Nachhaltigkeit und Mode? Noch kein Liebespaar – aber eine Verbindung mit Zukunft
Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des Outdoor-Ausrüsters Vaude, spricht im Interview über Kreislaufwirtschaft, nachhaltiges Produktdesign und Innovationen in der Textilbranche. Sie weiß, welche Hürden auf dem Weg zum Textilrecycling noch zu bewältigen sind, wie die EU-Regulierung dabei helfen kann – und warum Nachhaltigkeit und Mode für sie kein Widerspruch und auch noch kein »Liebespaar« sind – aber eine Verbindung mit Zukunftspotenzial.

Antje von Dewitz
Geschäftsführerin Vaude
Frau von Dewitz, wenn Sie den Stand der Kreislaufwirtschaft in Deutschland und Europa mit einem Bild beschreiben müssten – sitzen wir noch am Reißbrett oder sind wir schon auf dem Recyclinghof?
Eher irgendwo dazwischen und es gibt noch enorm viel zu tun. Sammelsysteme für Alttextilien existieren zwar, aber dahinter steckt bisher ein manueller Sortierprozess. Genau da beginnt schon der Zielkonflikt: Bisher sind diese Systeme darauf ausgelegt, getragene Kleidung wiederzuverwenden, anstatt Materialien für ein echtes Recycling bereitzustellen – denn eine entsprechende Recyclinginfrastruktur gibt es noch gar nicht. Was fehlt, ist zum Beispiel ein digitaler Produktpass für Textilien, der eine automatische Erkennung und Sortierung der Materialien ermöglicht. Auch ein klarer Plan, was mit den gesammelten Altkleidern geschehen soll, fehlt bislang. Kurzum: Der Weg vom Reißbrett bis zum Recyclinghof ist noch sehr lang.
Sie haben automatische Sortiersysteme erwähnt. Führt dabei langfristig kein Weg an künstlicher Intelligenz vorbei – und wo setzen Sie diese bereits im Unternehmen ein?
Wir nutzen KI-Technologien bei Vaude schon in einigen Bereichen – etwa in der Produktentwicklung und in unserer eigenen Manufaktur, wo wir als einer der Ersten einen Produktionsschritt automatisiert haben. Künstliche Intelligenz hilft, Abläufe effizienter zu gestalten. Auch für die Detektion und Sortierung von Alttextilien wird KI eine wichtige Rolle spielen. Ohne smarte Automatisierung bekommen wir die gewaltigen Mengen an Kleidung kaum sinnvoll recycelt.
Die EU will mit dem »Green Deal« und neuen Vorgaben die Kreislaufwirtschaft voranbringen. Erleben Sie diesen politischen Rahmen eher als willkommenen Rückenwind – oder als bürokratische Bürde?
Grundsätzlich begrüße ich die europäischen Initiativen – sie können wichtige, zukunftsfähige Veränderungen beschleunigen. Etwa die neue Ökodesign-Verordnung und der digitale Produktpass: Solche einheitlichen Regeln sind Voraussetzung, damit Recycling überhaupt funktionieren kann. Momentan findet der übliche Stakeholderprozess statt, in dem zunächst die Zielkonflikte offengelegt und zum Teil auch extreme Forderungen aufeinanderprallen – zum Beispiel die Idee, dass Hersteller weit über die gesetzliche Gewährleistung hinaus kostenlose Reparaturen anbieten müssen. Das können Hersteller nicht leisten. Wichtig ist nun, dass wir gemeinsam praxistaugliche Lösungen finden. Eine große Herausforderung ist vor allem die Planungsunsicherheit: Wir stellen uns auf neue EU-Vorgaben ein – investieren etwa viel, um Vorreiter zu sein, zum Beispiel beim Lieferkettengesetz – und dann wird so eine Regel im letzten Moment doch wieder gekippt. Das erschwert es enorm, langfristig sinnvoll zu wirtschaften. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass am Ende praktikable Kompromisse entstehen.
Es ist entscheidend, dass neue Regeln den europäischen Markt auch vor einer Flut an Billigtextilien von außen schützen – sonst wird nachhaltiges Wirtschaften ad absurdum geführt. – Antje von Dewitz, Geschäftsführerin Vaude
Beim nachhaltigen Produktdesign tut sich ebenfalls einiges. Dennoch bestehen viele Kleidungsstücke weiterhin aus Materialmixen, die sich kaum recyceln lassen. Warum lässt sich Monomaterial nicht durchgehend umsetzen?
Weil wir immer die Funktion und Langlebigkeit der Produkte mitbedenken müssen. Oft verbessert erst ein Materialmix die Qualität. Ein Beispiel: Ein T-Shirt nur aus Wolle würde schnell verschleißen und stark fusseln. Geben wir aber zehn Prozent recyceltes Polyester hinzu, hält es deutlich länger und bleibt formstabil. Ebenso brauchen sportive Radhosen etwas Elastan für die nötige Dehnbarkeit. Solche Mischungen zahlen auf die Lebensdauer und Gebrauchstauglichkeit ein. Gleichzeitig arbeiten wir mit unserem »Design for Life«-Konzept an kreislauffähigen Lösungen, das auf langlebige und zirkuläre Produkte setzt, die beispielsweise nur aus einer Kunststoffart gefertigt werden. Damit sind wir für die Zukunft gerüstet, wenn es Textil-zu-Textilrecycling geben wird. Trotzdem gilt: Wenn ein Kleidungsstück aus nur einem Material zwar leichter recycelbar wäre, aber wichtige Eigenschaften einbüßt, dann ergibt ein intelligenter Materialmix mehr Sinn – damit es möglichst lange genutzt werden kann.
Brauchen wir strengere Regeln gegen die Wegwerfmode? Frankreich etwa plant ein Gesetz gegen Fast Fashion. Ist Nachhaltigkeit und Mode für Sie überhaupt ein dauerhaftes Paar – oder doch nur eine kurze Liaison?
Frankreich macht hier einen wichtigen Vorstoß und generell darf Fast Fashion in Zukunft keine Sonderrolle mehr genießen. Es ist entscheidend, dass neue Regeln den europäischen Markt auch vor einer Flut an Billigtextilien von außen schützen – sonst wird nachhaltiges Wirtschaften ad absurdum geführt. Schauen wir auf den Planeten: Deutschland hatte seinen Earth Overshoot Day in diesem Jahr am 24. Juli. Das heißt, innerhalb von sieben Monaten waren alle natürlichen Ressourcen verbraucht, die innerhalb eines Jahres regenerierbar sind.
So kann es nicht weitergehen. Wir brauchen dringend neue Lösungen. Nachhaltigkeit und Mode sind für mich deshalb zwar noch keine feste Beziehung, aber eine Verbindung mit Zukunft.
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