abstrakte illustration inklusion  solidarität
iStockPhoto/Visual Generation
Diversität Gesellschaft Schweiz

Ist Inklusion ein (neuer) Schweizer Wert?

28.03.2024
von Kevin Meier

Seit 20 Jahren ist die BehiG in Kraft. Hat die Schweiz seitdem die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen erreicht? Keinesfalls, sagen die Betroffenen und Verbände. Insbesondere im Bereich Arbeitsinklusion gibt es noch viel zu tun.

Seit Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) 2004 kann die Schweiz Fortschritte in der Gleichstellung der 1,8 Millionen Menschen mit einer Behinderung verzeichnen. Doch von umfassender Inklusion sind wir noch fern.

Langsame Fortschritte

Das Konzept der Barrierefreiheit scheint, zumindest formell, in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik angekommen zu sein. Die uneingeschränkte Teilhabe am sozialen, beruflichen und politischen Leben hat sich verbessert: Die Invalidenversicherung verfügt über Anreize für Arbeitgeber, Menschen mit einer Behinderung zu beschäftigen. Diverse Inklusionsprogramme wie Arbeitgeberberatungen wurden ins Leben gerufen, um die Gleichstellung zu verbessern. Die Inklusionsquote in der Bildung steigt. Und seit den Wahlen 2023 sitzen so viele Menschen mit Behinderungen im Parlament wie noch nie zuvor.

Uneingeschränkte Teilhabe noch weit weg

So gut dies auch klingen mag, hinkt die Schweiz hinterher: Das BehiG deckt weder den Bereich Arbeit noch private Unternehmen ab. Die Inklusionsquote in der Bildung liegt unter dem europäischen Durchschnitt und der ÖV ist noch nicht von Menschen mit einer Behinderung selbstständig nutzbar, womit die 20-jährige Frist für die Umsetzung der BehiG verpasst wurde.
Die mangelnde Umsetzung der Inklusion schlägt sich auch im Inklusionsindex 2023 im Auftrag von Pro Infirmis nieder. Die erste Schweizer Inklusionsstudie aus der Perspektive von Menschen mit Behinderungen zeigt, dass sich vier von fünf Betroffene stark ausgeschlossen fühlen.
Jeder zweite Mensch mit Behinderung fühlt sich vom regulären Arbeitsmarkt ausgegrenzt. Am wenigsten Chancen räumen sich Menschen mit einer Sprachbehinderung (76 Prozent) und Menschen mit einer kognitiven Behinderung (69 Prozent) ein. Die Befragten führen an, dass wenige Arbeitgebende bereit sind, Menschen mit einer Behinderung einzustellen, und das Angebot an Arbeitsplätzen klein ist. Letzteres wird sich tendenziell eher zuspitzen, da Digitalisierung und Automatisierung die Anzahl niederschwelliger Arbeitsplätze verkleinern.

Frau mit geistiger Behinderung bei der Arbeit in einer Bäckereiwerkstatt. Symbolbild Inklusion am Arbeitsplatz

Niederschwellige Arbeitsplätze sind durch die Automatisierung und Digitalisierung bedroht.
Bild: iStockPhoto/ferrantraite

Der Wert der Inklusion

Doch verschiedene Akteure engagieren sich für eine inklusivere Zukunft. Zum Beispiel fördert die Plattform Swiss Diversity die Inklusion und Diversität in allen Prägungen durch eine Award Night, ein Forum, einen Think Tank und weitere Programme. Mit seinen Aktivitäten würdigt der Verein engagierte Unternehmen und sensibilisiert gleichzeitig die Öffentlichkeit zum Thema.
Auf der politischen Ebene gibt es ebenfalls Bewegung: Am 8. Dezember 2023 hat der Bundesrat eine Teilrevision des BehiG eröffnet. Obwohl insbesondere auch der Arbeits- und Dienstleistungsbereich im Fokus stehen, wird die Revision von Menschen mit einer Behinderung und Behindertenverbänden als unzulänglich kritisiert. Ihre Hoffnungen liegen nun auf der Inklusionsinitiative, die ein selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Behinderungen fordert. Derzeit werden noch Unterschriften gesammelt. Mit dieser Initiative kann die Schweizer Bevölkerung zeigen, welchen Stellenwert die Inklusion für sie einnimmt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Vorheriger Artikel BIM: der Weg zu echtem Mehrwert in der Baubranche
Nächster Artikel Guy Parmelin: «Wir müssen unsere Werte pflegen und gleichzeitig Herausforderungen furchtlos angehen»