Interview von SMA

Guy Parmelin: «Wir müssen unsere Werte pflegen und gleichzeitig Herausforderungen furchtlos angehen»

Der Bundesrat spricht über Schweizer Werte – die DNA unseres Landes.

Weltweit befinden sich Märkte in Aufruhr und Wirtschaftsräume stehen unter enormem Druck. Wie schlägt sich die Schweiz in diesem schwierigen Umfeld? Und wie gedenkt die Landesregierung, die Schweiz erfolgreich durch diese stürmischen Zeiten zu navigieren? Dies und mehr wollte «Fokus» von Bundesrat Guy Parmelin, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF, erfahren.

Bundesrat Guy Parmelin, nach Bauern­protesten in Frankreich und Deutschland machten vor einiger Zeit auch in der Schweiz Landwirte ihrem Unmut Luft. Vor allem Kostendruck und sinkende Margen lassen die Emotionen hochkochen. Wie beurteilen Sie die Lage der Schweizer Bauern?

Ich habe Verständnis für die Emotionen bei unseren Landwirten und Landwirtinnen. Wie übrigens auch viele KMU sind die landwirtschaftlichen Betriebe vielen wirtschaftlichen und administrativen Anforderungen ausgesetzt. Doch die Situation in der Schweiz unterscheidet sich von denjenigen in Frankreich oder in Deutschland – schon allein deshalb, weil wir unsere eigene Agrarpolitik haben. Und wie man weiss, ist die Branche im Parlament gut vertreten und gestaltet die Rahmenbedingungen wesentlich mit. Für die Zukunft sehe ich zwei Stossrichtungen: erstens die Vereinfachung der agrarpolitischen Instrumente und zweitens die Verbesserung der Wertschöpfung in den verschiedenen Produktionsketten.

Sie haben die Sorgen der KMU angesprochen. Zwei Hot Topics sind die Teuerung sowie der Fachkräftemangel.

Und beide machen sich auch hierzulande bemerkbar. Starten wir mit dem Thema Teuerung: Die Schweizer Wirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren sehr widerstandsfähig gezeigt, das internationale Umfeld bleibt aber weiterhin herausfordernd. Für dieses Jahr wird deshalb nur mit einem unterdurchschnittlichen Wachstum gerechnet. Dennoch ist die Inflation nach ihrem Höhepunkt vom August 2022 deutlich zurückgegangen und verglichen mit anderen Ländern ist die Teuerung in der Schweiz weiterhin moderat. Ein weiteres Thema, das hohe Aufmerksamkeit erfährt, ist in der Tat der Fachkräftemangel. Mit dem kräftigen Aufschwung nach der Covidkrise hat die Nachfrage nach Arbeitskräften wieder rasch und stark zugenommen. Die Arbeitslosigkeit erreichte ein sehr tiefes Niveau – wir hatten fast Vollbeschäftigung. Dies führte allerdings dazu, dass die Unternehmen Mühe bekundeten, Arbeitskräfte zu finden. Mit der Verlangsamung des Wachstums nimmt nun auch die Zahl der Arbeitslosen wieder zu. Trotzdem wird es auch in Zukunft nicht einfach sein, geeignete Fachkräfte zu finden.

Wo sollte man Ihres Erachtens ansetzen – und wer steht hier in der Verantwortung?

Die Unternehmen spielen sowohl bei der Ausbildung als auch bei der Rekrutierung von Fachkräften die wichtigste Rolle. Der Staat kann sie dabei aber durch gute Rahmenbedingungen für die Aus- und Weiterbildung unterstützen. In der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik müssen wir darauf achten, dass möglichst viele Menschen arbeiten können – und wollen. So gelingt es uns, das inländische Arbeitskräftepotenzial bestmöglich zu nutzen.

Wo orten Sie weitere Herausforderungen für die Schweizer Wirtschaft?

Generell dürfte auch in Zukunft der Wettbewerbsdruck auf unsere Unternehmen hoch bleiben. Deshalb wollen wir die Kosten für die Unternehmen durch gute Rahmenbedingungen weiter senken. Im laufenden Jahr wollen wir zum Beispiel das Unternehmensentlastungsgesetzes (UEG) umsetzen. Dadurch wird die administrative Belastung der Unternehmen gesenkt. Und bereits Anfang Jahr sind die Industriezölle abgeschafft worden: Dank den wegfallenden Zollabgaben und den administrativen Erleichterungen bei den Zollverfahren können Unternehmen ihre Produktionskosten senken. Schliesslich soll auch die Rechtssicherheit für unsere Unternehmen erhöht werden. Wichtig sind dafür auch geregelte Beziehungen zur EU.

Ein mögliches Mittel, um in anspruchsvollen Zeiten zu bestehen, ist das Schmieden von Allianzen. Dies haben Sie mit den Freihandelsabkommen mit Chile (bzw. der Erneuerung desselben) und Indien getan. Warum sind diese Vereinbarungen so wichtig?

Freihandelsabkommen sind ein wichtiges Instrument unserer Aussenwirtschaftspolitik. In Zeiten steigender geopolitischer Spannungen und eines sich weltweit verlangsamenden Wirtschaftswachstums gewinnen solche Abkommen weiter an Bedeutung. Sie eröffnen neue Märkte und ermöglichen diversifizierte Wertschöpfungsketten. Die Abkommen verbessern zudem den Schutz des geistigen Eigentums, die Rechtssicherheit und erhöhen die Planbarkeit für Firmen. Wir sind deshalb momentan sehr aktiv bei der Aushandlung von neuen und der Modernisierung von älteren Freihandelsabkommen.

Ein solches älteres Freihandelsabkommen besteht seit 2014 mit China. Das EDA bezeichnet das Reich der Mitte als «wichtigsten Handelspartner der Schweiz in Asien». Dieser gerät nun nach der Evergrande-Pleite vermeintlich ins Wanken. Wie arg befindet sich China in Nöten und welche Folgen könnte dies für die Schweiz haben?

China ist nach den neuesten Zahlen weiterhin der wichtigste Handelspartner in Asien, und ich habe im Vorfeld des WEF eine Erklärung unterzeichnet, die uns auf dem Weg zur Weiterentwicklung des Freihandelsabkommens weiterbringt. Als Bundesrat kommentiere ich die Wirtschaftslage in China natürlich nicht. Es ist Aufgabe der einzelnen Unternehmen und deren Leitungen, ihre eigene Situation zu beurteilen und entsprechende unternehmerische Strategien umzusetzen.

Der Titel dieses Specials lautet «Swiss Values». Welches sind Ihres Erachtens die typischen Werte, welche die Schweiz und Ihre Unternehmen auszeichnen?

Die Schweiz und ihre Unternehmen sind bekannt für ihre Qualität, Präzision und Innovation. Zuverlässigkeit, Stabilität und internationale Offenheit, gepaart mit Innovationsgeist, sind typische Schweizer Werte. Diese Werte bilden das Fundament für den anhaltenden Erfolg in einer sich stetig wandelnden globalen Wirtschaft.

Um auch in Zukunft erfolgreich zu sein, müssen wir diese Werte pflegen und gleichzeitig die neuen Herausforderungen furchtlos angehen. Dazu gehören etwa die Digitalisierung, der demografische Wandel und der Klimaschutz, aber auch der Umgang mit Handelskonflikten und protektionistischen Massnahmen, welche Exporte beeinträchtigen und Unsicherheit schaffen. Unternehmen, die flexibel bleiben, Innovation fördern, in Forschung und Entwicklung investieren und ihre Tradition der Qualität und Zuverlässigkeit beibehalten, werden weiterhin wettbewerbsfähig sein.

Sie leiten das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung. Wenn Sie auf Ihre Zeit im Departement zurückblicken – welches war Ihre grösste Herausforderung und was würden Sie als Ihren bisher grössten Erfolg bezeichnen?

Die rasch aufeinander folgenden Krisen, namentlich die Coronapandemie, die Folgen des Krieges in der Ukraine und die Energiekrise haben mich und den gesamten Bundesrat in den letzten Jahren stark gefordert. Dass die Schweiz die Folgen der Coronakrise aus wirtschaftlicher Sicht vergleichsweise gut gemeistert hat, war sicher ein Erfolg. Auch ist es gelungen, wichtige Volksabstimmungen im Bereich meines Departements wie das Freihandelsabkommen mit Indonesien oder zu umstrittenen Agrarinitiativen erfolgreich zu gestalten. Schliesslich ist es uns gelungen, Wirtschaft und Bevölkerung mit der Abschaffung der Industriezölle und dem vom Parlament nun verabschiedeten Unternehmensentlastungsgesetz Möglichkeiten zur finanziellen und administrativen Entlastung zu bieten. Dass wir zudem nach 16 Jahren Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Indien in den Grundzügen einig sind, werte ich ebenfalls als grossen Erfolg.

Ein Blick nach vorn: Welche Themen werden Sie im Jahr 2024 und darüber hinaus beschäftigen?

Es ist mir ein wichtiges Anliegen, dass unser Land als Innovations- und Forschungsstandort top bleibt. Dazu gehört ein breit geknüpftes Netz an Handels- und Wissenschaftsabkommen mit unseren wichtigsten Partnern. Allgemein ist es mir wichtig, dass wir unsere Handlungsspielräume und unsere breit gefächerten wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Kooperationen auch in einer geopolitisch herausfordernden Zeit so gut wie möglich aufrechterhalten und weiter ausbauen. Zudem sind wir mitten in einer Reform der wirtschaftlichen Landesversorgung, um uns hier den gewandelten Herausforderungen noch besser stellen zu können; ich denke da insbesondere an die Energieversorgung oder die internationalen Lieferketten.

Was das Thema Landwirtschaft anbetrifft, arbeiten wir bereits an der Agrarpolitik nach dem Jahr 2030, welche das bestehende System deutlich vereinfachen und die Wertschöpfung auf den Betrieben erhöhen soll. Wir wollen allerdings mit den Vereinfachungen in der Landwirtschaft nicht bis Ende des Jahrzehnts zuwarten, sondern schon vorher damit beginnen.

Last but not least wollen wir im Wohnungswesen die Beschlüsse des runden Tisches zur Wohnungsknappheit umsetzen. Dazu gehört unter anderem die Beschleunigung der Baubewilligungsverfahren.

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28.03.2024
von SMA
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