frau lädt  batterie eines elektroautos auf  hält den stecker in  hand (nahaufnahme). symbolbild recht auf laden
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Schweiz Mobilität

«Recht auf Laden»: die Schweizer E-Mobilitätslandschaft

27.09.2025
von Aaliyah Daidi

Wer in der Schweiz ein Elektroauto fährt, hat oft mehr Fragen als Antworten – besonders: Wo laden? Mit dem neuen «Recht auf Laden» soll sich das ändern. Aber kann ein Gesetz wirklich ausreichen, um die E-Mobilität aus der Nische zu holen?

Ein ganz normales Mietshaus in Zürich, in der Tiefgarage um 22 Uhr. Ein Bewohner kommt mit seinem neuen Elektroauto nach Hause, fährt die Rampe hinunter – und sucht vergeblich nach einer Steckdose. Wo andere ihre Verbrenner einfach abstellen, steht er vor der Frage: Wo lade ich morgen? Genau diese Alltagssituation ist der Grund, warum die Schweizer Politik jetzt handelt.

Mit dem neuen «Recht auf Laden» wird Mieterinnen und Mieter ein automatischer Anspruch auf private Ladeinfrastruktur zugesichert. Diese Entscheidung hat Folgen, die über Tiefgaragen des Landes hinausreichen – für Unternehmen, Flottenbetreiber und das Ziel Netto-Null 2050.

Der politische Stromstoss durch das «Recht auf Laden»

Mit der Annahme des «Rechts auf Laden» im National- und Ständerat wird eine langjährige Blockade aufgelöst: Wer in einem Miet- oder Eigentumsobjekt lebt, soll künftig nicht mehr am Widerstand von Nachbar:in oder Verwaltungen scheitern, wenn er oder sie eine Ladestation installieren möchte. Es ist ein Paradigmenwechsel: Ladeinfrastruktur wird zur Grundvoraussetzung, nicht zum Sonderwunsch.

Damit rückt ein Ziel näher, das bisher wie eine Fata Morgana wirkte – massentaugliche Elektromobilität in der Schweiz. Denn solange das Laden im Alltag schwierig bleibt, zögern viele beim Umstieg.

Zahlen, die elektrisieren

Die Dimension ist gewaltig: Bis 2035 braucht die Schweiz rund zwei Millionen private Ladepunkte, um den Bedarf zu decken. Hinzu kommen etwa 84 000 öffentliche Ladepunkte, während heute erst zwischen 10 000 und 13 000 verfügbar sind. Noch gravierender: Hunderttausende künftige E-Autofahrer:innen werden weder zu Hause noch am Arbeitsplatz eine Steckdose haben.

Die Botschaft ist klar: Ohne massive Investitionen in Ladeinfrastruktur – privat wie öffentlich – bleibt die E-Mobilität auf halber Strecke stehen.

Zwischen Stecker und Strategie

Für Unternehmen eröffnet das Recht auf Laden eine neue Welt, aber auch neue Pflichten.

  • Flottenumstellung: Wer Firmenfahrzeuge elektrifizieren will, muss Ladepunkte in Betriebsgaragen auf Mitarbeiterparkplätzen oder an Standorten nachrüsten.
  • Kosten und Effizienz: Strom ist günstiger als Benzin oder Diesel – vorausgesetzt, er wird smart eingekauft und geladen. Intelligentes Lademanagement hilft, Spitzenlasten zu vermeiden und Nachtstrom zu nutzen.
  • Recht und Ordnung: Mietobjekte oder geteilte Parkflächen machen Verträge komplexer. Klare Regelungen zu Kosten, Wartung und Zugangsrechten werden wichtiger.
  • Nachhaltigkeit: Mit Netto-Null 2050 im Blick wird die Flottenumstellung nicht nur eine Option, sondern Pflicht. CSR-Berichte, Ausschreibungen oder Investor:innen achten zunehmend auf klimafreundliche Mobilität.

Europa als Rückenwind

Interessant ist auch der Blick über die Grenzen: In Europa beschleunigt die geopolitische Lage den E-Markt. Energieabhängigkeiten, Klimaziele und hohe Ölpreise treiben die Nachfrage. Länder wie Norwegen oder die Niederlande zeigen, wie konsequenter Ausbau funktioniert.

Für die Schweiz bedeutet das: Sie ist keine Insel. Hersteller, Lieferketten und Technologiepartner sind europäisch oder global organisiert. Wer jetzt investiert, profitiert nicht nur vom heimischen Markt, sondern auch von Entwicklungen im Ausland.

Chancen und Stolpersteine

Die Einführung des Rechts auf Laden eröffnet grosse Chancen, bringt aber auch herausforderungen mit sich. Auf der positiven Seite steht die Aussicht, Liefer- und Serviceflotten schneller auf Elektroantriebe umzustellen. Unternehmen können durch den günstigeren Betrieb von E-Fahrzeugen erhebliche Kosten einsparen und gleichzeitig ihr Nachhaltigkeitsprofil schärfen – ein Imagewinn, der gerade im Wettbewerb um Kund:innen und Talente an Bedeutung gewinnt.

Doch die Kehrseite ist nicht zu übersehen. Der Aufbau von Ladeinfrastruktur verursacht hohe Investitionskosten, die sich nicht sofort amortisieren. Auch die Stromnetze müssen verstärkt werden, damit sie die zusätzlichen Lasten tragen können. Zudem herrscht in manchen Bereichen rechtliche Unsicherheit – etwa beim bidirektionalen Laden, das Strom aus Fahrzeugen zurück ins Netz speist. Das neue Recht löst also ein zentrales Problem, wirft aber zugleich Fragen auf.

Handlungsspielräume für Unternehmen

Für Firmen bedeutet das: nicht abwarten, sondern gestalten. Wer heute mitdenkt, kann sich entscheidende Vorteile sichern. Ladeinfrastruktur sollte eher frühzeitig in Bau- und Renovierungspläne integriert werden. Intelligentes Lastmanagement hilft, Stromkosten zu optimieren und Netzauslastungen zu steuern. Gleichzeitig lohnt es sich, bestehende Miet- und Nutzungsverträge auf Anpassungsbedarf zu prüfen, gerade wenn Stellplätze geteilt oder angemietet sind.

Ein weiterer Erfolgsfaktor liegt in der Einbindung der Belegschaft. Klare Regelungen zu Dienstwagen, Ladeangeboten am Arbeitsplatz und der Möglichkeit, privat Strom zu tanken, machen Elektromobilität für Mitarbeiter:innen attraktiver. Schliesslich wird der Effekt besonders gross, wenn Ladeinfrastruktur mit erneuerbaren Energien kombiniert wird – so verbessert sich nicht nur die Klimabilanz, sondern auch die Unabhängigkeit vom Energiemarkt.

Ein Land unter Strom

Die Szene der Zürcher Tiefgarage – ein Elektroauto ohne Steckdose – könnte schon bald der Vergangenheit angehören. Mit dem «Recht auf Laden» und ehrgeizigen Ausbauplänen wird Elektromobilität in der Schweiz Schritt für Schritt zur Selbstverständlichkeit. Für Unternehmen bedeutet das mehr als nur technische Anpassung: Es geht darum, strategisch zu investieren, organisatorisch umzudenken und einen kulturellen Wandel anzustossen.

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