Es ist eine Frage, die mindestens so alt ist wie die Menschheit. Glücklich sein ist ein scheinbar einfaches Konzept, das alle gerne realisieren würden. Und doch scheitern viele Menschen seit Jahrhunderten daran.
Zum Wort «Glück» schrieb Herman Hesse Folgendes: «Ich fand, dieses Wort habe trotz seiner Kürze etwas erstaunlich Schweres und Volles, etwas, was an Gold erinnerte.» Das mag eine schwammige Beschreibung sein. Und doch trifft Hesse ins Schwarze. Es erscheint uns wie ein alltägliches Wort. Unter der Oberfläche versteckt sich aber ein komplexes Netz an Bedeutungen und Assoziationen.
Die Amerikaner:innen kennen das Recht, das Glück zu verfolgen. Es ist etwas Zufälliges, das einem zustösst. Zur selben Zeit sind wir aber doch alle unseres eigenen Glückes Schmied. Die Biologie beschreibt Endorphine, Dopamin und Serotonin als physiologische Verursacher des Glücks. Die Philosophie beschäftigt sich mit einem Konzept und untersucht es aus einer Vielzahl an Perspektiven. Naturwissenschaftlerinnen, Künstler und unsere Nachbar:innen scheinen zu wissen, wovon sie bei «Glück» reden. Und trotzdem: Das persönliche Glück bleibt ein vages Gespenst, das sich kaum greifen, noch weniger einfangen lässt.
Kontaktpflege, um sich selbst zu pflegen
Einerseits banal, andererseits herausfordernd. Die Suche nach Glück war noch nie einfach. Neben den althergebrachten Lebensphilosophien und -praktiken gibt es heutzutage unzählige Ratgeber und Kurse, die allen den Weg zum Glück ebnen sollen. Ob man mit diesen gut beraten ist oder sie doch eher die Unglücklichen für andere Zwecke manipulieren sollen, muss jede:r für sich selbst herausfinden.
Glück ist ein Zustand, den man tagtäglich reproduziert.
Tatsächlich ist auch die Wissenschaft auf der Suche nach dem flüchtigen Glück. Die «Harvard Study of Adult Development» versucht seit 80 Jahren mittels empirischer Daten und Teilnehmendenbefragungen zu verstehen, was den Menschen glücklich macht. Der Leiter der Studie Robert Waldinger und sein Stellvertreter Marc Schulz präsentieren in ihrem Buch «The Good Life» die ersten Einsichten der Langzeitstudie.
Die Autoren warnen davor, das Glück als finites Ziel, als einen finalen Preis oder lediglich als Zufall zu betrachten. Diese oft wiederholte Ansicht führe eher zum Gegenteil. Glück soll weder etwas sein, das man erreichen muss, noch etwas, das man sich hart erarbeiten soll. Vielmehr ist es ein Zustand, den man tagtäglich reproduziert.
Die Formel zum Glücklichsein
Müssten sie Faktoren eines glücklichen Lebens aufzählen, würden viele Menschen vermutlich Dinge nennen wie beruflichen Erfolg, Wohlstand, ausreichend Bewegung oder gesunde Ernährung. Zweifellos beeinflussen diese Aspekte das eigene Leben und Wohlbefinden. Doch die Glücksformel ist laut Waldinger und Schulz eine andere: «Gute Beziehungen machen uns gesünder und glücklicher.» Damit sind nicht nur Paarbeziehungen und Partnerschaften gemeint. Genauso sollen die Familienbande, das Verhältnis zur Nachbarschaft und Mitarbeitenden sowie Zufallsbekanntschaften gepflegt werden. Dies beeinflusst nicht nur unser Glücksgefühl, sondern auch unsere Gesundheit nachhaltig: Sozial vernetzte Menschen weisen gesündere Stresshormonlevels und Blutwerte auf.
Das Unglücklichsein und eine schlechte Gesundheit lassen sich also zum Teil auf das individuelle Beziehungsnetzwerk und dessen Qualität zurückführen. Doch für isolierte Menschen muss das nicht heissen, dass sie ihre Chancen verspielt haben. Denn die Harvard-Langzeitstudie zeigt auch, dass es nie zu spät ist, das Leben glücklicher zu gestalten.
Glück wächst mit
Der kulturelle Inbegriff des Glücks und der Sorglosigkeit – zumindest im Westen – ist das Kleinkind. Es scheint, als sei Kindern intrinsisch klar, was sie glücklich macht, und das lassen sie die Eltern auch wissen. Für Kinder ist die Welt noch klein, sie leben im Moment und befassen sich kaum mit Geld oder anderen abstrakten Konzepten. Während der Pubertät mögen Teenager alles unnötig verkomplizieren, doch als Erwachsene kommen sie in einer Welt voller Komplexität und Unsicherheit an. Da kann der Wunsch, in unschuldigere Zeiten zurückzukehren, schon mal vorkommen.
Die Wahrnehmung des Glücks verändert sich demnach mit dem Alter. Aber sie wird nicht geradlinig schlechter mit einer höheren Anzahl Jahre auf dem Buckel. Ganz im Gegenteil. Tendenziell ist zu beobachten, dass das persönliche Glücksempfinden mit 60 Jahren wieder zunimmt. Tobias Esch, Professor an der Universität Witten/Herdecke, sieht das Alter ebenfalls als förderlichen Faktor des Glücks. Junge Menschen seien bemüht, vom einen Glücksmoment zum nächsten zu eilen. In der Lebensmitte können Karriereplanung, Kindererziehung oder Beziehungsprobleme das Glück trüben, bis im höheren Alter schliesslich die Bescheidenheit das Wohlbefinden stärkt.
Das Problem ist die Lösung
«L’enfer c’est les autres.» Die Hölle, das sind die anderen. Wohl kaum jemand wird diese Aussage von Jean-Paul Sartre als realitätsfern abtun. Im Lichte zahlloser Studien in der Glücks- und Gesundheitsforschung müsste man aber den Spruch «Le ciel c’est les autres» auch als wahr anerkennen. Genauso wie uns andere Menschen unglücklich machen können, sind sie doch die Lösung zu unserem persönlichen Glück und individueller Gesundheit. Zwar ist es mit zunehmendem Alter einfacher zu erkennen, was uns im Leben wirklich wichtig ist. Doch Glück ist nicht etwas, das uns in den Schoss fällt. Vielmehr ist es eine bewusste und tägliche Entscheidung, mit den Mitmenschen etwas Besseres zu gestalten. Als erster Schritt reicht dafür bereits ein nettes Wort für die Nachbarin oder ein Lächeln für den Kassierer.
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