Barbara Frei, seit Mai 2021 Executive Vice President Industrial Automation bei Schneider Electric, ist einen ebenso steilen wie fokussierten Karriereweg gegangen. Im Gespräch mit »Smart« erlaubt sie einen persönlichen Einblick in ihre Erfahrungen sowie Ziele – und diskutiert die wesentlichen Themen, welche die Industrie derzeit bewegen.
Barbara Frei, in Ihrer neuen Position haben Sie es sich auf die Fahne geschrieben, die Digitalisierung in Deutschland voranzutreiben. Was steckt hinter der Mission?
Aus meiner Sicht besteht Handlungsbedarf: Nach einer Studie fällt unsere Wirtschaft im technologischen Wettrennen um die Digitalisierung weiter zurück und landet zum zweiten Mal in Folge auf dem vorletzten Platz der sieben wichtigsten (G7) Industrienationen. Die Kräfte zu bündeln, ist daher das Gebot der Stunde. Nur so können wir unsere Position gegen neue, finanziell teils bestens ausgestattete Player aus Übersee behaupten. Wichtige Voraussetzungen hierfür sind beispielsweise offene Standards. Damit bleiben wir flexibel genug, um mit den immer schnelleren Veränderungen der Märkte Schritt zu halten und die Integration sowie Migration zu beschleunigen.
Welche Rolle spielen dabei mittelständische Unternehmen?
Der Mittelstand spielt eine gewichtige Rolle, denn er steht für 40 Prozent unserer Wertschöpfung. Mittelständische Betriebe haben nicht den Luxus, sich in Digitalisierungsfragen verzetteln zu können. Fehlinvestitionen in eine überdimensionierte oder zu starre digitale Infrastruktur können entsprechende wirtschaftliche Konsequenzen zur Folge haben. Aktuell tun sich aber auch enorme Chancen auf: Grüner Maschinenbau ist die Zukunft, hier entsteht gerade ein Billionenmarkt. Gemäß einer Studie des VDMA und der Boston Consulting Group könnte die Branche bis 2050 weltweit rund 10 Billionen zusätzlichen Umsatz mit klimaschonender Digitaltechnologie erzielen. Um Digitalisierung weiter voranzutreiben, muss der Mittelstand schnellstmöglich Anschluss an diesen attraktiven Zukunftsmarkt finden. Eine exzellente Basis ist vorhanden: Unser exportorientierter Mittelstand ist Deutschlands Wirtschafts-, Innovations- und Beschäftigungsmotor.
Welche Lösungen und Strategien bieten sich an, um mittelständische Unternehmen bei ihrer Digitalisierungsreise bestmöglich zu unterstützen?
Wer als großer Player die digitale Zukunft im Mittelstand mitgestalten möchte, wo Digitalisierung oft noch Chefsache ist, muss auf Augenhöhe agieren und die Bedürfnisse dieser Klientel exakt kennen. Dazu gehört es, skalierbare, interoperable und investitionssichere Projekte »in time & in budget« anzubieten ebenso wie sich in Industrieverbänden für die Belange mittelständischer Unternehmen stark zu machen. Für zukunftsweisende digitale Geschäftsmodelle werden offene, holistische IoT-Architekturen benötigt, welche alle Ebenen der Fertigung nahtlos miteinander verbinden. Gefragt sind dabei besonders praxisnahe Digitalangebote – etwa auf konkrete Aufgaben zugeschnittene und branchenspezifische Software-Services, die datenbasiert die Performance einer Anlage visualisieren, Wartung unterstützen und operative wie strategische Entscheidungen validieren.
Die Verankerung von Nachhaltigkeit in der Unternehmens-DNA ist eine weitere, ganz elementare Strategie. Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind längst ein lupenreiner Business-Case. Es reicht nicht aus, diese relevanten Themen auf ein ideologisches Podest zu heben. Als übergeordnete Ziele müssen sie im täglichen Business konsequent gelebt und umgesetzt werden. Eine grundlegende Expertise auf diesem Gebiet ist die Voraussetzung, um mittelständische Kunden in die Lage zu versetzen, am oben genannten entstehenden Billionenmarkt »Grüner Maschinenbau« zu partizipieren.
Welche Vorzüge bietet eine offene, herstellerunabhängige Automatisierung in der Praxis?
Die universelle Automatisierung ist ein Beschleuniger der Digitalisierung. Schnelleres Engineering und Time-to-Market sowie realisierbare Kosteneinsparungen versprechen einen signifikanten Wettbewerbsvorteil. Zudem lassen sich neue, an IT-Logiken orientierte Geschäftsmodelle ableiten – etwa ein App-Store für die Automatisierung.
Diesem Ziel hat sich die neue Non-Profit-Organisationen UniversalAutomation.Org verschrieben. Sie verwaltet, pflegt und erweitert die Referenzimplementierung einer auf der Norm IEC 61499 basierenden Runtime-Umgebung. Damit soll eine einfach zugängliche, technische Grundlage für die Etablierung einer herstellerunabhängigen und softwarezentrierten Automatisierung geschaffen werden. Dabei gilt es, einen an IT-Logiken orientierten Automatisierungsansatz zu fördern, bei dem Interoperabilität und Portabilität zum Standard gehören.
Sie betonen, Nachhaltigkeit müsse in die Unternehmens-DNA verankert werden. Derzeit springen immer mehr Unternehmen auf den Nachhaltigkeitszug auf. Was macht den Unterschied?
Ein halbherziges Mitsurfen auf der aktuellen Nachhaltigkeitswelle ist wenig zielführend. Nachhaltigkeit ist deutlich mehr als reine Ideologie, Hype oder Me-too-Selbstzweck – sie ist ein erfolgsversprechendes Geschäftsmodell. Mit den Mitteln der IIoT-basierten Digitalisierung ist mehr Nachhaltigkeit vor allem gleichbedeutend mit erheblichen ökonomischen Vorteilen: Weniger Energieverbrauch senkt die Betriebskosten, eine gute Nachhaltigkeitsbilanz lockt Kunden sowie Investoren und ein schonender Ressourcenverbrauch schützt Lebens- und Wirtschaftsräume.
Die Verankerung von Nachhaltigkeit in der Unternehmens-DNA ist eine weitere, ganz elementare Strategie.
Apropos Nachhaltigkeit: Lange stand die Industrie in Verdacht, der größte Klima- und Umweltsünder schlechthin zu sein. Was ist dran an diesem Vorwurf?
Da lässt sich nichts beschönigen, die Industrie hat ihren Teil dazu beigetragen. Zudem wissen wir heute auch um die signifikanten Anteile von Gebäuden, Mobilität und Landwirtschaft an der Klimakrise. Jetzt stehen die Zeichen aber auf Veränderung. Die Innovationskraft von Unternehmen seit Beginn der Industrialisierung wird nun auch im Feld der Nachhaltigkeit angewendet. Das Thema ist heute nicht nur businessrelevant, es entscheidet über den Unternehmenserfolg.
Die Technologien für die Industrie sind längst vorhanden, sodass Unternehmen heute sogar der Politik zuvorkommen. Das ist allerdings erst der Anfang. Insbesondere in der energieintensiven Industrie liegt ein großer Hebel für den Klimaschutz, denn hier entsteht durch hohe energie- und prozessbedingte CO₂-Emissionen ein Anteil von ca. 20 Prozent an den deutschen Treibhausgasemissionen. Schon jetzt lassen sich mithilfe digitaler IIoT-Technologien große Fortschritte bei der Energieeffizienz und dem Management von Stromflüssen erzielen. Weiterhin bedarf es allerdings großer Mengen erneuerbaren Stroms sowie eines finanzierbaren und stabilen Industriestrompreises.
Wir alle müssen die Natur wieder wahrnehmen: als wunderschön, bedeutsam und erhaltenswert.
In Ihrer globalen Verantwortung unterstellt man ein gewisses Arbeits- und auch Reisepensum. Wie tanken Sie Kraft um eine solche Belastung gut zu meistern?
Bewegung ist mein Lebenselixier: Als Halbmarathonläuferin halte ich mich fit und finde draußen in der Natur einen Gegenpol zu den Herausforderungen des Arbeitsalltags. Um abschalten, entspannen und neue Kraft tanken zu können, braucht es einen Rückzugsort. Diesen finde ich auch bei unseren Ausflügen in die Schweizer Alpen zusammen mit meiner Familie. Ich bin mit den Bergen aufgewachsen – und sowohl die Natur als auch die körperliche Anstrengung auf dem Weg zum Gipfel machen meinen Kopf frei. Der majestätische Anblick schärft auch mein Bewusstsein dafür, wie wir alle die Natur wieder wahrnehmen müssen: als wunderschön, bedeutsam und erhaltenswert.
Was hat Sie als jungen Menschen angetrieben, ihren beruflichen Weg einzuschlagen und welche Entwicklung hat sich daraus ergeben?
Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als die Schweiz nach den Ölkrisen in den 80er-Jahren plötzlich Energie sparen musste. Woher kommt die Energie? Wie können wir sie möglichst effizient einsetzen? Diese Themen haben mein Interesse schon als Jugendliche geweckt und begleiteten mich dann durch mein Maschinenbau-Studium und meine ganze Laufbahn. Apropos Studium: Unter den damals 200 Kommilitonen befanden sich nur vier Frauen – das hat meinen Blick auf Vielfalt jeglicher Art in der Arbeitswelt geschärft. Unterschiedliche Perspektiven, Erfahrungen und Fähigkeiten machen Arbeitsgruppen, Teams und damit auch Unternehmen tatsächlich erfolgreicher.
Nach meiner Promotion und mit dem MBA des IMD Lausanne in der Tasche, startete ich meine Karriere bei der ABB Schweiz und leitete dort zuletzt das weltweite Antriebsgeschäft.
2016 wechselte ich schließlich als CEO zu Schneider Electric Deutschland. Ich freue mich, seit Mai 2021 den globalen Geschäftsbereich Industrial Automation als Executive Vice President zu leiten. Die industrielle Automation kann einen großen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit, Effizienz und Klimaschutz leisten. Meinem Jugendtraum bin ich also treu geblieben.
Interview Birthe Fiedler
Bild Yvonne Ploenes
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