Das Interesse an den Themen rund um die Umwelt hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Das meistdiskutierte hierbei bezieht sich auf die Umweltverschmutzung in Form von Plastikmüll oder dem CO2-Ausstoss. Ein oft in Vergessenheit geratener, jedoch besorgniserregender Faktor ist die Artenvielfalt. Der Zustand sei laut dem Bundesamt für Umwelt BAFU auch in der Schweiz unbefriedigend.
In der Schweiz sind laut BAFU ein Drittel aller Arten bedroht. Weltweit sind es laut der Weltnaturschutzunion (IUCN) über 10 000 Tierarten. Davon sind 3553 stark gefährdet. «Auch wenn wir die Pariser Klimaziele einhalten, was derzeit nicht realistisch scheint, werden wir immer noch 25 Prozent der Arten verlieren», appelliert Dr. René Anour, Veterinärmediziner und Autor des Buchs über die Bedeutung der Artenvielfalt «Das Arche Noah-Prinzip – Heilung aus dem Tierreich». Das Aussterben von Tieren sei ein natürlicher Prozess. Menschen seien jedoch für den überbordenden Teil des Artensterbens verantwortlich, erklärt Dr. Anour. «Ursachen, die leider durch die Menschheit bedingt sind, sind Lebensraumzerstörung, Umweltverschmutzung, übermässige Bejagung und die Einschleppung neuer Arten. Das kreist alles ineinander und bedingt eine Art Teufelskreis», erzählt der Experte.
Wie Schwangerschaftstests die «Amphibienpandemie» auslösten
Schwangerschaftstests sind da, um zu wissen, ob ein neues, menschliches Leben entsteht. In diesem Fall sind dieser erfreulichen Erkenntnis viele Tiere zum Opfer gefallen. Der sogenannte Chytridpilz ist eine Pilzerkrankung bei Amphibien. Gemäss Dr. Anour glaubt man, dass diese Erkrankung sehr lange nur im südlichen Afrika beim einheimischen Krallenfrosch zu finden war, die dadurch nicht krank wurden.
Diese Froschart wurde immer mehr zu einem Modellorganismus für die Forschung und vermehrt als Versuchstier eingesetzt. So kam es dazu, dass diese in den 40er-Jahren bis circa 1960 als Schwangerschaftstest, der sogenannte «Froschtest», verwendet wurden, informiert das Wiener Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch (MUVS). «Was man aber nicht wusste», klärt Dr. Anour auf, «ist, dass viele dieser Frösche den Chytridpilz in sich trugen. Sie waren aber nicht sichtbar erkrankt. Dadurch verbreitete der Mensch dieses Pathogen über die ganze Welt, was ein riesiges weltweites Amphibiensterben auslöste.» Einige Tiere waren resistent, andere hingegen weniger. Letztendlich waren über 500 Amphibienarten betroffen und man glaubt, so Dr. Anour, dass etwa 90 Amphibienarten hierdurch ausgestorben und etwa 90 Prozent der Bestände von über 100 Arten eingebrochen sind. Diese «Tierpandemie» hätte ohne die Menschheit fast nicht ausgelöst werden können. «Der Pilz hätte z.B. sonst nie den Atlantik überqueren können», teilt der Veterinärmediziner mit.
Das Geheimnis der Tiere für die menschliche Medizin
Im medizinischen Bereich werden besondere Anpassungen der Tiere untersucht, welche der menschlichen Gesundheit nutzen könnten, erzählt Dr. Anour. Beispielsweise wird das Adaptieren von Tieren an extreme Lebensräume untersucht, um damit wiederum Krankheiten wie Krebs oder chronische Schmerzen zu heilen.
Die Artenvielfalt im Tierreich ist eine Schatztruhe für uns, die uns so viel bringen kann. Wir sollten hineinschauen und sie nicht verbrennen.
Dr. René Anour
Der Autor nennt hierzu ein Beispiel, welches er auch in seinem Buch «Das Arche Noah-Prinzip» erwähnt: Der ostafrikanische Nacktmull ist ein Säugetier, das uns relativ nahe steht. Dieses wird mit zunehmendem Alter sogar fitter, weshalb die Ältesten auch die Grössten und Stärksten sind, die den Bau vor Bedrohungen schützen. In einer Nacktmull-Kolonie pflanzt sich nur die Königin fort. Die Fruchtbarkeit nimmt hier ebenfalls mit steigendem Alter zu. Eine weitere Besonderheit ist, dass die Tiere kein Krebs bekommen sowie ganz allgemein keinerlei Schmerzen verspüren können. Dieses Beispiel ist eines von vielen, welches die Bedeutung der Artenvielfalt für uns Menschen zum Vorschein bringt. «Die Artenvielfalt im Tierreich ist eine Schatztruhe für uns, die uns so viel bringen kann. Wir sollten hineinschauen und sie nicht verbrennen», appelliert Dr. Anour.
Ein weiteres Beispiel sind laut dem Experten Tiergifte, die im medizinischen Bereich eingesetzt werden. Hierzu untersucht man Tiere, die kleine Mengen an Gift absondern, beispielsweise Skorpione oder Spinnen. Dieses Gift ist oftmals eine Mischung von unzähligen, biologisch aktiven Molekülen, die man noch nicht gekannt hat, welche aber eine Wirkung im Körper haben. So ist man dabei, die Substanzen aus diesen Tiergiften zu isolieren, die dem Menschen auf ähnliche Weise wie Opioide nutzen könnten. Ein solches Medikament hätte wiederum kein Suchtpotenzial im Gegensatz zu den Opioiden, die dadurch regelmässig stark in Kritik geraten und weltweit zu Problemen führen.
Wie das Artenschwinden zu Überflutungen führen kann
Es gäbe keine Folge der Artendiversität, die den Menschen nicht beträfe, stellt Dr. Anour fest. Schwindet die Artenvielfalt, geraten Ökosysteme aus dem Gleichgewicht. Dies bedeutet, dass es zur Massenvermehrung der verbleibenden Tieren kommt, welches wiederum zu Aufkommen von Epidemien führt. Das können Seuchen sein, die nur Tiere betreffen oder Zoonosen, also von Mensch zu Tier und von Tier zu Mensch übertragbare Krankheiten. Dadurch kann es beispielsweise zu Pandemien kommen, wie wir sie mittlerweile besser als gewollt kennen.
Der Verlust der Artenvielfalt kann auch die Landwirtschaft beeinflussen. Einerseits kann es zu Ernteausfällen führen, andererseits kann es sogar so weit gehen, dass Naturkatastrophen begünstigt werden. Der Wiener Tiermediziner erklärt anhand eines Beispiels: «In einem gesunden Erdboden lebt eine grosse Anzahl Regenwürmer. Diese lockern den Boden auf und sorgen dafür, dass mehr Wasser aufgenommen werden kann. Versiegelt man den Boden, so entstehen zwei Probleme. Erstens verhindert man, dass das Wasser in den Grund fliessen kann. Zweitens werden dadurch Regenwürmer getötet, was die Problematik zusätzlich verstärkt. Dies kann unter Umständen zu tragischen Überflutungen führen, wie sie im Sommer beispielsweise in Deutschland geschahen.»
Was kann gegen das Verschwinden von Arten unternommen werden?
Dr. Anour denkt, dass jede:r Einzelne Massnahmen ergreifen kann, um dem Ganzen entgegenzuwirken. Ein wichtiger Punkt, ist die bewusste Reduktion des Fleischkonsums. Zeitgleich sollte darauf geachtet werden, dass die Tiere aus biologischer Haltung stammen und nicht zu dicht gehalten werden. Die Problematik der Nutztierhaltung ist folgende: Die Tiere werden grösstenteils mit Soja gemästet, welches hauptsächlich in Südamerika angebaut wird. Dadurch verschwinden jährlich unvorstellbare Areale an unberührten Lebensräumen. Dr. Anour betont: «Hierbei passiert etwas dreifach Schlimmes. Es ist schlimm aus dem Gesichtspunkt des Tierwohls, da Tiere nicht artgerecht gehalten werden. Es ist schlimm, weil durch Massentierhaltung die Gefahr der Entstehung einer Pandemie begünstigt wird und es ist schlimm, weil wir unsagbar wertvolle Lebensräume und somit auch Habitate für unzählige bedrohte Tierarten verlieren.»
Ein weiterer Punkt, der umgesetzt werden kann, ist der Verzicht auf Bodenversiegelung. So soll man den Bau von neuen Strassen und Bauprojekten im Hinblick auf ihre Notwendigkeit kritisch hinterfragen, appelliert der Experte. Wenn man selbst einen Garten hat, kann man beispielsweise einen Teil dessen verwildern lassen und der Natur ihren freien Lauf lassen. Um die Artenvielfalt weltweit zu unterstützen, kann man in der Form eines finanziellen Beitrags NGOs unterstützen, die sich dafür einsetzen. Der Autor rät ausserdem allen an, mehrheitlich bei der Auswahl von Lebensmitteln auf Regionalität und Saisonalität zu achten.
Die Natur vor der Haustür kennenlernen
Dr. Anour lädt zuletzt alle dazu ein, die Natur vor der Haustür kennenzulernen: «Ich kann nur sagen, dass es jeder und jedem unglaublich guttun wird. Ausserdem ist es eine entspannende und wohltuende Beschäftigung.» Man solle sich Zeit nehmen, die Vogelarten, die um das Haus herumfliegen, zu beobachten oder die Blütenarten zu analysieren, die in der Gegend aufblühen. Der hierdurch entstandene emotionale Bezug zur Natur löst den Willen aus, sich für den Erhalt der Artenvielfalt einzusetzen. Abschliessend sagt der Experte: «Vieles ist kritisch und schlecht, aber man soll auch mal die Möglichkeit bekommen, zu staunen, wie toll das was wir haben eigentlich ist und warum dieses es Wert ist, gerettet zu werden.»
Was in der Schweiz für die Artenvielfalt unternommen wird
Die Schweiz hat laut BAFU 2017 einen Aktionsplan zur Strategie der Biodiversität verabschiedet. Unter anderem sollen die Biodiversität gefördert und die Öffentlichkeit über die Thematik sensibilisiert werden. Für die Bewahrung der Artenvielfalt weltweit hat die Schweiz 1973 das Washingtoner Artenschutzabkommen unterzeichnet. Dieses reguliert jegliche Einfuhr von gefährdeten Tier- und Pflanzenarten. Die NGO WWF hat eine Liste mit Produkten erstellt, deren Einfuhr entweder bewilligungsfrei, nur mit Bewilligung oder nicht erlaubt ist. Beispielsweise ist es verboten, einen Tigerknochen zu importieren, da die Existenz der Tiger gefährdet ist.
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