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IStockPhoto/Oleg Elkov
Gesellschaft Schweiz

10-Millionen-Schweiz: Wegen Überfüllung geschlossen?

09.09.2023
von SMA

Die hiesige Bevölkerung wächst rasant. Derzeit leben 8,8 Millionen hier in der Schweiz und angesichts der Zuwanderungstendenzen ist der Weg zur 10-Millionen-Schweiz nicht mehr weit. Diese Entwicklung wird kritisch betrachtet – sowohl von bürgerlicher Seite als auch aus dem Lager der linken Parteien.

Es wird langsam eng in der Schweiz. Dieser Eindruck erschliesst sich vielen Menschen, wenn sie auf überfüllten Strassen im Stau stehen oder mit hunderten anderer Pendlerinnen und Pendlern zu Stosszeiten um freie S-Bahn-Sitzplätze ringen. Doch basiert diese empfundene «gesellschaftliche Verdichtung» nur auf anekdotischen Erlebnissen oder ist sie Ausdruck realer gesellschaftlicher Tendenzen? Ein Blick auf die Zahlen hinsichtlich Zuwanderung in die Schweiz geben Aufschluss: So hat sich die hiesige Bevölkerung gemäss Bundesamt für Statistik (BfS) seit 1900 mehr als verdoppelt. Sie wuchs von 3,3 Millionen auf heute 8,8 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner an.

Zugegeben – diese Zahlen im Rahmen eines ganzen Jahrhunderts einzuordnen, ist abstrakt. Doch auch im Zeitraum von nur einem Jahr zeigt sich Eindrückliches: Laut BfS stiegt Ende 2022 stieg die ständige Wohnbevölkerung gegenüber dem Vorjahr um 76 600 Personen an, was einem Plus von 0,9 Prozent entspricht. Verglichen mit den EU-Ländern verzeichnete die Schweiz damit eine ähnliche Wachstumsrate wie Dänemark und Liechtenstein (deren Bevölkerungen um je ein Prozent zunahmen). Generell setzt sich das Bevölkerungswachstum in der Schweiz fort, in den letzten fünf Jahren bewegte es sich zwischen einem Plus von 0,7 und 0,9 Prozent.

Handlungsbedarf im Bereich der Zuwanderung sieht man also an beiden politischen Polen gegeben, wenn auch die Gründe dafür unterschiedlich gewertet werden.

Wie aber setzt sich die 8,8-Millionen-Bevölkerung der Schweiz genau zusammen? Knapp zwei Drittel der Personen sind Schweizerinnen und Schweizer, beim anderen Drittel handelt es sich um ausländische Staatsangehörige. 39 Prozent der Menschen in der Schweiz haben einen Migrationshintergrund. In Europa verzeichnet nur Luxemburg einen höheren Ausländeranteil, mit 47 Prozent im Jahr 2020.

Wo Licht ist, ist auch Schatten

Die Zuwanderung in der Schweiz ist ein komplexes Phänomen, das durch verschiedene Faktoren beeinflusst wird. Die Debatte darüber wird oft entlang politischer Linien geführt, wobei bürgerliche und linke Parteien unterschiedliche Perspektiven und Argumente anführen. Wie steht es also um die Pro-Argumente? Bürgerliche Parteien argumentieren oft, dass qualifizierte Zuwanderinnen und Zuwanderer dazu beitragen, den Fachkräftemangel in bestimmten Sektoren zu decken. Gleichzeitig erfordert die alternde Bevölkerung mehr Arbeitskräfte, um die Sozialsysteme zu finanzieren. Aus dem linken Lager wird die Zuwanderung oft aufgrund sozialer Faktoren als positiv gewertet: So wird etwa die moralische Verpflichtung der Schweiz betont, Schutzbedürftigen Asyl zu gewähren. Zudem trage diese Entwicklung zu Diversität und Multikulturalismus bei.
Obschon die Wichtigkeit der nicht schweizerischen Bevölkerung von keiner politischen Partei per se infrage gestellt wird, ist das Bevölkerungswachstum mittlerweile auch zu einem aktuellen Reizthema geworden. Die bürgerlichen Fraktionen stören sich unter anderem an der hiesigen Asylpolitik, die dazu führe, dass eben nicht die benötigten Fachkräfte in die Schweiz gelangen, sondern vielmehr Menschen, welche die Sozialwerke belasten und sich gesellschaftlich nur schwer integrieren liessen. Dies führe nebst sozialen Spannungen auch zu Effekten wie Wohnungsnot und Überlastung der Verkehrsinfrastrukturen. Die Schweiz könne und dürfe daher nicht endlos wachsen.

Gleiches Fazit, andere Herleitung

Genau zum gleichen Schluss kommt in einem aktuellen NZZ-Interview auch SP-Vizepräsidentin Jacqueline Badran. Sie kritisiert ihrerseits die hohe Zuwanderung und vertritt den Standpunkt, dass Wachstum immer limitiert sei, in allen Bereichen. «Wir sollten uns also dringend überlegen, wie wir diesen Wachstumszwang, der hier und weltweit herrscht, überwinden können.» Anders als ihre bürgerlichen Kolleginnen und Kollegen ortet sie die Gründe für die übermässige Zuwanderung allerdings nicht im Asylwesen, sondern vielmehr in einer zu liberalen Steuerpolitik. Dadurch hätten sich internationale Konzerne in der Schweiz niedergelassen, was mit einem Anstieg der Bevölkerung einhergehe. Handlungsbedarf im Bereich der Zuwanderung sieht man also an beiden politischen Polen gegeben, wenn auch die Gründe dafür unterschiedlich gewertet werden.

Auch Fachleute aus dem Bauwesen warnen vor den Folgen einer 10-Millionen-Schweiz, darunter Architekt und Stadtplaner Vittorio Lampugnani. Dieser liess ebenfalls in der NZZ verlauten, dass er den aktuellen Tendenzen mit Vorsicht und ein wenig Skepsis begegne. «Wachstum per se ist ja nicht etwas Positives», betont er. Die Frage, wie viele Menschen und Neubauten die Schweizer Städte und Landschaften aufnehmen könnten, sei legitim. Aus seiner Sicht könne durchaus weiter verdichtet werden – nur müsse das Wachstum in die richtigen Bahnen geleitet werden. Für die Städteplanung und die Baubranche könne dies etwa konkret bedeuten, dass man aufgelassene Fabrikräume, Lagerhallen und ungenutzte Büros zu Wohnungen umbaut. Wenn ein Gebäude nicht mehr gebraucht werden kann, bedeute dies noch lange nicht, dass man es abreissen und daneben neu bauen muss. «Von dieser Idee müssen wir uns verabschieden. Und gewitzter nach kreativen Lösungen suchen.»

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