
Michael Frank
Direktor Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen
Die Schweiz will ihre CO2-Emissionen bis 2050 auf Netto-Null senken. Dieses Ziel zu erreichen, erfordert grossen Willen und gigantische Anstrengungen, denn die Schweizer Energieversorgung besteht hauptsächlich aus klimaschädlichen fossilen Energien wie Treibstoffen, Öl und Gas. Ihr Anteil muss in den nächsten 25 Jahren massiv sinken. Dies erreichen wir, indem wir insbesondere die Mobilität, den Wärme-/Kühlungsbereich und die Industrie elektrifizieren. Strom ist der Schlüssel zu Netto-Null. Durch die Elektrifizierung dieser Bereiche steigt der Stromverbrauch in den nächsten Jahrzehnten stark an. Wir gehen von einem Verbrauchsanstieg um 50 Prozent gegenüber heute aus. Allerdings ist Strom viel effizienter als fossile Energien, weshalb die Schweiz unter dem Strich viel weniger Energie verbrauchen wird als heute.
Stromgesetz ebnet den Weg zu Netto-Null
Für das Netto-Null-Ziel müssen wir das Energiesystem umbauen. Das bedeutet: mehr sauberen Strom produzieren, die Netze intelligent weiterentwickeln, mehr Flexibilität im System nutzen und die gesamte Energieversorgung fit machen für die neuen Realitäten. Versorgungssicherheit und Klimaneutralität hängen entscheidend von der Umsetzung des Stromgesetzes und dem Abschluss eines Stromabkommens ab. Die Stimmbevölkerung hat das Stromgesetz mit fast 70 Prozent angenommen und damit den eingeschlagenen energiepolitischen Weg wuchtig bestätigt. Das Stromgesetz tritt 2025 in Kraft und schafft die Voraussetzungen für einen umfangreichen Ausbau aller erneuerbaren Energien. Bis 2050 müssen wir insbesondere die Solar- und Windenergie stark ausbauen. Und auch die 16 Wasserkraft-Projekte, denen das Stromgesetz den Weg ebnet, sind essenziell für die Stromversorgung, insbesondere im Winter.
Eine möglichst enge Kooperation mit ihren Nachbarländern ist für die Schweiz zentral. Ohne Stromabkommen steht die Schweiz, obwohl sie sich mitten im europäischen Energiesystem befindet, immer mehr im Abseits. Das schadet der Netzstabilität und führt zu Mehrkosten, die sich negativ auf die Strompreise auswirken. Mit einem Stromabkommen würde die Schweiz hingegen vollen Zugang zu den europäischen Energiemärkten erhalten und über mehr Kapazitäten für Stromimporte und -exporte verfügen. Auch in Netzbetriebsprozesse wäre sie stärker eingebunden, und sie hätte Mitgestaltungsmöglichkeiten. All das würde die Stromversorgung resilienter und stabiler machen und das Energiesystem optimieren, was letztlich auch für alle Verbraucherinnen und Verbraucher von Vorteil ist.
Überschüsse im Sommer, massiver Zubau im Winter
Das zukünftige Energiesystem bringt neue Herausforderungen. Im Sommerhalbjahr gibt es wegen des starken Ausbaus der Photovoltaik (PV) grosse Stromüberschüsse, die zum Zeitpunkt der Produktion nicht verbraucht werden können. Speicher, Flexibilitäten und Exporte gewinnen dadurch an Bedeutung. Sie erlauben, die Überschüsse sinnvoll im Sinne des Gesamtsystems zu nutzen. Zum Beispiel, indem der überschüssige Strom mittels Batterien und Pumpspeicher für den Abendverbrauch gespeichert wird. Anreize und Preissignale sind dabei unabdingbar, um Speicher und Flexibilitäten optimal einzusetzen.
Die Stromversorgung im Winter bleibt eine Knacknuss. Denn nicht nur muss der steigende Strombedarf für Netto-Null gedeckt, sondern auch der Ausstieg aus der Kernenergie kompensiert werden. Um die Winterversorgung zu sichern, müssen wir alles dafür tun, um die Ausbauziele der Erneuerbaren zu erreichen, wie sie das Stromgesetz vorsieht. Die Förderinstrumente müssen wir konsequent auf die Produktion im Winter ausrichten. Essenziell ist, wie bereits erwähnt, dass die 16 Wasserkraft-Projekte zeitnah umgesetzt werden. Aber auch Solaranlagen in den Bergen und Windparks müssen in den kommenden Jahren einen grossen Beitrag zur Stromversorgung im Winter leisten. Gerade ein starker Ausbau der Windkraft würde aus Sicht des Gesamtsystems grosse Vorteile bringen. PV und Windkraft ergänzen sich optimal, haben beinahe komplementäre Produktionsmuster. In Zukunft könnte auch Geothermie eine interessante Option für die Winterversorgung sein, sofern der Durchbruch gelingt. Denn Geothermie kann nicht nur Strom produzieren, sondern auch zur Wärmeversorgung beitragen.
Netzausbau und mehr Intelligenz
Der Produktionsausbau ist nur dann wirksam, wenn auch aufseiten des Netzes die nötigen Leitungen und Anlagen möglichst zeitgleich bereitstehen. Ein neuer Stausee oder Windpark nützt niemandem, wenn die Netze fehlen oder nicht stark genug sind, um den Strom in die Haushalte und Unternehmen zu verteilen. Gross sind die Herausforderungen auch in den Städten, Agglomerationen und Dörfern. Die steigende Anzahl PV-Anlagen auf Dächern, Elektroautos und Wärmepumpen haben einen massiven Impact. Die Netze wurden ursprünglich nicht für derartige dezentrale Belastungen gebaut. Mit gezielten Massnahmen kann die Netzbelastung intelligent gesteuert werden, was den Netzausbaubedarf reduziert.
Keine Energieinfrastruktur ist ohne Eingriffe in die Umwelt und Landschaft zu haben. – Michael Frank
Verbraucherinnen und Verbraucher können zum Beispiel über dynamische Tarifstrukturen und weitere Anreize zu einem netzdienlichen Verhalten motiviert werden – etwa, dass sie das Elektroauto in der Nacht laden und nicht am Feierabend. Eine sinnvolle Massnahme ist auch die Einspeisebegrenzung (Peak Shaving) von PV-Anlagen zu Zeitpunkten, an denen mehr produziert wird als verbraucht und die Überschüsse nicht gespeichert oder exportiert werden können. Mit der Einspeisebegrenzung geht nur wenig Energie verloren, dafür können teure Netzausbauten vermieden werden.
Mehr Tempo, weniger Blockaden
Der Umbau des Energiesystems hin zu Netto-Null ist technisch möglich. Die Frage ist, ob wir den Umbau bis 2050 vollziehen können. In der Realität zeigt sich leider immer wieder, dass zahlreiche Projekte – egal ob Wasserkraft, PV oder Windkraft – an mangelnder Akzeptanz oder an fehlender Wirtschaftlichkeit scheitern. Viele Projekte sind seit Jahrzehnten blockiert und kommen wegen langwieriger Verfahren und heftigen Widerstands nicht vorwärts oder werden ganz verworfen. Das können wir uns nicht mehr leisten. Wir müssen die Bewilligungsverfahren bündeln und beschleunigen. Keine Energieinfrastruktur ist ohne Eingriffe in die Umwelt und Landschaft zu haben. Kompromisse und gute Zusammenarbeit sind möglich, wie viele Beispiele zeigen. Nötig sind mehr Akzeptanz und ein Verständnis dafür, dass wir die Stromversorgung nur dann sichern und Netto-Null nur dann erreichen können, wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen. Am Ende müssen wir uns bewusst sein, dass Versorgungssicherheit und Netto-Null nicht Luxus sind, sondern eine Notwendigkeit. Wir sollten deshalb endlich die Blockaden lösen und alles unternehmen für eine sichere, nachhaltige und bezahlbare Stromversorgung. Die Energiezukunft ist jetzt.
Text Michael Frank, Direktor Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen
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