Als Skirennfahrer setzte Daniel Albrecht Massstäbe. Er avancierte zu einem der erfolgreichsten Juniorenathleten überhaupt und holte sich später auch den Weltmeister-Titel. 2009 wurde sein Leben für immer verändert, als er beim Training mit 140 Stundenkilometer stürzte. Wie kommt man nach so einem Erlebnis wieder auf die Beine – und findet in ein neues Leben? «Fokus» fragte nach.
Herr Daniel Albrecht, Ihre Skirennkarriere ist gespickt mit Höhepunkten. Welcher Sieg beziehungsweise welcher Moment generell bedeutet Ihnen heute am meisten?
Dazu fallen mir verschiedene Schlüsselmomente ein, aus unterschiedlichen Gründen. Einer ist sicherlich der Moment, an dem ich zum ersten Mal in meinem Leben an einem Skirennen teilnahm. Dann erinnere ich mich auch gerne an meinen ersten Schritt aufs Podest zurück, damals noch als Junior. Und meine Teilnahme an der Juniorenweltmeisterschaft 2003, an der ich drei Gold- und eine Silbermedaille erringen konnte, war für mich ebenfalls wegweisend, da ich zu dieser Zeit erstmals mein Potenzial realisierte. Alle diese Erfahrungen und Schlüsselerlebnisse nährten in mir das Bestreben, mir stets grosse, fast schon unrealistische Ziele zu setzen – und diese dann mit vollem Tatendrang zu verfolgen. Die Basis hierfür muss meines Erachtens eine brennende Leidenschaft sein: Ich tat immer das, was mir Spass bereitete. Und mit der Zeit gesellte sich Ambition dazu. Auf diese Weise wurde mehr daraus.
Ihr schwerer Unfall in Kitzbühel im Jahr 2009, bei dem Sie mit 140 Kilometern pro Stunde gestürzt sind, war sicherlich ebenfalls ein einschneidendes Ereignis. Welche Herausforderungen mussten Sie auf Ihrem Weg zur Erholung meistern?
Ich denke heute, dass mir dies nicht ohne Grund widerfahren ist. Ich vertrete die Ansicht, dass alles einen Erfolg darstellt, solange man Spass daran hat. Sobald aber eine Tätigkeit zum «Müssen» mutiert, zerbricht diese Freude und der Erfolg ist dahin. An diesem Punkt befand ich mich damals. Der Unfall zwang mich in mehrfacher Hinsicht dazu, an mir zu arbeiten und mich selbst sowie meine Handlungen zu hinterfragen. Mir wurde bewusst, dass ich nochmals ganz bei null anfangen musste, ich aber meine Entscheidungen dennoch selbst fällen wollte. Gewisse Fähigkeiten kehrten nach meinem dreiwöchigen Koma schneller, andere langsamer zurück. Ein grosser Teil dieses Regenerationsprozesses geschah im Kopf, weswegen eine gewisse mentale Stärke absolut von Vorteil ist. Doch auch diese kann man in einer derartigen Ausnahmesituation nur dann nutzen, wenn das Umfeld mitspielt. Die Menschen um einen herum sind entscheidend. Essenziell war aber auch, dass ich meinem eigenen Kopf folgte.
Wie meinen Sie das genau?
Nach einem solch lebensverändernden Umfall erhält man zahllose Ratschläge, Einschätzungen und Meinungen, sowohl von Medizinerinnen und Medizinern als auch von Bekannten und Verwandten. Und obschon man externe Inputs ernst nehmen und berücksichtigen sollte, waren es nie die Meinungen anderer, die mich zum Weltmeistertitel gebracht haben – sondern meine eigenen Gedanken, Ansichten und Ambitionen. Ich erreichte meine Ziele, weil ich dies wollte und nicht, weil andere dies von mir verlangten. Dieses Mindset half mir auch während der schwierigen Zeit der Erholung nach dem Unfall enorm. Mein «Dickschädel» war auch entscheidend dafür, dass ich 2010 mein Comeback gab und wieder Weltcup-Rennen fuhr. Ich musste dies einfach tun. Für mich, nach meinen eigenen Bedingungen.
Also hatte Ihre Rückkehr auf die Skirennpiste auch einen therapeutischen Wert?
Absolut! Ich wollte einfach selbst erfahren, ob meine Freude am Skifahren noch da war und ob diese Leidenschaft noch in mir brannte. Denn alle Leute um mich herum versuchten mir damals einzubläuen, dass meine Zeit im Spitzensport endgültig abgelaufen war. Doch ich wollte, nein, musste am eigenen Leib herausfinden, was noch möglich war für mich. Ich wollte selbst entscheiden, wo meine Grenzen liegen. Und das Comeback klappte auch überraschend gut. 2013 beendete ich dann meine Karriere und widmete mich neuen Zielen.
Welche Ratschläge würden Sie jungen Athletinnen und Athleten geben, die am Anfang ihrer Karriere stehen, insbesondere hinsichtlich Gesundheit?
Nach meinem Unfall habe ich die Skilehrer- und Trainerausbildung absolviert und mich auch vertieft mit Mentaltraining auseinandergesetzt. Letzten Sommer war ich dann an der Seite von Didier Plaschy mit den Schweizer Ski-Junioren unterwegs gewesen. Da sieht man Athletinnen und Athleten auf allen Stufen. Die Aufgabe als Trainer besteht darin, diesen Menschen Strukturen zu geben, damit sie ihre individuellen Stärken fördern und ausspielen können. Vertrauen spielt dabei eine zentrale Rolle. Dies ist die Sicht des Trainers. Wenn es um Handlungsempfehlungen für die Sportlerinnen und Sportler geht, würde ich Folgendes anmerken: Dein Körper sagt dir, was er braucht – und was nicht. So ist etwa das Auftreten von Muskelkater ein wichtiges Signal, ebenso wie das Völlegefühl sowie die Schlappheit, die man im Training nach dem Verspeisen einer ganzen Pizza empfindet (lacht). Der Körper gibt laufend Feedback; man muss aber auch darauf hören! Im Zusammenhang mit mentaler Gesundheit ist die Situation komplexer. Gewisse Erfahrungen muss man einfach machen und dabei lernen, auf sich selbst zu hören. Und ganz wichtig: Jede Athletin und jeder Athlet muss etwas finden, um sich mental zu entspannen. Was das genau ist und wie es sich mit dem anspruchsvollen Trainingsalltag vereinbaren lässt, muss jede und jeder selbst herausfinden. Im Kern des Ganzen sollten aber immer, wie gesagt, Spass und Leidenschaft stehen. Denn wenn es sich nicht gut anfühlt, dann ist man falsch unterwegs.
Obschon man externe Inputs ernst nehmen und berücksichtigen sollte, waren es nie die Meinungen anderer, die mich zum Weltmeistertitel gebracht haben – sondern meine eigenen Gedanken, Ansichten und Ambitionen.
Sie sind heute unter anderem das Gesicht von Fragile Suisse. Was sind Ihre Pläne und Ziele für die Zukunft und für welche Projekte oder Initiativen möchten Sie sich künftig engagieren?
Egal in welchem Kontext ich unterwegs bin, ich gehe meinen Weg immer mit Optimismus und Geduld in Richtung Ziel. Dies habe ich auch nach meiner Sportlerkarriere so gehandhabt: Ich verkaufte meine Kleidermarke, da mir hierfür die Leidenschaft ausgegangen war, und gründete das Unternehmen «Mondhaus», das sich dem nachhaltigen Bauen widmet. Gemeinsam mit Fragile Suisse unterstütze ich Schädelhirntrauma-Patientinnen und -Patienten. Und zusammen mit meiner Frau helfe ich Menschen nun dabei, ihre eigene Glücksformel zu finden.
Wie helfen Sie Menschen konkret dabei, glücklich zu leben?
Der Schlüssel hierzu ist mein neues Herzensprojekt: der Bildungs- und Lebensort Campus B. Dieser steht für eine Kultur, die es Menschen erlaubt, ihre Körper und ihre Seelen zu stärken. Ich denke, in jedem Menschen steckt das Potenzial, erfolgreich und erfüllt zu sein. Der Campus, den wir derzeit aufbauen und entwickeln, soll hierfür eine Hilfe darstellen. Ich selbst habe am eigenen Leib erfahren, was mit einem passiert, wenn man die eigene Leidenschaft lebt und dies dann durch ein unvorhergesehenes Ereignis plötzlich nicht mehr möglich ist. Da entsteht eine grosse Leere und man fragt sich: Welche Leidenschaft bleibt mir jetzt eigentlich noch? Was treibt mich an? Und wie finde ich meine neue Leidenschaft? Mit der Beantwortung dieser Fragen werden viele Leute allein gelassen. Darum möchte ich eine Kultur schaffen, in der genau das Gegenteil geschieht und man in einem positiven Umfeld neue Chancen finden kann. Mit dem Campus habe ich mir also einmal mehr ein unrealistisches Ziel gesteckt. Aber das ist ja mittlerweile meine Spezialität (lacht).
Sie haben Ihre Frau erwähnt. Wie wichtig waren Unterstützungssysteme wie Familie, Freunde und medizinische Teams während Ihrer Erholungszeit?
Die Rolle meiner Frau kann ich gar nicht stark genug betonen, sie war und ist essenziell in meinem Leben. Sie ist unglaublich resilient, sieht immer Lösungen und hat mich zu jeder Zeit vollkommen unterstützt. Sie ist mein sicherer Hafen. Und wenn man die Hilfsstrukturen in einem grösseren Rahmen anschaut, über die wir in der Schweiz verfügen, kommt man zum Schluss, dass die medizinische Begleitung hervorragend ist und zahlreiche Angebote existieren, die man in einer Ausnahmesituation nutzen kann. Letztlich sollte man sich in diesen Strukturen frei bewegen und auf die eigene Stimme hören. Denn Entscheidungen fürs eigene Leben muss man letztlich selbst treffen.
Welche persönlichen Erkenntnisse und welches Wachstum nehmen Sie aus den Herausforderungen Ihrer Karriere und Ihres Unfalls mit?
Ich durfte sehr viel lernen und erkennen. Auch wurde mir klar, dass es immer weitergehen muss. Als Menschen erreichen wir immer wieder neue Ebenen, die uns neue Blickwinkel eröffnen. Damit gehen aber auch stets neue Fragen einher. Gewisse Aspekte meines Lebensweges verstehe ich heute noch nicht. Doch das hindert mich nicht daran, ihn weiterzugehen. Mit Freude und Leidenschaft.
Weitere Informationen unter:
www.daniel-albrecht.ch
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