herausforderung für die stark exportorientierte Tech-Industrie. Die Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro hat erneut bedrohlich zugenommen. Sie drückt die ohnehin tiefen sowie durch die steigenden Rohstoffpreise reduzierten Margen.
Worauf sind Sie als Swissmem-Direktor aktuell besonders stolz? Und worauf weniger?
Meine Mitarbeitenden und ich freuen uns über das Lob von unseren Mitgliedfirmen, dass wir sie in der Covid-Krise durch arbeitsrechtliche Beratungen oder im Kampf gegen Lockdowns erfolgreich unterstützt haben. Das Lob zeigt sich im Wachstum unserer Mitgliedschaft. Enttäuscht bin ich, dass wir die Politik nicht vom Nutzen weiterer Verhandlungen beim Rahmenabkommen überzeugen konnten. Aber wie man sich nicht auf den Lorbeeren ausruhen darf, muss man aus Niederlagen lernen und es beim nächsten Mal besser machen.
Was tun Sie in Ihrer Freizeit? Wie erholen Sie sich vom Arbeitsstress?
Wir leben in einem wunderschönen Land. Jedes Wochenende gehen meine Ehefrau und ich in die Berge zum Wandern oder Skifahren. In den Ferien gehen wir in entfernte Länder Tauchen oder auf Walking-Safari. Erholung pur ohne Internet und Handyempfang!
Ein Ende der Coronapandemie scheint nicht so schnell in Sicht. Wie motivieren Sie Ihre Verbandsmitglieder?
Bei Covid sind wir nicht pessimistisch. Und die Industriefirmen sind bereits motiviert. Dafür braucht es uns nicht. Unsere Mitglieder werden von Unternehmerinnen und Unternehmern geführt, die zusammen mit ihren Mitarbeitenden anpacken, gestalten und nach vorne blicken. Das gemeinsame Ziel ist, langfristig erfolgreich zu sein. Die Aufgabe von Swissmem ist es, die Mitgliedfirmen auf diesem Weg in operativen Fragen bestmöglich zu unterstützen und auf der politischen Ebene für gute wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen zu sorgen. Und genau das ist meine Motivation!
Alle Welt spricht von Nachhaltigkeit, um nicht zuletzt auch die weltweiten CO2-Klimaziele zu erreichen. Was geht Ihnen zu diesem Thema durch den Kopf?
Ohne Zweifel ist die rasche Begrenzung des Klimawandels eine zentrale Herausforderung der nächsten Jahrzehnte. Klar ist, dass dafür eine massive Reduktion des CO2-Ausstosses erforderlich ist. Linke fordern deshalb Konsumverzicht und Konsumverbote. Das würde aber direkt in Rezessionen, Verarmung und Verteilkämpfe führen. Unter die Räder käme der Mittelstand. Die «Gilets Jaunes» in Frankreich haben gezeigt, dass sich der Mittelstand gegen den Abstieg wehrt. Ohne Unterstützung des Volks ist Klimaschutz Illusion.
Uns bleibt also nur ein Weg: der technologische Fortschritt. Er ist seit Jahren enorm. Seien wir zudem offen für alle Technologien, solange sie den CO2-Ausstoss reduzieren. Geben wir CO2 schliesslich einen Preis, damit sich Investitionen in CO2-arme neue Technologien lohnen. Für das Klima weltweit und die Schweizer Tech-Industrie ist das der Erfolgsweg! Wer diesen Weg mit unseren Firmen gehen will, wer eine sinnstiftende und spannende Aufgabe in einem modernen Umfeld will, den laden wir ein, in unserer Branche zu arbeiten. Der Einstieg ist allen offen. Sei es über eine Berufslehre, einen Quereinstieg oder über ein Studium an einer Universität oder Fachhochschule. Offene Stellen hat es. Frauen sind besonders willkommen.
Bild David Schweizer
Schreibe einen Kommentar