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Gesundheit Women

«Ich will nicht bemitleidet werden»

21.10.2022
von Julia Ischer
Maren Schaller

Maren Schaller

Am 11. Januar 2022 erhielt Maren Schaller im Alter von nur 26 Jahren die Diagnose Triple-negativen Brustkrebs. Seither teilt sie ihren Umgang mit der Erkrankung auf Instagram. Im Interview mit «Fokus» spricht sie unter anderem über ihren Kampf, Positivität und Kinderwunsch.

Maren Schaller, wie geht es Ihnen heute?

Einerseits bin ich dankbar dafür, dass ich bereits einen grossen Teil der Behandlung geschafft habe. Ich kann endlich sagen, dass ich krebsfrei bin. Das macht mich natürlich sehr glücklich. Andererseits ist zurzeit alles etwas anstrengend, da ich täglich zur Bestrahlung muss. Zudem beginne ich gerade damit, die ganzen letzten Monate körperlich und mental zu verarbeiten. Das kostet mich sehr viel Kraft.

Welche Gedanken kreisten Ihnen zu Beginn im Kopf herum, als Sie Ihre Diagnose erhalten haben?

Im ersten Moment konnte ich es gar nicht glauben. «Das kann doch nicht sein. Ich bin erst 26 Jahre alt.» Tausende Gedanken schwirrten gleichzeitig in meinem Kopf herum, es war ein komplettes Chaos. Dann kam die Panik. «Was bedeutet das für mich und mein Leben? Kann ich trotzdem meinen Lebenstraum von eigenen Kindern verwirklichen?» Zudem musste ich immerzu daran denken, dass ich meine Haare verlieren werde. 

Auf welche Weise hat sich dies mit der Zeit verändert?

Aufgrund meiner Überforderung und Hilflosigkeit liess ich einfach alles über mich ergehen und fühlte mich ohnmächtig und fremdbestimmt. Nach ein paar Wochen beschloss ich aber, dass ich der Krankheit nicht mehr so ausgesetzt sein möchte. Ich wollte das Recht, mitzubestimmen und für mich selbst zu entscheiden. Den Krebs an sich kann man zwar nicht beeinflussen, aber die Art und Weise, wie man damit umgeht. 

Von da an begann ich, mir jeden Tag die Dinge vor Augen zu führen, die mir Energie, Stärke und Liebe geben. Ich fokussierte mich auf mich selbst und umgab mich mit Menschen, die mir guttaten. Dadurch konnte ich meine Gedanken mit anderen teilen und das Erlebte verarbeiten. Die positiven Dinge im Leben, schöne Momente, erfreuliche Veränderungen, anderen mit dem gleichen Schicksal zu helfen und ihnen Tipps zu geben. All das hat mir geholfen, meine Sichtweise zu verändern. Natürlich war die Angst immer in meinem Kopf vorhanden, sie musste sich ihren Platz aber mit positiven Gedanken teilen. Das gab mir Kraft. Und so schaffte ich es, durchzuhalten und weiterzukämpfen.    

Wie wurde der Tumor entdeckt? 

Ich habe den Tumor selbst bemerkt. Wie aus dem Nichts ertastete ich beim Umziehen plötzlich eine harte Stelle. Vorher habe ich nie etwas gespürt. Bis heute frage ich mich, wie ich es so lange gar nicht und dann aus heiterem Himmel so gut merken konnte.   

Welche Nebenwirkungen hatten Sie während der Chemotherapie?

So ziemlich alle, die man überhaupt haben kann: das Hand-Fuss-Syndrom, Übelkeit, starke Erschöpfung und Müdigkeit, Portprobleme, teilweise Geschmacksverlust oder -veränderungen, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen, Knochenschmerzen, schlechte Blutwerte und leider noch ganz viele weitere. 

Für viele Frauen ist der Haarausfall während der Chemo mitunter das Schlimmste. Wie sind Sie damit umgegangen?

Auch für mich war die Vorstellung anfangs schrecklich. Ich hatte Angst, weil mich eine Glatze sofort krank aussehen lässt. Als dann aber der Zeitpunkt tatsächlich kam, war ich irgendwie erleichtert. Es war der erste Schritt in Richtung Kampf gegen den Krebs. Mit der Zeit gewöhnte ich mich an die Glatze und am Schluss mochte ich mich damit sogar. Bis dahin benötigte ich aber vier Monate. Vorher konnte ich mich weder richtig anschauen, geschweige denn akzeptieren. Auch wenn ich meinen kahlen Kopf heute gut finde und die Haare schon ein paar Millimeter gewachsen sind, freue ich mich natürlich auf den Moment, wenn sie wieder lang sind.

Ehrlich gesagt haben mir eher die kleinen alltäglichen Dinge im Leben gefehlt.

Welche waren bisher die wichtigsten Abschnitte im Kampf gegen den Brustkrebs? Und wie geht es nach der Bestrahlung weiter?

Der nächste Schritt ist eine ambulante Anschlussheilbehandlung. Darauf folgt erst einmal Urlaub. Und dann beginne ich schon mit der Wiedereingliederung in meinen alten Job. Darauf freue ich mich sehr. 

Eine der wichtigsten Etappen bisher war sicherlich das Abrasieren meiner Haare. Zwei weitere Meilensteine waren, als mein Tumor nach drei Chemos um 86 Prozent geschrumpft und nach der Hälfte der Therapie nicht mehr auf dem Ultraschall zu sehen war. Des Weiteren natürlich das Ende der Chemotherapie und die anschliessende brusterhaltende OP im Juli. Der Grösste war aber der Tag, an dem ich die Mitteilung erhalten habe, dass ich keine aktiven Krebszellen mehr in mir habe und somit krebsfrei bin.     

Was haben Sie an diesem Tag gemacht?

Nachdem ich die Nachricht erhalten habe, rief ich natürlich sofort meinen Freund Laurin an und teilte es meiner Familie mit. Den ganzen Tag über habe ich vor Erleichterung, Freude und Dankbarkeit nur noch geweint. Am Abend haben Laurin und ich dann darauf angestossen und in den darauffolgenden Tagen nach und nach mit allen zusammen gefeiert. 

Sie dokumentieren Ihr Leben seit dem Tag der Diagnose auf Instagram. Was möchten Sie damit bewirken?

Anfangs war es wie mein persönliches Tagebuch, um alles zu verarbeiten. Mit der Zeit hat sich das Profil aber vergössert und ich habe es zu meiner Mission gemacht, anderen Betroffenen und Angehörigen zu helfen. Ich möchte ihnen Tipps geben und zeigen, wie ich mit der Erkrankung umgehe und was mir hilft. Dadurch versuche ich, Verständnis bei Angehörigen zu schaffen und Betroffenen das Gefühl zu geben, dass sie nicht alleine sind. Durch meinen Kanal kann ich mich austauschen und Informationen weitergeben, die ich selbst mühevoll gesammelt habe. Ich will den Menschen das geben, was mir selbst so gefehlt hat. In meinen Posts und Stories versuche ich Mut und Hoffnung zu machen sowie Kraft zu schenken. 

Sie sind in einem Alter, in dem andere heiraten, eine Familie gründen, Karriere machen oder reisen. Sie stehen jedoch an einem komplett anderen Punkt im Leben.

In meinem Job habe ich alle meine Ziele erreicht. Ich leite eine Kita und werde nach der Erkrankung auch wieder in diese Position zurückkehren. Zudem ist Karriere machen nicht mein oberstes Ziel. Gesund sein, das Leben leben und glücklich sein mit einem tollen Partner und einer Familie; diese Punkte sind mir viel wichtiger. 

Heiraten können wir auch noch in ein paar Jahren. Obwohl es auch viele gibt, die während ihrer Krebsbehandlung den Bund fürs Leben schliessen. Ich finde aber, dass ich dafür später noch genug Zeit habe. 

Den Wunsch nach einer eigenen kleinen Familie in ein paar Jahren haben wir auf jeden Fall. Erstmal muss aber all das Gift aus meinem Körper heraus. Und dann vertraue ich darauf, dass alles so kommen wird, wie es soll. Natürlich habe ich Angst, dass die Medikamente der Chemotherapie die Fruchtbarkeit angegriffen oder gar zerstört haben. Aus diesem Grund habe ich auch vor der Behandlung einen halben Eierstock entfernen und einfrieren lassen. Diesen kann man mir notfalls wieder einsetzen. Eine solche Absicherung war mir sehr wichtig. 

Ehrlich gesagt haben mir eher die kleinen alltäglichen Dinge im Leben gefehlt. Ich konnte Banales wie Sport machen, auf einen Geburtstag oder zu einem Stadtfest gehen, nicht mehr alleine oder gar nicht mehr machen. Das war viel schlimmer als die vermeintlich verpassten Meilensteine des Lebens. 

Angehörige wissen oft nicht, wie sie auf eine Brustkrebsdiagnose reagieren oder während der Behandlung mit der Person umgehen sollen. Was ist Ihnen von Ihrer Familie und Ihren  Freund:innen wichtig?

Mir war es am wichtigsten, dass mein Partner, meine Familie und Freunde für mich da sind, zuhören und Verständnis für die Situation haben. Mitfühlen, aber nicht bemitleiden, wobei man doch immer irgendwie mitleidet. Ich habe viel Ruhe und Zeit für mich gebraucht und war trotzdem oft auf Hilfe angewiesen. Laurin, meine Familie und Freunde haben mich sehr unterstützt und waren immer für mich da. Dafür bin ich sehr dankbar.

Kommuniziert, was ihr braucht, was euch hilft, wie ihr euch fühlt.

Wie schaffen Sie es, trotz Brustkrebs positiv zu bleiben?

Meiner Meinung nach können positive Gedanken sehr viel bewirken. Wir können es zumindest ein kleines Stück weit beeinflussen, wie wir mit der Erkrankung umgehen und uns an den schönen Momenten festhalten. Daraus können wir Energie und Kraft ziehen, auch wenn es immer ein Auf und Ab ist und es viele Tage gibt, an denen man keine Kraft mehr hat. Alles gehört dazu und darf da sein.  

Dennoch muss man akzeptieren, dass man manche Dinge nicht ändern kann. Man kann und muss nicht immer positiv sein. Sich traurig oder wütend zu fühlen, ist ganz normal. Aber immer wieder nach dem Guten zu suchen hat mir sehr geholfen, nicht aufzugeben und nicht in ein «Dauer-Loch» zu fallen.

Was möchten Sie anderen Betroffenen mitgeben?

Kommuniziert, was ihr braucht, was euch hilft, wie ihr euch fühlt. Hört auf euren Körper und eure Seele. Ihr müsst euch um euch selbst kümmern. Schaut, was euch Kraft und Hoffnung gibt und haltet daran fest. Lasst alle Gefühle und Gedanken raus. Und zögert nicht, zu fragen oder euch zu informieren, wenn ihr etwas nicht versteht.  

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