andy fitze
Digitalisierung Innovation Interview

Andy Fitze: «Für grosse Visionen braucht es mehr Leader»

31.08.2020
von Dominic Meier

Digitale Geschäftsmodelle entstehen nicht von alleine. Viele Unternehmen hinken noch hinterher, wenn es um Digitalisierungsstrategien geht. Für Andy Fitze, Co-Founder des Netzwerks SwissCognitive und Präsident des Swiss IT Leadership Forums, fehlt vielerorts nicht nur das digitale Know-how in den oberen Etagen, sondern auch der Mut zu mehr Innovation.

Herr Andy Fitze, was verstehen Sie unter dem viel verwendeten Begriff der «digitalen Transformation» für Unternehmen?

Echte Transformation geht in erster Linie nicht von Bestehendem aus, sondern erfindet sich und die Realitäten neu. Für die digitale Transformation braucht es deshalb mehr Entrepreneure und weniger Betriebswissenschaftler. Letztere tendieren dazu, lediglich Tools für die Gewinnmaximierung und den unternehmerischen Erfolg zu nutzen, welche sie von jemand anderem in die Hände gelegt bekommen haben. Für mich ist das eine Warmduscher-Einstellung – letztlich haben wir eine maximierte Produktionsanlage, die aber keiner kauft, weil man nicht innovativ genug war.

Echte Transformation geht in erster Linie nicht von Bestehendem aus, sondern erfindet sich und die Realitäten neu. Andy Fitze

Weshalb hat die digitale Transformation nicht nur mit dem Erwerb neuester Technologien zu tun?

Der Erwerb von digitalen Technologien macht noch lange keine digitale Strategie aus. Denn die Technologie ist dabei wie der Wind beim Segeln – weiss ich nicht wohin, nützt mir der Antrieb nichts. Eine Transformation ist komplex und der CTO, CDO oder CIO muss deshalb strategische Optionen erarbeiten, erkämpfen und ermöglichen. Warum sollen wir noch mehr produzieren oder anbieten? Warum liefern wir nicht weltweit? Weshalb wird etwas seit 100 Jahren gleich gemacht? Mit der richtigen Herangehensweise und einer gut durchdachten Strategie verschafft man sich selbst mehrere Eisen im Feuer. Diese kann man dann einsetzen, wenn man über die Transformation des Unternehmens in der Branche nachdenkt.

Andy Fitze

Als Präsident des Swiss IT Leadership Forums tauschen Sie sich regelmässig mit CIOs aus unterschiedlichsten Unternehmen aus. Wie digital sind Schweizer Unternehmen unterwegs?

Wenn ich einen CFO frage, wie viel seine Firma an digitalen Geschäftsmodellen verdient, und er die Frage mit «mehr als Null Franken» beantwortet, bin ich schon mal glücklich. Ich betrachte die Transformation als Innovation, nur etwas krasser. Einige Firmen überschätzen ihre digitalen Kompetenzen oder Fähigkeiten, sich digital zu wandeln. Dabei sehe ich leider oft, dass kompetentes Auftreten bei totaler Ahnungslosigkeit weit verbreitet ist. Man muss Zeit, Budget und eine Innovationskultur aufbauen, um neue Geschäftsfelder zu finden. Auch sollte man sich selber digitale Kompetenzen aneignen.

Welche Investitionsmöglichkeiten erachten Sie für Schweizer Unternehmen als lukrativ?

Stellen Sie sich vor, alle Schweizer Firmen mit über zehn Mitarbeitenden investieren und beteiligen sich an mindestens einem Start-up. Somit würden 45 000 Firmen – welche übrigens 75 Prozent aller Arbeitnehmer repräsentieren – sich aktiv über Märkte informieren und sich mit neuen Geschäftsideen und Innovationen auseinandersetzen. So erspart man sich viele teure Strategieberatungen, erhält Einblicke in innovative Geschäftsmodelle und hat gleichzeitig noch Spass.

Abgesehen von der Coronapandemie: Welche Themen beschäftigen Schweizer CIOs?

Die Unternehmensführung möchte die IT-Abteilung zur eierlegenden Wollmilchsau machen. Alles soll günstiger, schneller, agiler und simpler werden. Begriffe wie Digital, AI, Cyber und Cloud gehören heute zum Wortschatz jedes Managers und sollten unbedingt in einem Unternehmen integriert sein. Deshalb müssen sich CIOs oft für eine breite Diskussion stark machen, in welcher klargestellt wird, welche Technologien man wirklich brauchen kann und in Zukunft integrieren möchte. Anstelle jedes digitale «Buzzword» integrieren zu wollen, sollte man lieber über Digital Business statt rein über IT sprechen.

Mit welchen Themen sollten sich CIOs in den nächsten zehn Jahren beschäftigen?

Die digitale Transformation ist die Ruhe vor dem Sturm. Sie ist der Anfang einer grossen globalen Veränderung, welche von der Künstlichen Intelligenz und dem Quantum Computing angetrieben wird. Diese Themen sind aber bereits heute präsent, weshalb man sie jetzt schon kennenlernen sollte. Chefetagen aller Unternehmen haben die Aufgabe, sich stetig und aktiv über Entwicklungen innerhalb dieser Technologien weiterzubilden.

Anstelle jedes digitale «Buzzword» integrieren zu wollen, sollte man lieber über Digital Business statt rein über IT sprechen. Andy Fitze

Die Digitalisierungsbudgets von vielen Firmen sind oftmals gefüllt mit betrieblich Zwingendem und Notwendigem. Leider bleibt dabei nicht mehr viel für echte digitale Businessmodelle übrig. Diese brauchen Zeit, Mut und Vision. Nicht unbedingt das, was man von einem Chief Budget Officer erwarten kann. Für grosse Visionen braucht es mehr Leader.

Warum sollten Unternehmen die Auslagerung infrastruktureller Aufgaben in der IT in Betracht ziehen?

Mehr Industrialisierung und Digitalisierung heisst für mich, die eigene Polyvalenz zu reduzieren. Schliesslich bin ich auch nicht mehr mein eigener Schuster und Metzger. Deshalb sollte man ganz klar grundlegende infrastrukturelle Themenbereiche auslagern. Wir nähern uns mit beeindruckender Geschwindigkeit neuen Technologien. Damit wir für Neues stets bereit sind, müssen wir also vorsorglich die Komplexität im Unternehmen verringern.

Woran machen Sie in der Praxis einen Fachkräftemangel im technischen Bereich fest?

Das Schweizer Erfolgsmodell des dualen Bildungsweges ist in der Tat ein wichtiger Garant gegen den Fachkräftemangel. Viele verstehen aber nicht, dass dieses duale System nicht von alleine eine Balance von Kräften herstellt. Diese muss nämlich immer wieder erkämpft werden. Wir sollten daher ruhig ein bisschen mehr Passion zeigen und uns aktiv für unsere Jugend und die künftigen Berufsgenerationen einsetzen und somit unser duales Bildungssystem stärken.

Wie kann die Automatisierung gewisser Arbeitsprozesse diesem Fachkräftemangel entgegensteuern?

Dieser Ansatz ist fatal und entspricht wieder einer reinen BWL-Logik. Das genaue Gegenteil würde nämlich bei mehr Automatisierung der Fall sein: Wenn wir Weltmeister in der Automatisierung werden wollen, sind wir auf mehr Fachkräfte angewiesen, um dieses Ziel zu erreichen.

Die Schweiz ist kein Land mit Bodenschätzen wie Öl oder Edelmetallen. Deshalb setzen wir seit langem auf unsere wertvollste Ressource im internationalen Wettbewerb – unser Wissen! Wir haben über die vergangenen Jahrzehnte gelernt, diese Ressource optimal mit Technologien und Innovationen zu verbinden. Jetzt geht es nur noch darum, einen Gang höher zu schalten und uns dies für den digitalen Wandel aktiv zunutze zu machen.

Es ist auch unsere stetige und gesellschaftliche Herausforderung, unsere Schweizer Arbeitsplätze dem Wandel anzupassen. Es wäre ein immenser Schaden für unsere wertvollste Ressource und unsere Wirtschaft, wenn wir zu spät auf den Zug aufspringen.

In welchen digitalen Themen hinkt die Schweiz im internationalen Vergleich noch hinterher?

Solange wir keine digitale Identität haben, machen wir Dinge nach wie vor analog oder quasi digital. Schluss damit! Vor allem die öffentliche Verwaltung sollte einsehen, dass sie ihre Arbeitslast ohne radikale Digitalisierung nur mithilfe von mehr Steuergeldern erledigen kann. Das ist sicher nicht im Sinne der Allgemeinheit.

Inwiefern wünschen Sie sich Unterstützung seitens der Politik, damit die digitale Transformation in Schweizer Unternehmen vorangetrieben wird?

Laut OECD ist ein wesentlicher Treiber der Wirtschaft die digitale Infrastruktur mit latenzfreiem und breitbandigem Internet. Der Staat sollte deshalb nicht nur in Strassen-, Bahnnetz, Wasser und Elektrizität investieren, sondern auch in unsere Datenautobahn – und zwar heute schon.

Zur Person

Andy Fitze, Mitgründer des mehrfach ausgezeichneten Startups SwissCognitive – The Global AI Hub. Er gilt heute als einer der Top AI Influencer weltweit. Mit seiner Leidenschaft für intelligente Technologien berät er Vorstände im Bereich der digitalen Transformation und hält weltweit inspirierende Keynote-Vorträge. Er ist zudem Präsident des Swiss IT Leadership Forum, im Vorstand des ICTSwitzerland und der SwissICT. Zuvor war Andy als Group CIO der RUAG tätig. Andy ist Elektroingenieur, hat einen Executive MBA der Universität St. Gallen und wurde 2015 mit dem Swiss CIO Award als bester IT-Manager der Schweiz ausgezeichnet. Zusätzlich hat er mit seiner Co-Founderin Dalith Steiger im September 2019 das non-profit Movement CognitiveValley ¬– «One AI voice for Switzerland» ins Leben gerufen und im Sommer 2020 die dazugehörige Stiftung CognitiveValley gegründet.
Neben seiner Passion für Technologie, ist der dreifache Vater ein leidenschaftlicher Skipper und Segler der Weltmeere, was ihm eine gute Balance für Kopf und Seele verschafft.

SwissCognitive «THE Global AI Hub» ist eine Wissens- und Erfahrungsaustausch Plattform und verfügt über eine umfassende, branchenübergreifende Erfahrung an praktischen Anwendungsbeispielen im Einsatz von smarten Technologien.

www.swisscognitive.ch

Interview Dominic Meier 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Vorheriger Artikel CIOs und Digitalisierung in der Schweiz
Nächster Artikel Das Abschliessen einer Autogarantie lohnt sich