Vom 2. bis 27. Juli 2025 ist die Schweiz Gastgeberin der Uefa Women’s Euro. Das Turnier ist nicht nur ein Meilenstein für den Frauenfussball, sondern auch eine grosse Chance für das Land. Im Interview erklärt SFV-Präsident Dominique Blanc, wie Sport, Gesellschaft und Wirtschaft zusammenspielen – und warum das Turnier zu einem nachhaltigen Wandel führen kann.

Dominique Blanc
SFV-Präsident
Dominique Blanc, der Frauenfussball erlebt einen enormen Aufschwung – wie wichtig ist die bevorstehende Europameisterschaft für die Schweiz?
Die EM ist ein Schlüsselmoment. Die Nachfrage von Mädchen und Frauen nach Spielmöglichkeiten wächst stetig, Vereine, Behörden und Organisationen engagieren sich. Für die Schweiz ist die EM ein globales Schaufenster – mit 500 Millionen TV-Zuschauenden und Hunderttausenden Besucher:innen. Eine Chance, unsere Stärken im Sport, Tourismus und in der Organisation grosser internationaler Events zu zeigen.
Wie weit kann die Schweizer Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft kommen?
Unsere Gruppe ist ausgeglichen: Island (Platz 13), Norwegen (15), Schweiz (23) und Finnland (25) liegen in der Fifa-Rangliste eng beisammen. Mit einem guten Start können wir die Gruppenphase überstehen. Danach werden Entscheide in einem Spiel gefällt – da ist alles möglich.
Wie gross ist nationale Euphorie?
Die Schweiz steht geschlossen hinter diesem Projekt. Städte, Kantone und der Bund arbeiten zusammen. Es gibt zahlreiche Veranstaltungen, Panels und Diskussionen. Und auch die Medien ziehen mit. Diese breite Mobilisierung ist typisch schweizerisch: stark und wirkungsvoll – und sie wird Spuren hinterlassen. Die emotionalen Höhepunkte des Turniers werden im kollektiven Gedächtnis bleiben.
Was wäre über den Sport hinaus ein Erfolg?
Ausverkaufte Stadien bei allen Spielen, positive Rückmeldungen von internationalen Gästen, wachsendes Sponsoreninteresse und anhaltende Investitionen in Infrastrukturen.
Der Fussball auf dem Vormarsch – die Frauennationalmannschaft hingegen hat den Anschluss an die Spitze verpasst. Wie lässt sich das erklären?
Der Frauenfussball entwickelt sich weltweit in rasantem Tempo – andere Nationen waren in der Professionalisierung schneller. Die Schweiz ist in der Nachwuchsausbildung stark, doch eine vollprofessionelle Liga fehlt. Länder wie Portugal, Kolumbien oder Marokko haben solche bereits implementiert. Der SFV analysiert derzeit, wie eine Liga in der Schweiz aufgebaut und langfristig tragfähig gestaltet werden kann.
Was sind die Herausforderungen im Breitensport?
Es fehlt an Infrastruktur: Plätze, Garderoben, Hallen – all das ist vielerorts knapp. Viele Vereine wollen mehr Mädchen integrieren, aber stossen an bauliche und organisatorische Grenzen. Hier braucht es dringend mehr Unterstützung.
Wie hat sich die mediale Präsenz des Frauenfussballs entwickelt?
Sehr positiv. In den letzten drei Jahren haben sich die Medienbeiträge, Followerzahlen und die Anzahl journalistischer Begleitungen verzehnfacht. Der Frauenfussball ist sichtbar geworden – und das ist entscheidend für seine Weiterentwicklung.
Marion Daube hat als Direktorin viel für den Frauenfussball getan. Was zeichnet Ihr persönliches Engagement aus?
Marion Daube ist eine treibende Kraft mit Fachkompetenz, Erfahrung und Netzwerk. Sie hat das Amt nach der Pionierin Tatjana Haenni übernommen und setzt mit viel Energie neue Impulse. Ich selbst engagiere mich für einen Fussball für alle – überall und auf allen Ebenen. Unter meiner Leitung hat der SFV eine ambitionierte Frauenfussball-Strategie beschlossen, neue Strukturen geschaffen und zusätzliche Mittel bereitgestellt.
Wie wichtig ist die Sichtbarkeit von Spielerinnen für junge Mädchen in der Schweiz?
Alle jungen Menschen brauchen Vorbilder, um zu wachsen und gross zu träumen. Mehrere Spielerinnen sind heute echte Leuchttürme, Stars, die brillante Karrieren hingelegt haben. Der SFV nutzt alle Kanäle, besonders Social Media, um sie sichtbar zu machen und die Begeisterung weiterzutragen.
Wie werden solche Vorbilder im Amateurfussball gestärkt? Die Mehrheit der Trainer und Funktionäre sind immer noch Männer.
Das ist derzeit noch Realität – auch weil der Männeranteil bei den Lizenzspielenden über 85 Prozent liegt. Doch speziell für Frauen geschaffene Weiterbildungsangebote boomen. Ob Trainerinnen-, Schiedsrichterinnen- oder Klubkurse – sie sind fast immer ausgebucht. Die Entwicklung braucht Zeit, aber sie ist in vollem Gange.
Was muss geschehen, damit der Frauenfussball nicht nur bei Grossereignissen im Rampenlicht steht, sondern dauerhaft in der öffentlichen Wahrnehmung präsent bleibt?
Die Basis dafür ist gelegt. Der Frauenfussball ist in der Breite angekommen, viele Mädchen treten heute mit Selbstvertrauen in Klubs ein. Die Zahl der Spielerinnen, Trainerinnen, Funktionärinnen wächst weiter. Entscheidend ist die Kontinuität – und die haben wir jetzt.
Wie hat sich die Rolle der Spielerinnen in den letzten Jahren verändert?
Eine junge Spielerin erhält heute die gleiche Ausbildung wie ein junger Spieler – technisch, taktisch und in Bezug auf den Wettkampfbetrieb. Gesellschaftlich ist der Frauenfussball etabliert, sichtbar und anerkannt. Das bringt mehr Einfluss und neue Perspektiven – und öffnet Türen für Sponsoren, Medien und Politik. Diese Entwicklung ist nachhaltig.
Wo sehen Sie den Schweizer Frauenfussball in fünf bis zehn Jahren?
Das Projekt «Legacy Euro 25» verfolgt ein klares Ziel: Verdopplung der aktiven Mädchen und Frauen bis 2028 – in allen Rollen. Parallel wird die Machbarkeit einer professionellen Liga geprüft. Der Amateurbereich braucht öffentliche Unterstützung, der Profibereich muss marktwirtschaftlich funktionieren. Andere Länder zeigen: Es ist möglich – und lohnenswert. Frauen stellen 50 Prozent des Publikums und der Kaufkraft – das wird auch im Sport zunehmend relevant.
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