Interview von Kevin Meier

Bertrand Piccard: «Es ist nicht das Alter, das zählt»

Reisen ins Ungewisse sind für Bertrand Piccard vor allem eines: eine Inspiration für zukünftige Wege. «Fokus» hat mit dem Abenteurer darüber gesprochen, wie er seinen Werdegang wahrnimmt und wie er sich die Welt der Zukunft vorstellt.

Reisen ins Ungewisse sind für Bertrand Piccard vor allem eines: eine Inspiration für zukünftige Wege. «Fokus» hat mit dem Abenteurer darüber gesprochen, wie er seinen Werdegang wahrnimmt und wie er sich die Welt der Zukunft vorstellt.

Herr Bertrand Piccard, Sie werden auf verschiedenste Weise beschrieben: Psychiater, Abenteurer, Pionier. Wie würden Sie sich selbst umschreiben?

Ich bin ein Erforscher des Lebens und unterschiedlicher Denk- und Handlungsweisen, und dies immerzu mit dem Interesse, Wege zur Verbesserung der Lebensqualität zu finden. Ich erforsche die innere Welt mit meiner Ausbildung als Psychiater, spezialisiert auf Hypnose und die äussere Welt mit meinen Abenteuern in der Luftfahrt.

Auch Ihr Vater und Ihr Grossvater waren Abenteurer. Woher kommt das Bedürfnis, die Grenzen des Möglichen immer wieder ausloten zu wollen?

Weil das Unmögliche in der Realität nicht existiert. Es besteht nur in unserer Denkweise, wenn wir Gefangene alter Gewissheiten und Gewohnheiten bleiben, die uns daran hindern, voranzuschreiten. Wenn man in seinen Gewohnheiten eingerostet ist, erbringt man keine gute Leistung. Aber in meiner Familie lieben wir es, vorwärtszukommen, neue Lösungen zu finden, sich auf das Neue hinzubewegen. Ich habe gelernt, dass das Unbekannte, die Zweifel und die Fragezeichen die besten Stimuli für eine kreative Denkweise sind.

Welche Bedeutung messen Sie dem menschlichen Alter zu?

Die Zeit vergeht und es bleibt uns nichts anderes übrig, als das zu akzeptieren. Auch wenn der Körper altert, kann der Geist jung bleiben, wenn wir eine enge Verbindung zu unserem inneren Kind, unserer Empfindsamkeit, unseren Träumen und Werten beibehalten. Es ist nicht das Alter, das zählt, sondern das Herz, die Suche nach Weisheit, das Gewissen und Mitgefühl.

Wenn Sie wählen müssten: Welches war Ihr bestes Alter und weshalb?

Da gibt es zwei hauptsächliche Abschnitte: Zunächst das Alter zwischen zehn und zwölf Jahren, als ich in den Vereinigten Staaten einige der Astronauten des amerikanischen Weltraumprogramms und Luftfahrtspioniere wie Charles Lindbergh treffen durfte. Damals begann mein Traum, Entdecker zu werden, um auch diese Art von spannendem Leben zu haben.

Dann zwischen 34 Jahren und jetzt, als ich meine Kindheitsträume realisieren konnte. Ich konnte die Person werden, von der ich als Kind geträumt hatte. Der Abschnitt zwischen 12 und 34 Jahren war um einiges schwieriger, denn ich spürte dieses grosse Verlangen in mir, Entdecker zu sein, aber ich wusste weder was noch wie zu erforschen. Ich hatte den Eindruck, dass alles Interessante bereits gemacht wurde.

Was haben Sie während Ihren Abenteuern über die menschliche Psyche gelernt?

Dass das Leben wie eine grosse Ballonfahrt ist. So wie ein Ballon vom Wind getrieben wird, werden wir von allem, was wir nicht kontrollieren können, ins Ungewisse gestossen – politische Entscheidungen, Wirtschaftskrisen, Pandemien, Unfälle, Pannen und weitere Krisen. Einen Ballon kann man steuern, indem man Ballast abwirft, um die Höhe zu verändern und eine Strömung mit besserer Flugbahn zu finden. Im Leben muss man lernen, das Gleiche zu tun: Ballast, Gewissheiten, Gewohnheiten, alte Glaubenssätze, Dogmen und andere Paradigmen über Bord werfen, um die Höhe psychologisch, philosophisch und natürlich auch spirituell zu verändern und andere Einflüsse, Lösungen oder Antworten zu finden, die uns in eine bessere Richtung führen werden.

Ihre Vorhaben haben etwas Disruptives an sich. Brauchen wir Disruption, um als Menschheit in eine nachhaltigere Zukunft zu schreiten?

Absolut. Unsere egoistischen und kurzzeitig ausgerichteten Gewohnheiten sowie unser dominantes und arrogantes Verhalten gegenüber der Natur und den Benachteiligten haben die Welt an den Rand einer ökologischen und humanitären Katastrophe gebracht. All das müssen wir in Frage stellen, unser Gewissen aufrütteln und vor allem beweisen, dass eine andere Handlungsweise nicht nur wünschenswert, sondern auch möglich ist.

Was ist Ihre Vision, wie der Weg in eine bessere Welt aussehen kann?

Seit 50 Jahren glaubt man, dass der Umweltschutz teuer ist und persönliche Opfer betreffend Komfort, Mobilität und Wirtschaftswachstum verlangt. Das reizt niemanden und erzeugt sogar Widerstand gegen die Ökologie. Heute sind wir durch die Umweltverschmutzung, den Rückgang der Artenvielfalt, die Erschöpfung natürlicher Ressourcen und Klimaveränderungen mehr denn je bedroht. Also müssen wir etwas Anderes versuchen und einen inspirierenden Weg zu einer saubereren und respektvolleren Welt zu zeigen, um zu beweisen, dass es neue industrielle Möglichkeiten für eine effizientere Welt gibt, dass finanziell rentable Lösungen bestehen, die Ökologie und Ökonomie in Einklang bringen und gleichzeitig Arbeitsplätze schaffen.

Der Flug um die Welt in einem Heissluftballon war Ihr erstes grosses Vorhaben. Wie sehen Sie das rückblickend?

Es ist die Verwirklichung meines Kindheitstraumes, Entdecker zu werden und etwas zu erreichen, was noch niemand zuvor getan hat. Die zwei schmerzhaften Misserfolge, bevor es gelang, lehrten mich Geduld und Durchhaltevermögen. Ich musste verstehen, wie ich nach all den Rückschlägen meine Strategie ändern konnte, um jedes Mal Fortschritte zu machen. Letztendlich war es der Erfolg des dritten Versuchs, der mir die Glaubwürdigkeit gab, weiterzugehen, das Projekt «Solar Impulse» zu lancieren, Sponsoren zu sammeln und dieses neue Abenteuer zu bestehen.

Nach dem erfolgreichen dritten Versuch haben Sie und Brian Jones die Stiftung «Winds of Hope» ins Leben gerufen, die sich insbesondere auf die Bekämpfung ignorierter oder vergessener Leidensformen von Kindern konzentriert. Können Sie uns mehr über die Bedrohung erzählen, die von extremer Armut ausgeht?

Die Armut ist nicht nur moralisch inakzeptabel, sie ist auch sehr gefährlich für die globale Sicherheit. Wie können wir so viele Menschen in grausamen Lebensbedingungen belassen und glauben, dass wir eines Tages nicht den Preis durch einen Aufstand der Ärmsten bezahlen werden? Mit «Winds of Hope» wollten wir unsere Bekanntheit in den Dienst jener stellen, die sie am meisten brauchen, indem wir die schreckliche Krankheit Noma bekämpfen, die in den ärmsten Regionen der Welt jungen unterernährten Kindern das Gesicht absterben lässt.

Woher kam die Idee zu «Solar Impulse»?

Als ich mit dem Breitling Orbiter 3 erfolgreich landete, waren von den 3,7 Tonnen Propan noch 40 Kilo übrig. Ein Wunder. Da habe ich begriffen, dass nicht der Himmel die Grenze ist – the sky is not the limit – sondern der Treibstoff! Also beschloss ich, einen erneuten Weltumrundungsflug zu wagen, diesmal aber ohne Kraftstoff.

Was wollten Sie mit der Erdumrundung nur mit Sonnenenergie aufzeigen?

Ich wollte beweisen, dass die richtigen Technologien und erneuerbaren Energien es erlauben, das vermeintlich Unmögliche zu erreichen. Im Jahre 2002, als ich das Projekt startete, dachten die Menschen die Solarenergie sei anekdotisch und habe keine Zukunft in grossem Massstab. Noch niemand glaubte an die elektrische Luftfahrt. Heute gibt es vielzählige Programme der elektrischen Aviatik und die Solarenergie ist die günstigste Energiequelle der Welt geworden.

Die «Solar Impulse Foundation» hat 1000 effiziente, saubere und profitable Lösungen für das Erreichen der SDGs ausgesucht und gelabelt. Sind Sie optimistisch, dass diese noch erreichbar sind?

Ich bin zuversichtlich, wenn ich die vielen Lösungen sehe, welche die Umwelt schützen und gleichzeitig Arbeitsplätze schaffen und florierende Unternehmen sichern. Aber ich bin pessimistisch in Hinblick auf die benötigte Zeit, um diese Lösungen zu implementieren. Zum Beispiel das Scheitern des CO2-Gesetzes. Die Menschen dachten, es würde sie etwas kosten. Sie haben nicht verstanden, dass das Gegenteil der Fall ist. Dass ihre Energie günstiger geworden wäre, weil das Land effizienter werden würde; dass Technologien eingeführt worden wären, welche die Verschwendung begrenzt hätten.

Was sehen Sie als die derzeit grösste Herausforderung der Menschheit und wie können wir diese angehen?

Wir haben begonnen unsere Umwelt unwiderruflich zu zerstören. Wir müssen sofort reagieren. Es reicht nicht, davon zu sprechen, dass der Klimawandel die nächste Generation bedroht. Das wird die heutigen Entscheidungstragenden nicht zu einer Reaktion bewegen. Man muss vor allem die aktuellen Probleme, gegen die wir zu kämpfen haben, aufzeigen: die Verschmutzung von Wasser, Luft und Boden, die jedes Jahr Millionen von Menschen tötet; die Zerstörung der Artenvielfalt; die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen. Tatsächlich muss sich unsere Gesellschaft von einer verschwenderischen zu einer effizienten wandeln. Zudem müssen wir verstehen, dass diese Art des Umweltschutzes viele Arbeitsplätze schaffen und den globalen Wohlstand sicherstellen wird, denn um die Infrastrukturen zu modernisieren, müssen sie alle verändert werden.

Würden Sie sagen, die Menschheit ist in ihrem Denken ein wenig festgefahren? Was braucht es, um daraus auszubrechen?

Die menschliche Natur strebt nach kurzfristigem Eigennutz. Ich glaube nicht, dass wir uns so schnell ändern können. Vielleicht auf individueller Ebene, aber nicht kollektiv. Es geht also darum aufzuzeigen, dass es im unmittelbaren Interesse aller liegt, Technologien zum Schutz der Natur zu implementieren, effizientere Systeme zu installieren, neue industrielle Möglichkeiten zu erforschen und saubere Energie zu produzieren.

Was möchten Sie in Ihrem Leben noch erreichen?

Ich möchte die über 1000 Lösungen zu Regierungen und grossen Unternehmen herantragen, um zu beweisen, dass die Werkzeuge existieren, um ihre Klimaversprechen zu erfüllen und eine viel ehrgeizigere Energie- und Umweltpolitik umzusetzen. Deshalb habe ich das Projekt «Solar Impulse» gestartet und werde es bis zum Ende durchziehen.

Bild Philipp Böhlen

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31.07.2021
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