Interview von SMA

Prof. Dr. Anabel Ternès von Hattburg: »Wir müssen aufhören, einander in Schubladen zu drängen«

Die Zukunftsforscherin über die wichtigsten Konzepte der Nachhaltigkeit und wie wir die Umsetzung angehen können.

Keynote-Speakerin, Zukunftsforscherin, Firmengründerin und Buchautorin: Wenn Prof. Dr. Anabel Ternès von Hattburg ihre Expertise zu Nachhaltigkeit und Digitalisierung darlegt, sollte man die Ohren spitzen. Für »Fokus« legt sie dar, wo sie die größten Herausforderungen sieht – und wo die Chancen liegen.

Frau Ternès, das Magazin Forbes bezeichnete Sie als »Superwoman« und das Handelsblatt adelte Sie als Innovationsführerin. Woher stammt Ihr Antrieb, den Status quo stetig zu hinterfragen?

Das hat wohl mit meiner Prägung aus der Kindheit zu tun: Ich wuchs in einer Familie auf, in der starre Korsette wie Katholizismus und linksradikaler Kommunismus am Küchentisch aufeinandertrafen. Dies in Kombination mit meinem Migrationshintergrund, bei dem patriarchalische Vorstellungen dominant waren, führte dazu, dass mein Umfeld ein klares Bild davon hatte, wie ich mich als Mädchen zu benehmen hatte. Dies nährte in mir den Drang, meine eigenen Ansichten zu entwickeln. Das hat, so glaube ich, mein Leben deutlich geprägt und einen starken Erkundungsdrang in mir geweckt. Seither treiben mich Neugier sowie die Suche nach Wissen an – meine Mutter nannte mich als Kind passenderweise »Fragemonster«.

Prof. Dr. Anabel Ternès von Hattburg

Im Kontext dieser Ausgabe interessieren wir uns besonders für Ihre Einsichten zu Nachhaltigkeit, Digitalisierung und zukunftsfähiger Führung.

Alle drei Themen sind äußerst relevant, wurden aber schon sehr umfassend medial diskutiert. Darum besteht eine Herausforderung darin, sicherzustellen, dass die Leute bei diesen Inhalten nicht direkt »abschalten«.

Wie gelingt Ihnen das?

Ich vermeide die Verwendung abgenutzter Keywords und hole die Leute da ab, wo sie stehen. Ich predige nicht vom Elfenbeinturm herab, sondern versuche, mich in mein Publikum hineinzuversetzen. Das ist darum so wichtig, weil man den Leuten das Gefühl vermitteln muss, dass es noch nicht zu spät ist, um mit einer nachhaltigeren Handlungsweise Positives zu bewirken. Und ich glaube fest daran, dass es dafür noch nicht zu spät ist! Es muss uns dafür auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gelingen, ein ökologisches Mindset zu kultivieren. Besonders relevant ist dabei die Frage, wie wir nachhaltige Transformation beschleunigen können durch Innovation, Bildung, Unternehmertum sowie interdisziplinäre Kooperation.

Mit Ihrem Unternehmen »Sustain Plus« unterstützen Sie Firmen dabei, auf allen Ebenen der Nachhaltigkeit voranzuschreiten und sich dadurch neue Potenziale zu eröffnen. Wo sehen Sie die größten Hemmnisse für das Gelingen eines solchen Wandels auf Betriebsebene?

Der größte Antagonist ist die vorherrschende Angst. Dass diese existiert, überrascht angesichts von Themen wie Krieg, Handelskonflikten sowie sozialen und wirtschaftlichen Unruhen nicht. Man neigt daher in vielen Firmen dazu, sich auf Bewährtes zu fokussieren und vermeintliche Risiken zu vermeiden. Um dieser Angst entgegenzuwirken, stehen Führungspersonen in der Verantwortung, in ihren Unternehmen eine innovative Kultur zu fördern, die auch Fehler zulässt. Denn nur so wächst Experimentierfreude, die das Schaffen neuer Ideen beflügelt und somit zusätzliche wirtschaftliche Chancen eröffnet. Sustain Plus unterstützt Firmen dabei, sich in diesem komplexen Feld zurechtzufinden und Nachhaltigkeit als Opportunität zu nutzen.

Welche konkreten Ideen und Technologien tragen denn wesentlich zu mehr Nachhaltigkeit bei?

Eine Schlüsselrolle spielen die erneuerbaren Energien in Kombination mit Speichertechnologien – insbesondere im Kontext von Versorgungssicherheit und Dezentralisierung. Oftmals werden die Kosten für die Batteriespeicher als Gegenargument ins Feld geführt, doch ich bin der Ansicht, dass wir hier nicht kurzfristig denken dürfen. Die Technologien entwickeln sich weiter, was sich auch auf die Preise auswirken wird. Ein weiteres Schlüsselthema bildet die nachhaltige Mobilität.

Welche Punkte sind hier zentral?

Wir müssen über die Elektromobilität hinausdenken und eine Infrastruktur schaffen, die ein emissionsfreies Verkehrssystem ermöglicht. Das muss Hand in Hand mit einer intelligenten Stadtentwicklung gehen. Ein entscheidender Punkt besteht darin, die Mobilitätsfrage nicht zu ideologisch zu diskutieren: In Deutschland wird die Debatte oft von einer »Dagegen-Haltung« geprägt, anstatt sich darauf zu konzentrieren, was wir dafür tun könnten. Wir suchen uns tendenziell eher Feindbilder, anstatt gemeinsame Lösungen zu ersinnen. Doch Städte wie Barcelona oder Kopenhagen zeigen uns, wie das geht: indem sie den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Ihre Ansätze sind weniger politisch und dafür umso praxisorientierter.

Wir müssen über die Elektromobilität hinausdenken und eine Infrastruktur schaffen, die ein emissionsfreies Verkehrssystem ermöglicht. – Prof. Dr. Anabel Ternès von Hattburg

Doch auch in Deutschland gibt es positive Beispiele: Hamburg etwa hat die Digitalisierung im Verkehrssektor sehr gut umgesetzt. Gleichzeitig muss sich die Deutsche Bahn deutlich verbessern. Man sieht hier oft das Ergebnis von Misswirtschaft – das Unternehmen hat sich zu lange auf seinen Lorbeeren ausgeruht.

Welche weiteren Entwicklungen erachten Sie als wesentlich?

Klimaneutrale Produktion sowie Kreislaufwirtschaft werden immer wichtiger – von der konsequenten Reduktion der CO2-Emissionen bis hin zum zirkulären Design. Wir müssen uns dringend von der linearen »Nehmen, herstellen, wegwerfen«-Wirtschaft verabschieden und Ressourcen gezielt wiederverwenden. Hier kann die Digitalisierung als Enabler dienen, sie spielt generell eine entscheidende Rolle, um nachhaltiger zu wirtschaften. Denken wir nur an den gezielten Einsatz von künstlicher Intelligenz und dem Internet der Dinge (IoT). Mit diesen Technologien können wir beispielsweise Energieflüsse optimieren und so die Effizienz massiv steigern.

Wie bewerten Sie die Rolle der Politik, wenn es um die Förderung von Innovation und Nachhaltigkeit geht?

Der Wille ist definitiv vorhanden, doch eine zentrale Herausforderung liegt in den langsamen Entscheidungsprozessen: Die Geschwindigkeit der Politik kann nicht mit der Dynamik von Innovation und technologischem Wandel mithalten. Zudem fehlt es an Investitionsanreizen für Transformation, sprich es mangelt an Anreizen, um Unternehmen und Branchen zu motivieren, in nachhaltige Veränderungen zu investieren.

Wie löst man dieses strukturelle Problem?

Lösungsansätze sehe ich in einem Mix aus Bildung, Empowerment und einer Vereinfachung der Prozesse. Wir dürfen die Menschen nicht mit bürokratischen Hürden überfordern, sondern müssen mit einfacher Sprache und konkreten Hilfestellungen agieren. Der Fokus sollte nicht auf Bestrafung liegen, sondern auf Förderung. Dazu gehört, klare Botschaften zu senden und nicht mit zu vielen Optionen zu überfordern. Ein gutes Beispiel ist die Ansprache von Hausbesitzerinnen und -besitzern: Statt abstrakter Vorgaben müssen wir ihnen konkrete, dezentrale Lösungen anbieten. Gleichzeitig muss Nachhaltigkeit fest in der Aus- und Weiterbildung verankert sein – sowohl auf Führungsebene als auch in der Breite der Gesellschaft. Weiterhin sind Innovationsförderung und Impact-Investments entscheidend, um Start-ups und Technologien zu finanzieren, die messbare Nachhaltigkeit bewirken. Und schließlich müssen wir das Silodenken überwinden: Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft müssen gemeinsam Systeme neu denken und gestalten. Dabei stehen auch die Medien in der Verantwortung.

Welche Rolle spielen denn die Medien?

Statt der Tendenz zu Schwarz-Weiß-Kategorien sollten Medien Raum für eine differenzierte Debatte schaffen und ein breiteres Spektrum an Stimmen zu Wort kommen lassen. Wir müssen als Gesellschaft den Mut haben, wieder mehr in den echten Diskurs zu gehen, miteinander zu reden und zuzuhören, anstatt uns gegenseitig in Schubladen zu drängen. Ich wünsche mir, wie bereits angesprochen, mehr Debatte, mehr Gehör, mehr Austausch. Also: Lasst uns reden!

Weitere Informationen unter anabelternes.de

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

23.09.2025
von SMA
Vorheriger Artikel Die unsichtbaren Dirigenten der Energiewende
Nächster Artikel Digitalisierung als Schlüssel zur Nachhaltigkeit