Vanessa Grand wurde mit der Glasknochenkrankheit geboren, ihren ersten Knochenbruch erlitt sie schon als Baby. Sie ist im Alltag auf einen Rollstuhl angewiesen. Mit welchen Diskriminierungen sie zu kämpfen hat, weshalb ihr das politische Engagement so wichtig ist und wovon sie träumt, erzählt sie im Interview.
Vanessa Grand ist auf Zack – für ihre Antworten brauchts einen wachen Geist, was nicht nur an ihrem charmanten Walliser Dialekt liegt. Die 44-Jährige ist diplomierte Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin, Schlagersängerin, verfügt über einen CAS «Seltene Krankheiten», engagiert sich im Vorstand verschiedener Vereine und hat an der Behindertensession teilgenommen. Eine echte Powerfrau, die sich nicht behindern lässt.
Vanessa Grand, Sie haben gerade an der Behindertensession teilgenommen – als einzige Vertreterin des Kantons Wallis. Als Erstes: Was halten Sie vom Wort «Behindertensession»?
Es stört mich nicht. Wie die Bezeichnung für Menschen mit einer Behinderung aufgenommen wird, ist sehr individuell. Bei «Menschen mit Handicap» muss ich direkt ans Golfen denken (lacht). «Menschen mit besonderen Bedürfnissen» impliziert, dass wir etwas Zusätzliches, Spezielles benötigen. Was ich nicht akzeptiere, ist, wenn man «Krüppel» sagt.
Das passiert tatsächlich?
Heute zwar nicht mehr so oft. Aber leider ab und zu doch immer noch. Aber zurück zu Ihrer Frage: Das Behindertengleichstellungsgesetz und die UN-BRK heissen ganz offiziell so. Deshalb denke ich, dass auch «Behindertensession» gerechtfertigt ist.
Weshalb engagieren Sie sich in der Politik?
Ich würde mich als ziemlich resilient bezeichnen. Ich kann diskutieren und auch gut einstecken. Letzteres ist wichtig in politischen Diskussionen. Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung können sich weniger selbstbestimmt für ihre Bedürfnisse einsetzen. Mein Engagement kommt deshalb allen Menschen zugute, die eine Behinderung haben.
Sehen Sie Ihr Engagement vielleicht sogar als Pflicht?
Als selbstauferlegte Pflicht, ja. Es geht um politische Teilhabe. Für vieles, was uns Menschen mit einer Behinderung beschäftigt – ich denke an Barrierefreiheit, den Verkehr, die Arbeit, die Gesundheit oder die Selbstbestimmung – brauchts die Politik. Deshalb ist es wichtig, dass man uns hört und wir uns einbringen können.
Für dieses Engagement kommt Ihnen Ihr Studium in Kommunikationswissenschaften bestimmt entgegen.
Klar. Aber nicht nur wegen des Studiums an sich. Sondern auch, weil ich während des Studiums in einem Behindertenheim wohnen musste. Das war sehr prägend für mich. Im Nachhinein bin ich aber froh, habe ich dies erlebt. Es macht einen Unterschied, ob man nur in der Theorie über ein Thema spricht oder etwas selbst erlebt hat.
Ihre Eltern haben sich in Ihrer Schulzeit sehr dafür eingesetzt, dass Sie die Regelschule besuchen konnten.
Genau. Es gab damals viele Barrieren – bauliche, aber auch in den Köpfen. «Für solche haben wir spezielle Häuser gebaut», lautete der Grundtenor. Mit «solche» waren Menschen mit einer Behinderung gemeint. Meine Eltern haben viel erreicht, ich habe ihnen enorm viel zu verdanken. Aber: je «höher» die Schule, desto einfacher wurde es. Und in Städten ist man grundsätzlich weniger eingeschränkt als auf dem Land.
Sie sind 44. In den Achtzigerjahren war vermutlich auch noch vieles anders. Wie erleben Sie heute Diskriminierung?
Auf verschiedene Art und Weise. Primär werden mir kognitive Fähigkeiten abgesprochen aufgrund meiner körperlichen Behinderung und meiner Grösse. Kleine Menschen werden automatisch als kindlich oder auch «dumm» wahrgenommen. Es gibt Personen, die entsetzt fragen, ob ich denn Alkohol trinken dürfe, wenn sie mich im Restaurant bei einem Glas Wein sehen. Oder solche, die absolut erstaunt sind, dass ich Auto fahren oder mehrere Sprachen sprechen kann.
Vielleicht können sich diese Menschen bloss nicht in Realität vorstellen, wie das mit dem Autofahren funktionieren soll?
Das kann sein. Aber ich habe ein feines Gespür dafür, ob sie einfach fragen, weil sie interessiert sind, oder ob sie es mir grundsätzlich nicht zutrauen.
Es gibt Tage, da bin ich sehr selbstständig, an anderen brauche ich vollständige Unterstützung. Vanessa Grand
Wie organisieren Sie Ihren Alltag? Wie viel Unterstützung benötigen Sie dabei?
Ich wohne bei meinen Eltern, das erleichtert vieles. Haushalt, Wäsche, Kochen: Das erledigen meine Eltern für mich. Bei der Körperpflege und bei anderem kommt es stark auf meine Verfassung an. Es gibt Tage, da bin ich sehr selbstständig, an anderen brauche ich vollständige Unterstützung. Aber mein Alltag ist eingespielt und vor allem durchorganisiert.
Wie geht es Ihnen denn aktuell?
Gerade geht es mir sehr gut. Ich würde mich auch eher als «robust» bezeichnen. Aber, natürlich, ich muss gut zu mir schauen. Zu wenig Entlastung, Pausen und Unvorsichtigkeit können schnell zu gesundheitlichen Problemen und Brüchen führen. Ausserdem bin ich jede Woche bei meinem Physiotherapeuten. Habe ich mal eine oder zwei Wochen Therapiepause, reagiert mein Körper mit Beschwerden.
Sie arbeiten bei der Berner Fachhochschule als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Departement Gesundheit, sind aber auch in verschiedenen Vereinen engagiert…
An der Berner Fachhochschule arbeite ich in einem Teilzeitpensum und projektbezogen. Das gibt mir die Freiheit, auch im Homeoffice oder stundenweise zu arbeiten. Aber ja, auch die Vereinsarbeit ist mir wichtig. So bin ich in verschiedenen Vereinen im Vorstand wie beispielsweise dem Rollstuhlclub Oberwallis oder MaRaVal – «Seltene Krankheiten Wallis». Zudem übernehme ich verschiedene Patientenvertretungen und politische Engagements.
Von Ihrer Karriere als Sängerin haben wir noch gar nicht gesprochen! Dabei haben Sie bereits Ihr 35. Bühnenjubiläum gefeiert.
Stimmt! Beruflich würde ich mich nämlich als Journalistin und Sängerin bezeichnen.
Sie singen volkstümlichen Schlager. Wie kamen Sie zu diesem Genre?
Das sind persönliche Präferenzen. Ich habe schon als Neunjährige mit Singen begonnen. Volkstümlicher Schlager hatte es mir schon damals angetan.
Wo hört und sieht man Sie demnächst?
Leider ist erst wieder im Spätsommer einiges geplant. Bühne und Behinderung ist ein schwieriges Thema. Es scheint nicht zusammenzupassen. Dabei wäre das Publikum offen…
Aber?
Veranstalter, Agenturen sowie die öffentlich-rechtlichen Medien sehen das leider anders. Dabei lege ich grossen Wert darauf, dass meine Behinderung an Auftritten kein Thema ist – ausser natürlich, es ist ein Benefizanlass. Die Mitleidschiene ist gar nicht meins. Es erstaunt mich schon, ehrlich gesagt. Gerade ging der Eurovision Song Contest über die Bühne. Was gab es da für eine Vielfalt! Das ist doch bereichernd und schön! Ich habe mich als Journalistin auch schon beim Radio und Fernsehen beworben – ohne Chance. Dabei habe ich gerade kürzlich mit einer Tessiner Kollegin einen Grossanlass auf dem Bundesplatz in Bern moderiert. Wir beide in drei Landessprachen, das hat super funktioniert. Und dass ich im Gegensatz zu ihr im Rollstuhl sitze, war kein Thema.
Sie lassen sich nicht unterkriegen: Haben Sie ein Lebensmotto?
Früher hätte ich gesagt: Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum. Meinen Traum vom Singen habe ich denn auch in die Realität umgesetzt. Heute habe ich kein eigentliches Motto mehr, sondern eher eine Lebenseinstellung. Ich gehe meinen Weg und probiere aus, was geht. Ich lass mich weniger bremsen.
Was hilft Ihnen in schweren Stunden?
Die Musik! Sowie das Reisen. Südtirol ist meine zweite Heimat, mein Paradies, wo ich mich wohlfühle. Ausserdem schmiede ich gerne Pläne und probiere Neues – gerade lerne ich Slowakisch und plane, mit einer Freundin in die Slowakei zu reisen. Keine Ahnung, wie hindernisfrei dieses Land ist! (lacht)
Super ich bin stolz auf dich liebe Vanessa und ich habe das Glück dich und deine Eltern persönlich zu kennen.