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Ein Fall für den Chatbot?

26.05.2021
von Rüdiger Schmidt-Sodingen

Wird Legal Tech Anwalts neuer Liebling? Sprich: Können einfache und oft vorkommende Probleme demnächst mithilfe von KI gelöst werden? Zu Chancen, Risiken und Nebenwirkungen der automatisierten Rechtsberatung.

»Hallo, hier ist Ihr Chatbot der Kanzlei Richter. Was kann ich für Sie tun?«

»Ich brauche einen Anwalt.«

»Um was genau geht es?«

»Na, um meinen Mietvertrag.«

»Sagen Sie mir, um was genau es in dem Mietvertrag geht?«

»Also, mein Vermieter hat da eine Klausel reingeschrieben, fünf Jahre… Das geht doch nicht, oder? Ich will da raus. Sofort.«

»Geht es um eine zeitliche Befristung in Ihrem Mietvertrag, die ich überprüfen soll?«

»Ja, genau. Ich möchte wissen, ob dieser Mietvertrag überhaupt so gültig ist.«

»Gut. Bitte lesen Sie sich einmal folgende Geschäftsbedingungen für eine Beratung durch und bestätigen Sie, wenn Sie mit den Modalitäten und dem Honorar einverstanden sind. Anschließend laden Sie bitte das zu überprüfende Dokument hoch.«

Sieht so die KI-gestützte Rechtsberatung der Zukunft aus? Während sich Legal-Tech-Firmen bereits damit brüsten, in Zukunft einen einfacheren Zugang zu rechtlichen Klärungen zu ermöglichen, wartet ein Teil der Kanzleien zunächst noch ab. Sicher ist zumindest, dass vor allem repetitive Aufgaben in Zukunft mehr und mehr von KI und Software-Programmen übernommen werden können. Satzungen, Verträge und Mahnungen werden schon heute größtenteils kopiert oder standardisiert verfasst. Sie müssen im Zweifelsfall lediglich allgemeingültige Form und individuelle Nutzer- oder Mandantendaten zusammenbringen.

»Natürlich«, so schreibt es Patrick Prior von der Berliner Beratungsfirma Advotisement, »ist es noch ein weiter Sprung von einem Chatbot, der simple Daten abfragt und diese automatisiert als Dokument an eine Behörde übermittelt, bis hin zu einem Chatbot, der komplexe Rechtsfragen selbständig beantworten kann.« Durch die fortschreitende exponentielle Entwicklung im Bereich der künstlichen Intelligenz werde allerdings auch das Chatbot-Szenario nicht mehr so weit entfernt sein. Viele Legal-Tech-Firmen arbeiteten aktuell bereits an Software, die Verträge intelligent im Kontext lesen, verstehen, vergleichen und analysieren könne.

Dass einige Industrie- und Handelskammern bereits kräftig für die Anwendungen von Legal Tech trommeln, dürfte auch mit der zunehmend komplexeren Wirtschaftswelt zusammenhängen. Wo überall Daten gesammelt und zur Erfolgsmessung verwendet werden, wo Konkurrenten immer schneller Geschäftsmodelle oder Produkte kopieren und Kundenbeziehungen anzahlmäßig explodieren, werden die Anforderungen an rechtliche Beratung im Grunde von Tag zu Tag größer.

Probleme verstehen, aber auch Prozesse

Allein das Lesen von Dokumenten frisst in Kanzleien unglaublich viel Zeit. Zeit, da sind sich Anwältinnen und Anwälte einig, die man lieber in Mandantengespräche oder anspruchsvollere Tätigkeiten investieren könnte. Die Frage lautet denn auch: Kann ein Programm tatsächlich die Stichwörter erkennen, die in einem Dokument den Ansatz liefern, rechtlich einschreiten zu können? Wie muss eine Verarbeitung funktionieren, auf welche Vorgänge, Einträge oder Signalwörter muss ein spezialisiertes, auf den jeweiligen Fachbereich geschriebenes und ständig dazulernendes Programm anspringen? Und wie klassifiziert es Kennwörter, um nicht verschiedene Fachbereiche durcheinanderzubringen?

Der Einsatz von Legal Tech braucht einerseits ein Verständnis für rechtliche Probleme, andererseits aber auch ein Wissen um technische Strukturen und Prozesse. Vor allem auf Sammelklagen fokussierte Legal-Tech-Unternehmen, die beispielsweise mehrere tausend Entschädigungen für Dieselfahrzeuge einklagen, nutzen gezielt standardisierte Programme, um Rohdaten abzufragen und Geschädigten schon nach ein paar Minuten mögliche Entschädigungssummen präsentieren zu können. Ganz bequem von zu Hause aus.

Verständnis braucht menschliche Intelligenz

Je schwieriger ein Fall aber ist, desto mehr können Legal-Tech-Lösungen nur in einem ersten Schritt greifen. Andererseits behelfen sich viele Firmen und auch Privatpersonen schon seit Jahren mit aus dem Internet zusammenkopierten Vertragsentwürfen, die besser von einem Anwalt oder einer Anwältin erstellt worden wären. Hier kann Legal Tech womöglich schneller und fundierter kurzfristig benötigte Urkunden produzieren – und damit Kanzleien verloren geglaubte Mandanten und Mandantinnen zurückbringen.

Da es weiter vor allem Menschen sind, die Unrecht gegenüber anderen Menschen begehen, kann es auch bei anfänglich einfach erscheinenden Fragestellungen kompliziert werden. Denn mitunter spielen andere Faktoren eine Rolle, die sich so einfach nicht von einer Software erkennen oder gar beurteilen lassen. Legal Tech kann also nur funktionieren, wenn die hinter ihr stehenden, menschlichen Köpfe weiter die Komplexität menschlicher Beziehungen eruieren und verstehen wollen. Und der Chatbot dann sofort verschwindet, wenn ein völlig aufgelöster und verzweifelter Mandant ihm entgegenhackt: »Geben Sie mir bitte sofort einen Menschen!«

Text Rüdiger Schmidt-Sodingen

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