Wenn Christof Hatt über Architektur spricht, wird schnell klar: Hier ist kein Architekt, der mit grossen Gesten Eindruck schinden will. Stattdessen jemand, der sorgfältig hinhört, präzise denkt und mit leiser Entschiedenheit arbeitet. Seit der Gründung seines Büros in Richterswil im Jahr 2014 plant er Wohnräume, die nicht beeindrucken wollen – sondern tragen, begleiten und bestehen.

Christof Hatt
Gründer
Herr Hatt, Sie sagen: Architektur beginnt mit Zuhören. Wie zeigt sich das konkret in Ihrer Arbeit?
Indem ich mir bewusst Zeit nehme. Ich möchte die Bauherrschaft verstehen – nicht nur funktional, sondern auch emotional. Wie leben die Menschen? Was ist ihnen wichtig? Welche Werte vertreten sie? Wir beginnen jedes Projekt mit offenen Gesprächen, analysieren, strukturieren, priorisieren. Zuhören heisst für mich: nicht vorschnell zu entwerfen, sondern zuerst Klarheit zu schaffen.
Sie betonen immer wieder den Begriff der Haltung. Können Sie das erklären?
Architektur ist für mich kein Vehikel zur Selbstverwirklichung. Sie soll nicht sich selbst feiern, sondern den Menschen dienen. Gute Architektur erkennt man nicht immer auf den ersten Blick – manchmal offenbart sie ihre Qualitäten erst beim genaueren Hinschauen. Im Alltag, in der Art, wie sie funktioniert, sich einfügt, wirkt und wie gut sie zu ihren Nutzerinnen und Nutzern passt. Gute Architektur schreit zudem nicht, sie spricht.
Wie meinen Sie das?
Gute Architektur sucht keine Aufmerksamkeit, sie verdient sie. Wir leben in einer Zeit, in der Bilder oft lauter sind als Inhalte. Ich versuche, den Fokus wieder zurück auf die Qualität zu legen. Es geht um Substanz, nicht um Effekte. Wenn ein Gebäude über viele Jahre funktioniert, ohne dass man ständig nachjustieren muss, dann ist es gelungen. Gelungen ist es zudem auch nur dann, wenn die Bauherrschaft darin nicht nur ein Haus sieht, sondern ihr Zuhause erkennt.
Was ist denn das grösste Missverständnis, das Menschen über Architektur haben?
Dass sie nur mit Formen zu tun hat. Architektur ist viel mehr: Kommunikation, Psychologie, Organisation, Budgetkontrolle, Technik, Gesetzgebung. Wer Architektur nur als gestalterische Disziplin sieht, verkennt die Tiefe des Berufs. Umgekehrt darf man aber auch nie vergessen: Architektur hat die Kraft, etwas zu bewirken – sie kann Atmosphäre schaffen, Identität stiften, Leben prägen. Und das ist eine grosse Verantwortung, die ich mit grossem Respekt trage.
Ihr erstes Projekt als Architekt und gleichzeitig als Bauherr war die Wiiilen Villen in Wilen bei Wollerau. Was hat Sie daran besonders geprägt?
2014 habe ich mich bewusst vom Architekturbüro meines Vaters in Richterswil getrennt. Er setzte auf eine klassische Nachfolgeregelung, ich hingegen wollte meine eigene Haltung konsequent leben und weiterentwickeln. Heute gibt es zwei Architekturbüros mit dem Namen Hatt in Richterswil – und doch stehen sie für zwei unterschiedliche Haltungen. Hatt ist eben nicht gleich Hatt. Mein Unternehmen steht für eine eigenständige und dialogorientierte Architektur, die immer im Team entsteht.
Architektur hat dort wieder eine enorme Verantwortung – sie schafft die Hülle für das Leben. – Christof Hatt, Gründer
Wiiilen Villen war dann mein erstes ganzheitlich eigenes Projekt – von der Entwicklung über die Planung bis zur Übergabe. Diese umfassende Perspektive hat mein Verständnis von Architektur vertieft. Als Bauherr erlebt man die Konsequenzen jeder Entscheidung viel direkter – finanziell, emotional, terminlich. Das hat meinen Blick geschärft: Ich plane heute vorausschauender, strukturierter und noch bewusster.
Ihr Büro ist vor allem im Bereich Wohnbau tätig. Was reizt Sie an dieser Bauaufgabe besonders?
Das Wohnen ist ein sehr persönlicher, intimer Bereich. Hier entstehen Räume, in denen Menschen leben, sich zurückziehen, sich entwickeln. Architektur hat dort wieder eine enorme Verantwortung – sie schafft die Hülle für das Leben. Diese Aufgabe reizt mich sehr, weil sie immer neu ist: Jede Bauherrschaft hat andere Bedürfnisse, jedes Grundstück andere Bedingungen. Ein Zuhause ist mehr als ein Grundriss. Es ist Rückzugsort, Alltag, Sicherheit, Identität. Ich nehme diese Verantwortung sehr ernst, weil ich weiss, wie stark Räume auf uns wirken und wie wichtig sie für uns sind. Deshalb entwerfe ich keine abstrakten Hüllen, sondern Orte, die sich mit den Menschen weiterentwickeln können. Unsere Schwerpunkte liegen im Neubau und in der Sanierung – beides erfordert viel Fingerspitzengefühl, auch im Umgang mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Wie gehen Sie mit Bauherrschaften um, die zunächst nur vage Vorstellungen haben?
Das ist völlig normal. Und oft sogar ein guter Ausgangspunkt. Wir strukturieren, fragen, visualisieren. Manchmal liegt die Lösung nicht im Offensichtlichen, sondern im Herausarbeiten des eigentlich Wichtigen. Es braucht Geduld, Klarheit und Vertrauen, um aus einer vagen Idee ein starkes Projekt zu formen.
Welche Rolle spielt Empathie in diesem Prozess?
Eine zentrale. Architektur entsteht im Dialog – und der funktioniert nur mit Einfühlungsvermögen. Empathie hilft mir, Bedürfnisse richtig zu verstehen – auch unausgesprochene. Sie macht mich als Planer klarer, kommunikativer und letztlich lösungsorientierter. Ich sehe mich nicht als Formgeber, sondern als Möglichmacher.
Gibt es architektonische Werte, die Sie unter keinen Umständen kompromittieren würden?
Ja. Die innere Logik eines Gebäudes. Räume müssen stimmen – in Proportion, Lichtführung, Funktion. Und zweitens: Aufrichtigkeit. Ich mache keine Architektur, die vorgibt, etwas zu sein, was sie nicht ist. Echtheit ist für mich nicht verhandelbar.
Nicht verhandelbar ist für viele Kund:innen heute auch eine gewisse nachhaltige Komponente. Was verstehen Sie unter nachhaltiger Architektur?
Für mich beginnt Nachhaltigkeit mit Verantwortung. Natürlich gehören Themen wie Energieeffizienz, Ressourcenschonung oder graue Energie dazu. Aber es geht auch um das, was man nicht messen kann: den Wert eines Ortes, die Qualität eines Details, die Langlebigkeit eines Gedankens. Ich will Bauten realisieren, die auch in zwanzig oder dreissig Jahren noch überzeugen – nicht, weil sie einem Trend entsprechen, sondern weil sie gut gemacht sind. Nachhaltigkeit heisst für mich: mit architektonischem Feingefühl Werte schaffen, die Bestand haben.
Nachhaltigkeit heisst auch Sanierung statt Neubau – welche Chancen sehen Sie darin?
Sanierungen fordern uns mehr heraus. Aber genau das macht sie spannend. Sie zwingen zum Respekt vor dem Bestehenden, aber auch zur Innovation. Gesellschaftlich sind sie hochrelevant: Sie schonen Ressourcen und erhalten Identität. Für mich liegt darin eine grosse Chance – mit Feingefühl und Konsequenz alten Gebäuden neues Leben zu geben.
Wie reagieren Sie auf aktuelle Herausforderungen wie Klimaschutz, Verdichtung oder demografischen Wandel?
Indem wir fragen: Was ist der richtige Massstab? Wie können wir Fläche intelligent nutzen, ohne Lebensqualität zu verlieren? Welche Materialien machen Sinn? Es geht nicht um Ideologie, sondern um präzise Antworten – funktional, ökologisch, sozial.
Welche Entwicklungen im Bauwesen oder in der Gesellschaft betrachten Sie mit besonderem Interesse – oder auch mit Sorge?
Mich beschäftigt die zunehmende Schnelllebigkeit – auch in der Architektur. Alles soll immer sofort sichtbar sein, sofort verwertbar. Aber Architektur braucht Zeit. Mit Interesse beobachte ich, wie Themen wie Kreislaufwirtschaft, Pflegewohnen oder flexible Wohnmodelle an Bedeutung gewinnen. Da steckt viel Zukunftspotenzial drin und ich freue mich auf die Zukunft.
Was genau wünschen Sie sich denn für die Zukunft der Architektur?
Mehr Haltung. Mehr Dialog. Mehr Bescheidenheit. Architektur ist kein Wettbewerb um Aufmerksamkeit. Es ist eine leise, aber wirksame Form der Gestaltung unserer Umwelt. Und ich wünsche mir, dass wir uns dieser Verantwortung immer wieder bewusst sind – mit Neugier, mit Respekt und mit einem klaren inneren Kompass.
Weitere Informationen unter baurealisation.ch
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