Ein Nein zum Klimaschutzgesetz bedeute Zeitverlust und würde es noch schwieriger machen, das Ziel «Netto-Null» bis 2050 zu erreichen. Die Probleme seien da, auch wenn man sie verneine, sagt Prof. Dr. Reto Knutti, Klimaforscher an der ETH Zürich.
Reto Knutti, aus welchen Gründen sagen Sie als Wissenschaftler am 18. Juni 2023 Ja zum Klimaschutzgesetz?
Wir sind heute schon vom Klimawandel betroffen und das wird sich weiter akzentuieren: Hitze, Trockenheit im Sommer, extreme Wetterereignisse, Gletscher – aber auch wirtschaftlich durch Klimaschäden im Ausland. Als Land mit viel Technologie, Geld, Bildung und Innovation haben wir nicht nur beste Voraussetzungen und eine hohe Verantwortung, dem Klimawandel entgegenzuwirken, wir stärken damit auch den Standort Schweiz und fördern langfristig die Energiesicherheit.
Warum nimmt die Forschung überhaupt zu so politischen Fragen Stellung?
Die Auffassung, man sei neutral, wenn man nichts sage, ist absurd. Schweigen ist eine explizite Zustimmung zu Öl, Gas, Kohle und damit zur Zerstörung unserer Lebensgrundlage.
Schweigen ist eine explizite Zustimmung zu Öl, Gas, Kohle und damit zur Zerstörung unserer Lebensgrundlage.
Warum sollten wir die Interpretation der Zahlen der Gastrosuisse oder sonstigen Interessensvertretern überlassen? Die Wissenschaft hat mehr Kompetenz und das grössere Wissen, um zu erklären, was die Fakten bedeuten und welche Szenarien welche Konsequenzen haben. Zusammen mit fast 250 Wissenschaftler:innen aus Klima, Energie, Umwelt, Ökonomie, Politikwissenschaften und anderen Bereichen haben wir gesagt: Die Schweiz hat Paris ratifiziert und damit ist «Netto-Null» spätestens 2050 zwingend. Wir argumentieren primär, dass es grössere Anstrengungen braucht – die Ausarbeitung ist dann Aufgabe der Politik und der Entscheid liegt selbstverständlich beim Volk.
Und wie überzeugen Sie die 100 000 Personen, die das SVP-Referendum unterschrieben haben, dazu, sich das Nein noch einmal zu überlegen?
Das Parlament hat die Bedenken der Bevölkerung beim CO2-Gesetz 2021 ernst genommen. Die neue Vorlage enthält keine Verbote und keine zusätzlichen Abgaben. Wer seine Heizung ersetzt, wird sogar finanziell unterstützt. Das Klimaschutzgesetz wird von allen Parteien ausser der SVP unterstützt. Von allen grossen Wirtschaftsverbänden wie economiesuisse und swisscleantech, vom WWF, SAC, Bauernverband und Dutzenden anderen Organisationen. Sie haben alle verstanden, dass wir davon profitieren.
Jetzt, wo Strom ein knappes Gut wird, und Versorgungsengpässe befürchtet werden, kann man sich jedoch fragen, ob es sinnvoll ist, auf Elektrofahrzeuge umzustellen und funktionierende Öl- und Gas-Heizungen zu ersetzen. Was antworten Sie den Skeptiker:innen?
Die hohe Abhängigkeit von Energie aus dem Ausland heute ist gefährlich. Der schnelle Zubau von erneuerbarer Energie muss so oder so geschehen, unabhängig vom Klimaschutz. Der Umstieg auf batterieelektrische Fahrzeuge ist nicht aufzuhalten, die Hersteller bauen Verbrennungsmotoren bald nicht mehr und die EU verbietet sie ab 2035. Bei den Wärmepumpen ist es ähnlich, der Boom ist riesig.
Wir müssen Klima- und Energiepolitik zusammen denken. Dafür braucht es den Mantelerlass zur Stärkung der erneuerbaren Energien und der Stromversorgungssicherheit, der jetzt im Parlament behandelt wird. Die Herausforderungen sind gross, aber technisch und wirtschaftlich machbar.
Haben die Kritiker:innen mit den hohen Kosten unrecht?
Sie spielen mit der Angst und präsentieren extreme Szenarien, von deren Interpretation sich sogar die Autoren distanzieren. Viele Investitionen fallen sowieso an. Und wer beispielsweise ein Elektroauto kauft, spart langfristig sogar Geld.
Die Schweiz ist zudem keine Insel für Nahrung, Produkte und Energie. Stromhandel stärkt die Zuverlässigkeit des Energiesystems. Geregelte Beziehungen zu unseren Nachbarn sind dafür allerdings zentral.
Und schliesslich: Die Milliarden an weltweiten Klimaschäden und was wir in einem «Weiter-wie-bisher-Szenario» für fossile Energie an dubiose Länder zahlen, wären weit grösser. Klimaschutz lohnt sich. Die USA und EU haben nicht umsonst milliardenschwere Infrastrukturpakete beschlossen. Sie tun das nicht primär, um die Welt zu retten, sondern weil es ihnen nützt.
Das Szenario, wenn der Souverän die Vorlage verwirft?
Wir verlieren mindestens fünf Jahre Zeit und es wird noch schwieriger. Wie bei der Energiewende auch: Die Probleme bleiben, auch wenn man sie verneint. Wir haben nicht die Wahl zwischen Klimaschutz und dem Zustand von heute. Die Welt ändert sich rasant. Entweder wir gestalten sie zu unserem Nutzen mit oder die Realität wird uns überrollen.
Der Philosoph Ludwig Hasler sagt es so: «Bei all den klimastabilisierenden Massnahmen hängen wir selber dran, wir Endverbraucher, wir mit unserem täglichen Billigschnitzel, unserem Zweitauto, unserem Klamottenberg, unserem dauernden Streamen, unserer Teneriffasehnsucht.» Wie motiviert man die Schweizer:innen, umweltbewusster zu leben?
Wir müssen uns bewusst sein, was auf dem Spiel steht. Billigschnitzel und ein hohes Bruttosozialprodukt nützen uns wenig, wenn wir dabei den Planeten zerstören. Es gibt keinen zweiten. Wir müssen unseren Konsum schon etwas hinterfragen. In vielen Bereichen ist es auch nicht schwer, zu sparen. Bei der Energie zum Beispiel sind 20 Prozent oder mehr nur schon mit Effizienz möglich.
Die Motivation dazu geht am einfachsten mit besseren Alternativen. Aber am Ende ist klar: Es braucht wie bei der Wasser- und Luftqualität oder dem Ozonloch auch einen politischen Rahmen. Alle profitieren, wenn alle mithelfen. Dieser kann durchaus liberal und technologieoffen sein. Die Wirtschaft setzt sich übrigens für klare Regeln ein, das gibt Planungssicherheit bei Investitionen und sorgt dafür, dass im Wettbewerb für alle gleich lange Spiesse gelten.
Abschliessend ein Blick in die Zukunft und Hand aufs Herz: Ist das Ziel, den Treibhausgas-Ausstoss in der Schweiz unter diesen Rahmenbedingungen, auch den politischen, bis ins Jahr 2050 auf «Netto-Null» zu reduzieren, wirklich realistisch?
Irgendwo muss man anfangen und manchmal sind mutige Schritte nötig. So wie unsere Vorfahren, die die Bahn elektrifiziert haben: Ein riesiges Projekt, aber wir profitieren heute noch davon.
Wir haben kein Technologieproblem und kein Geldproblem, es ist eine Frage des politischen Willens. Die ersten Schritte sind klar – und dabei werden wir auch lernen. Meistens geht der Wandel schneller als erwartet. Wir haben jetzt noch die Möglichkeit, die Weichen zu stellen, um eine zukunftsfähige Schweiz zu gestalten.
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