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Luca Boller: «Gamer entsprechen nicht mehr Klischees»

02.11.2020
von Patrik Biberstein

Luca Boller, Captain der Schweizer E-Nati und Vollzeit E-Sportler beim FC Basel, ist einer von wenigen in der Schweiz, die von E-Sports leben können. Gegenüber «Fokus» verrät der 26-Jährige, wie alles begann, wie seine Arbeit aussieht und was die Zukunft bereithält.

Luca Boller

Luca Boller

Luca Boller, du bist einer der erfolgreichsten E-Sportler der Schweiz. Wann und wie hast du gemerkt,
dass du ein Talent fürs FIFA-Gaming hast?

Das war in relativ jungen Jahren, im Alter von ungefähr zehn, zwölf Jahren. Denn ich war immer sehr ehrgeizig, wollte in allem, was ich tat, auch gut sein. Im Gamen allgemein, und insbesondere im FIFA, ist das nötige Talent dazu gekommen. Das hat sich dann beim Zocken mit Freunden oder Bekannten durch häufige, hohe Siege geäussert. So – als Hobby im Wohnzimmer gegen Kollegen – hat das Ganze angefangen.

Hast du danach mehr Zeit dafür aufgewendet, um noch besser zu werden? Wie hast du dein Talent
weiterentwickelt?

Jein, denn zu Beginn wusste ich ja auch noch nicht, wie gross die Szene einmal werden würde – es war einfach eines meiner Hobbys. Mein Leben bestand aus Schule, Fussball, Freunde treffen und Gamen – besonders am Abend oder an regnerischen Wochenenden. So richtig angefangen hat das Ganze, nachdem wir umgezogen sind. Auf einer meiner ersten Erkundungstouren stiess ich auf einen Flyer, auf welchem ein FIFA-Turnier ausgeschrieben war. Für mich war dies die ideale Gelegenheit, um Leute mit den gleichen Interessen kennenzulernen. Dadurch habe ich dann auch erfahrenere Spieler getroffen, die mir weitergeholfen haben. Und so bin ich immer mehr in die Szene reingerutscht. Mit vielen der Kollegen aus diesen Turnier-Anfangszeiten bin ich übrigens heute noch befreundet.

Ich habe selbst nie gedacht, dass dies einmal mein Beruf sein könnte. Luca Boller

Wahrscheinlich haben einige noch das Vorurteil, Gaming sei weder Sport noch Beruf. Was entgegnest du darauf? Fehlt einfach das Wissen darum, was nötig ist, um auf einem derart hohen Niveau zu reüssieren?

Ein Stück weit kann ich das schon nachvollziehen, gerade in Bezug auf den Beruf. Ich habe ja selbst nie gedacht, dass dies einmal zu meinem Beruf werden könnte. Und ob es ein Sport ist, nun, das ist sowieso eine ewige Diskussion – es kommt auf die Person an, ob man Mentalsport als Sport betitelt oder nicht. Wenn man zum Beispiel Schach oder Zielschiessen nicht als Sport betrachtet, dann kann ich verstehen, dass dies beim E-Sport nicht anders ist. Schlussendlich ist es auch von Land zu Land unterschiedlich; in manchen gilt es als Sport in anderen, wie der Schweiz, nicht. Ich fände es schön, würde es hier als Sport gelten, denn so würde eine Organisation, eine Struktur in das Ganze reinkommen. Ausserdem darf etwas nicht vergessen werden: Man muss unterscheiden zwischen Gaming und E-Sports. Wenn ich mit Freunden rausgehe und ein paar Pässchen spiele, ein paar Mal aufs Tor schiesse, dann ist das ja auch nicht wirklich Sport – schlussendlich kommt es immer auf die Intensität, mit der man etwas betreibt, an.

Und natürlich, was alles dahintersteckt, das sieht man nicht; weder den Trainingsaufwand noch die ganze mentale Belastung. Du spielst vor tausenden Leuten und musst einfach abliefern, man muss mit Rückschlägen umgehen können und trotzdem den Fokus bewahren. Das ist von der mentalen Belastung her eine ähnliche Situation wie bei einem richtigen Fussballer.

Du sprichst den Trainingsaufwand an. Wie trainiert man das FIFA-Spielen? Spielt man dazu einfach Partie um Partie?

Spielpraxis ist sicherlich ein Faktor. Aber irgendwann ist damit auch das Maximum rausgeholt, dann geht es an den Feinschliff: Man probiert unterschiedliche Taktiken aus, versucht sich an einzelnen Spielzügen, und so weiter. Dazu braucht es einen guten Trainingspartner mit ähnlichem Können und Wissen. Und schlussendlich ist es zudem teilweise wie im richtigen Fussball; es wird Schusstraining gemacht, Flankentraining oder andere Spielsequenzen eingeübt. Da ist der virtuelle Fussball dem richtigen schon irgendwie ähnlich.

Einen Trainingsplan gibt es aber nicht wirklich, beim FIFA ist der Wettkampf ja meistens 1v1, weshalb man nicht von einem Team abhängig ist. Dadurch bist du schlussendlich dein eigener Trainer – das erfordert eine gewisse Selbstdisziplin um das Training auch wie geplant durchzuziehen. Denn schlussendlich weiss man irgendwann selbst, was wie zu stark zu gewichten ist beim Training – das kommt mit der Erfahrung.

Wie sieht denn ein typischer Tagesablauf bei dir aus punkto Training? Was ist nötig, um dieses Niveau zu wahren?

Normalerweise trainiere ich pro Tag zwei Mal in Blöcken à drei Stunden. Wenn, so wie jetzt, ein neues FIFA rauskommt, dann verbringe ich auch mehr Zeit mit dem Spiel, man muss ja «reinkommen», die Änderungen und neuen Möglichkeiten kennenlernen. Als Ausgleich zum Training an der Konsole absolviere ich zudem Fitness-Einheiten. Letzten Endes fühlt man sich mit guter Ernährung und Bewegung mental einfach fitter. Deswegen legen sehr viele E-Sportler Wert auf Bewegung und gesunde Ernährung – der Gamer entspricht schon lange nicht mehr den Klischees von früher, ganz im Gegenteil!

Was unterscheidet den normalen FIFA-Gamer vom E-Sportler?

Da ist einerseits ganz klar das Interesse am Spiel, an den Taktiken, den Spielern und so weiter. Als Profi beschäftigst du dich zudem viel intensiver mit dem Spiel. Dieses Know-how gepaart mit einem gewissen Talent, fussballerischem Verständnis und ob man mit dem Druck eines Wettkampfs umgehen kann, dort liegt der Unterschied.

Was würdest du Kindern und Jugendlichen mit dem Berufswunsch E-Sportler raten?

Ich glaube, da unterscheidet sich mein Ratschlag als virtueller Fussballer nicht allzu stark von jenem eines richtigen Fussballers: Absolviere eine Lehre oder sonstige Ausbildung, um dich abzusichern. Denn der E-Sports-Bereich, insbesondere in der Schweiz, ist noch nicht so ausgereift, dass man sich den Beruf E-Sportler als «Muss-Ziel» setzen könnte. Es sollte ein Traum sein können, aber man muss trotzdem die Ausbildung priorisieren. Denn so schnell man mit Talent hoch hinauskommen kann, genauso schnell kann man auch wieder fallen. Und die Preisgelder sind nun doch nicht so hoch als dass man den Rest des Lebens davon zehren könnte. Darum lege ich jedem angehenden E-Sportler ans Herz, sich ein Hauptstandbein aufzubauen und nebenbei in den E-Sport zu investieren.

Das A und O ist Überzeugung und Leidenschaft – egal wobei. Luca Boller

Apropos Ausbildung – so ganz «nebenbei» bist du ja noch DJ und studierst. Wie kriegst du denn alles unter einen Hut?

(lacht) Das werde ich auch oft von Freunden gefragt. Für mich ist es so, dass die Musik und das Gamen meine Hobbys waren, bevor sie sich zu mehr entwickelten. Und insofern war das auch keine Last im negativen Sinn, ich habe dies getan, weil es Spass machte. Ich wollte nie ein Hobby nur «halbbatzig» ausüben, das bin nicht ich – wenn ich etwas mache, dann richtig. Das war damals sicher auch zeitweise mit Stress verbunden, man will ja noch Freunde treffen oder Fussballspielen, zum Beispiel. Irgendwann wurde es mir auch ein wenig zu viel. Da habe ich eine Pause eingelegt und reflektiert, was mir wirklich wichtig ist. Anhand dieser Überlegungen habe ich mir zudem Ziele und Prioritäten gesetzt. Mit diesem Mindset «entweder richtig oder gar nicht» habe ich weitergemacht und eigentlich nie mehr Probleme gehabt, alles unter einen Hut zu bringen. Das A und O – egal wobei – ist Überzeugung und Leidenschaft.

Ausserdem darf etwas nicht vergessen werden: Man muss unterscheiden zwischen Gaming und E-Sports. Luca Boller

Das durchschnittliche Ruhestandsalter für E-Sportler ist 25, was daher rühren könnte, dass dann die Reaktionsgeschwindigkeit nachzulassen beginnt. Du hast vor einigen Tagen deinen 26. Geburtstag gefeiert – erst einmal, alles Gute nachträglich! Wie lange bleibst du denn noch im E-Sport?

Danke! (lacht) Denn momentan ist E-Sportler noch kein Beruf, der in Stein gemeisselt ist. Es sind bisher zudem noch nicht viele zurückgetreten; es gibt noch keine fixe Struktur. Man kann es nicht mit, beispielsweise, dem Bäcker vergleichen: Man hat weder einen fixen Tagesplan, geschweige denn einen Zukunftsplan; man weiss nicht «ok, dann und dann kann ich aufsteigen, dann gehe ich in Rente».

Klar gibt es viele Junge, die nachrücken, aber deren Vorteil ist meiner Meinung nach gar nicht unbedingt die kürzeren Reaktionszeiten, ich sehe die Vorteile vielmehr beim Mindset, dem «Hunger», den sie haben und der Zeit, die sie investieren können. Meist sind sie noch in der Schule, da hat man einfach mehr Zeit zur Verfügung. Ich persönlich werde wohl nicht mehr ewig
dabei sein, auch wenn das ganz darauf ankommt, wie sich E-Sports in der Schweiz weiterentwickelt. Aber ein paar Jahre möchte ich eigentlich schon noch dranbleiben.

Wie stellst du dir denn deine weitere berufliche Zukunft vor, solltest du den Controller an den Nagel hängen?

Momentan stehe ich kurz vor Abschluss meines Studiums in Marketing und Kommunikation. Ob ich dies nachher im E-Sport anwende oder mich eher in eine andere Richtung orientiere, das wird die Zukunft zeigen.

Luca Boller in Kürze:

Alias: Lubo
Geburtsdatum:25.09.1994
Club: FC Basel 1893
DJ-Name: 7ubo
Kanäle:Instagram, Twitch, Spotify

Entweder-Oder

Playstation, Xbox oder PC? Playstation
Zürich, Basel oder Luzern? (lacht) Punkto Fussball: Basel, für die Stadt: Zürich
Taschenbuch oder E-Book? E-Book. Alles, was vorne ein «E» hat, ist bei mir Favorit (lacht).
Film oder Serie? Wenn, dann Film
Virtueller oder realer Fussball? In der Freizeit – sowohl zum Schauen als auch zum Spielen – realer Fussball. Virtuellen darf ich ja schon zu «Arbeitszeiten» spielen.

Interview Patrik Biberstein

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