Dave Dollé rannte einst selbst an der Spitze der Leichtathletik mit. Heute ist der US-Schweizer Personal Trainer und coacht seine Klient:innen mit viel Leidenschaft und Engagement. Im Interview mit «Fokus» erklärt er, was Tiere besser machen als Menschen und dass es völlig menschlich ist, nicht motiviert zu sein.
Dave Dollé, du hast deine Leidenschaft zum Beruf gemacht. Was ist denn deine Leidenschaft?
Seit ich denken kann, ist es mir wichtig, ein gutes Körpergefühl zu haben. Die mental-emotionale Komponente hat dabei schon immer eine grosse Rolle gespielt, auch als ich noch nicht wusste, wie ich diese einordnen sollte. Denn mein Körpergefühl beeinflusst meine Gedanken und umgekehrt. Wenn ich mich in meinem Körper wohlfühle, ist das Leben viel einfacher und angenehmer, als wenn ich mich schlecht fühle. Der Wille, auf meine Gesundheit zu achten, kommt daher, dass ich im Alltag immer fähig sein möchte, das zu machen, was ich möchte. Als Spitzensportler habe ich erkannt, dass das Fundament für gute Leistungen unsere Gesundheit ist. Deshalb begann ich mich dafür zu interessieren, wie wir unsere Gesundheit positiv beeinflussen können. Gesundheit ist keine persönliche Präferenz – wir alle wollen gesund sein. Jetzt kümmere ich mich nicht nur um meine eigene Gesundheit, sondern kann auch anderen helfen, gesünder zu leben.
Du hast mit fünf Jahren angefangen, Sport zu treiben. Ab welchem Alter ist Bewegung wichtig?
Bewegung fängt schon im Mutterleib an. Als Babys können wir noch nicht einmal aufrecht sitzen. Denn wenn wir auf die Welt kommen, haben wir noch nicht die Kraft, uns zu stabilisieren. Wir sind noch zu schwach, unseren Arm zu heben oder die Treppe hinaufzusteigen. Jedoch fangen wir sofort an, uns physisch zu entwickeln. Die kognitive Entwicklung hinkt anfangs hinterher, lesen lernen wir zum Beispiel erst zu einem späteren Zeitpunkt. Die Natur hat eigentlich einen Fahrplan für unsere Bewegungsentwicklung: Im Durchschnitt beginnt ein Kind zwischen 12 und 14 Monaten zu laufen. Wenn es mit sechs Monaten bereits laufen würde, wäre das aussergewöhnlich. Aber wenn es im Alter von zwei Jahren immer noch nicht laufen könnte, wäre das auch abnormal. Je früher wir eine körperliche Allgemeinbildung entwickeln, desto besser. Schon Kleinkinder machen Krafttraining, indem sie zum Beispiel einen Kübel mit Sand von A nach B transportieren. Wenn wir solche Bewegungen auch im Alter pflegen und spielerisch in unseren Alltag integrieren, fördert das unsere physische Entwicklung.
Wie wichtig ist Bewegung, wenn wir älter werden?
Das Ziel des Trainings ist eigentlich, Bewegungen im Alltag zu ermöglichen. Wir wollen uns im Alltag, zum Beispiel beim Gärtnern oder Tennisspielen, richtig bewegen können. Die Bewegungen, die ich im Alltag gerne mache, muss ich durch ein Training unterstützen. Im Winter gehen wir zum Beispiel nicht in den Garten. Wenn wir uns dann Monate später im Frühling bei der Gartenarbeit wieder anstrengen, klagt jede:r Zweite über Rückenschmerzen. Denn wenn wir eine Bewegung über einen längeren Zeitraum nicht ausführen, kommt es schnell zu einer Überlastung unseres Körpers. Das kann zu einer Negativspirale führen: Wenn eine Bewegung Schmerzen verursacht, führe ich sie weniger aus. Und wenn ich sie weniger ausführe, schränkt das meine Mobilität ein. Am Ende bewege ich mich gar nicht mehr. Um wieder stärker zu werden, müssen wir Dinge tun, die nicht immer einfach sind. Das Gute daran: Je öfter wir eine bestimmte Bewegung ausüben, desto leichter fällt sie uns.
Wie können wir gesund altern?
Es gibt einige Dinge, die wir unbedingt können wollen: Wenn wir hinfallen, weil wir stolpern oder auf dem Glatteis ausrutschen, wollen wir wieder aufstehen können. Und genau das können wir trainieren. Es ist nämlich eine Frage der Beweglichkeit, Kraft und Gelenkigkeit. Wenn Hunde und Katzen aufstehen, nachdem sie sich für eine Weile hingelegt haben, strecken und dehnen sie sich. Tiere machen das automatisch. Wir Menschen hingegen bewegen uns stundenlang nicht, sitzen nur rum. Und wenn wir aufstehen, machen wir nicht einmal eine Dehnung. Wir werden ungelenkig. Zudem sitzen wir nicht am Boden, weil Stühle und Sofas einfach bequemer sind. Wir verlieren unsere Beweglichkeit und vor allem die Kraft, vom Boden aufzustehen. Deshalb ist es wichtig, unsere Mobilität mit Gymnastik zu trainieren – und zwar jeden Tag. Wenn wir im Alltag keine körperliche Arbeit ausführen, schwindet unsere Kraft.
Wir sollten davon ausgehen, dass das Nicht-Perfekte normal ist. Wenn ich glaube, dass alles immer perfekt laufen muss, habe ich ein Problem: Dann bin ich jeden Tag enttäuscht, dass es nicht so ist. Dave Dollé
Ich empfehle, immer die Treppe statt der Rolltreppe oder des Lifts zu benutzen, um die Beinmuskulatur zu trainieren. Für das Oberkörpertraining im Alltag eignet sich eine Klimmzugstange im Türrahmen. Allein durch das Festhalten trainieren wir unsere Griffkraft. Diese ist ein wichtiger Indikator für unsere Gesundheit. Ausserdem ist es gut für die Mobilität der Schultern und gut für den Rücken, weil es eine Dekompression (Entlastung) gibt. Im Alltag ist eher das Gegenteil der Fall. Beim Hängen erholt sich die Bandscheibe, die Wirbelsäule wird in die Länge gezogen und Verspannungen lösen sich. Wer beim Zähneputzen noch Kniebeugen oder Wadenheben macht, gewinnt noch mehr Kraft. Liegestützen gewöhnen mich daran, die Hände zu belasten. Auch das kann einen schlimmen Sturz verhindern, weil mich meine starken Handgelenke abfedern können.
Bewegung bedeutet für viele, den inneren Schweinehund überwinden zu müssen. Wie können wir dennoch motiviert bleiben?
Auf die Motivation können wir uns nicht verlassen. Motivation ist wie das Wetter, sie kommt und geht. Wenn ich mich nur auf meine Motivation verlassen würde, würde ich nicht mehr jeden Tag zur Arbeit gehen. Es ist meine Entscheidung, aufzustehen, auch wenn ich nicht motiviert bin. Selbst eine Person, die ein Ziel vor Augen hat, ist nicht immer motiviert. Man macht einfach weiter, weil man muss. Glaubst du, ich war jemals motiviert, die Windeln meines Kindes zu wechseln? (lacht)
Es ist wichtig, dass wir begreifen, dass Motivation nicht konstant ist – bei niemandem. Ab und zu gibt es Tage, an denen wir aufstehen und denken «Wow, what a beautiful morning». Aber die Erwartung zu haben, dass es jeden Tag so ist, ist unrealistisch.
Wir sollten davon ausgehen, dass das Nicht-Perfekte normal ist. Wenn ich glaube, dass alles immer perfekt laufen muss, habe ich ein Problem: Dann bin ich jeden Tag enttäuscht, dass es nicht so ist.
Häufig haben wir das Gefühl, dass es anderen leichter fällt, motiviert zu bleiben. Aber wenn wir sie fragen würden, würden auch sie sagen, dass es ein täglicher Kampf ist. Selbst wenn Menschen erfolgreich sind, müssen sie kämpfen. Klar, es mag Jammern auf einem hohen Niveau sein, aber manchmal ist auch das notwendig. Ich predige, dass es menschlich ist, nicht motiviert zu sein. Mein Motto für alle Momente, in denen mir die Motivation fehlt: Just do it.
In der Leichtathletik hast du viele Erfolge gefeiert, zum Beispiel den Schweizer Landesrekord im 100-Meter-Sprint. Wie ehrgeizig bist du heute noch?
Wenn ich etwas erreichen will und es mir etwas wert ist, dann bin ich immer noch sehr ehrgeizig. Wenn mir jemand vorschlägt, einen Marathon zu laufen, dann lehne ich dankend ab, weil ich das nicht will. Es gibt so viele Dinge, die wir tun können. Und wenn wir etwas wirklich wollen, dann ist es normal, ehrgeizig zu sein. Schwierig finde ich, wenn jemand sagt, ich möchte das und das erreichen, aber nichts dafür tut. Wenn ich etwas wirklich will, tue ich alles, was in meiner Macht steht. Wenn ich etwas ein bisschen will, dann tue ich ein bisschen etwas dafür. Klar ist: Wer ehrgeizig ist, erreicht sein Ziel eher als eine Person, die nicht ehrgeizig ist. Für mich ist Gesundheit wichtig, deshalb bin ich in diesem Bereich ehrgeizig. Ich kenne niemanden, dem Gesundheit völlig egal ist. Sobald man merkt, dass nicht mehr alles einwandfrei funktioniert oder Menschen aus dem Umfeld krank werden und über gesundheitliche Probleme klagen, wächst das Bewusstsein. Mein Ehrgeiz treibt mich an, Menschen positiv zu beeinflussen und jeden Tag etwas Neues zu lernen. Ich suche ganz bewusst danach und werde so jeden Tag ein bisschen wissender.
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