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Reisen Interview

Patrick Brugger über die Mobilität der Zukunft

01.07.2018
von SMA

Patrick Brugger, Leiter Innovationsmanagement bei der SBB, rückt die Mobilität mit der Bahn in ein neues Licht. Der Innovations- und Nachhaltigkeitsgedanke steht dabei im Mittelpunkt genauso wie der Erhalt der menschlichen Arbeitskraft bei der Bahn. Im Interview spricht er über die SBB der Zukunft.

Patrick Brugger: Manche stellen sich die Zukunft mit fliegenden Autos und Robotern vor. Was für ein Bild haben Sie persönlich vor Augen?

Auch ich kann mir die Zukunft nur ausmalen. Das macht die Entwicklung der Mobilität ja gerade dynamisch und spannend. Die Fachwelt geht zurzeit von einer stark steigenden Nachfrage nach Mobilität aus, unter anderem durch das Bevölkerungswachstum oder autonome Fahrzeuge. Demgegenüber können flexiblere Arbeitsformen die Nachfrage nach Verkehrsleistungen reduzieren. Die SBB denkt darum für die langfristig integrierte Mobilitäts- und Arealentwicklung in Szenarien. Dazu gehört es, Konzepte und Annahmen zu hinterfragen: Wird Sharing wirklich das grosse Thema? Wie werden autonome Shuttles oder Robotaxis den Mobilitätsmarkt beeinflussen? Klar ist unser Ziel: Wir wollen die Mobilität der Zukunft mitgestalten. Das heisst, als Unternehmen beweglich und offen zu bleiben. Wir sehen, dass sich die Bedürfnisse der Reisenden ändern.

Gemäss ihrer Vision gestaltet die SBB die Mobilität der Zukunft: «einfach, persönlich und vernetzt». Welches sind dabei die grössten Herausforderungen?

Technologische und gesellschaftliche Veränderungen bringen neue Bedürfnisse, neue Geschäftsmodelle und auch neue Mitbewerber im Mobilitätsmarkt, zum Beispiel Fernbusse. Das heisst, wenn die SBB weiterhin das Rückgrat des öffentlichen Verkehrs sein will, muss sie sich weiter wandeln. Unsere Vision drückt aus, dass wir uns Schritt für Schritt zum agilen und innovativen Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen auf der ganzen Reise- und Logistikkette entwickeln wollen. Die Kundenorientierung und die traditionellen Stärken der Eisenbahn bleiben das Fundament.

Die Ausgangslage in der Schweiz bezüglich Mobilität ist grundsätzlich sehr gut: Vieles funktioniert reibungslos und es ist möglich, auch entlegene Orte mit dem ÖV zu erreichen. Aber: Das Bedürfnis nach Mobilität nimmt zu, künftig werden mehr Leute unterwegs sein. Das ist bezüglich Ressourcen eine Herausforderung. Ich denke an die Raumentwicklung und an die Kosten. Das Eisenbahnnetz zu bauen und zu betreiben, ist teuer. Darum stellt sich die Frage: Wie können wir die bestehenden Kapazitäten, also etwa die Sitzplätze in den Zügen, möglichst gut ausnutzen?

Eine Zugfahrt in der Schweiz verursacht zwanzig Mal weniger CO2-Emissionen als eine Autofahrt auf einer vergleichbaren Strecke.

Stichwort Automatisierung: Werden in Zukunft überhaupt noch Menschen nötig sein, um Züge oder Autos zu steuern?

Was wir testen, sind Assistenzsysteme für Lokführer. Diese sind mit einem Tempomat beim Auto vergleichbar. Der Lokführer sitzt im Führerstand, überwacht die Systeme und greift bei Bedarf ein. Dank der Verknüpfung mit der so genannten «adaptiven Lenkung» kann ein flüssiges und energieoptimiertes Fahrprofil umgesetzt werden. Auch wenn sich Berufsbilder verändern, das Wissen der Mitarbeitenden bleibt ein Schlüssel, um einerseits die neue Technologie gezielt einzusetzen und zu nutzen, und andererseits im Störungsfall rasch und effektiv einzugreifen. Aus heutiger Sicht können wir es uns nicht vorstellen, netzweit ohne Lokführer Eisenbahn zu fahren. Und insbesondere auch im persönlichen Kundenkontakt wird es weiterhin Menschen brauchen.

Um nicht nur auf ein Verkehrsmittel angewiesen zu sein, kombinieren viele Zug, Auto und Fahrrad, um beispielsweise den Arbeitsweg zurückzulegen. Wie kann dieses Konzept weiter ausgebaut werden?

Die Verkehrsträger werden heute in der Tat schon oft kombiniert genutzt. Rund 10 Prozent der Reisenden fahren zum Beispiel mit dem Velo zum Bahnhof. Deshalb investiert die SBB seit Jahren in Parkierungsinfrastruktur für Zwei- und Vierräder. Ich bin überzeugt, dass viele Reisende sich nicht bewusst sind, wie sie heutige Mobilitätsträger, wie beispielsweise Publibike oder Mobility Carsharing optimal integrieren können. Die SBB will die kombinierte Mobilität weiter fördern, wie heute zum Beispiel mit der SBB Reisplaner App. Unsere Kunden sollen von innovativen, attraktiven und möglichst einfachen Angeboten profitieren. Mit SBB Green Class können unsere Kunden beispielsweise neue Wege in der nachhaltigen Tür-zu-Tür-Mobilität beschreiten. Als Pioniere haben sie die Möglichkeit, erstmals Mobilitätsservices von Schiene und Strasse in einem Mobilitätskombi zu kaufen und so die Mobilität der Zukunft mitzugestalten. Es trägt dem Bedürfnis nach mobiler Freiheit und Nachhaltigkeit Rechnung.

Wie sieht es bei Innovationen im Bereich Nachhaltigkeit aus?

Eine Zugfahrt in der Schweiz verursacht zwanzig Mal weniger CO2-Emissionen als eine Autofahrt auf einer vergleichbaren Strecke. Unsere Züge fahren heute mit durchschnittlich 90 Prozent Strom aus Wasserkraft. Damit gehört die SBB zu den ökologisch vorbildlichsten Bahnen Europas. Und wir gehen noch einen Schritt weiter: Ab 2025 werden wir unsere Züge vollständig mit erneuerbarem Strom betreiben und noch nachhaltiger unterwegs sein als heute. Dafür haben wir uns das ehrgeizigste Energiesparprogramm der Schweiz gesetzt: Wir sparen ab 2025 jährlich so viel Strom, wie alle Haushalte des Kantons Tessin verbrauchen. Das sind pro Jahr rund 600 Gigawattstunden.

Um dieses Ziel zu erreichen, setzen wir auf Innovation, unter anderen auf folgende Projekte: Das einzigartige Adaptive Lenkungssystem (ADL), auch als «Grüne Welle der Bahn» bezeichnet, berechnet eine Prognose für alle Züge in der Schweiz und kann so ungewollte Halte vermeiden und die Züge insgesamt flüssiger fahren lassen. Oder: Die abgestellten Reisewagen werden in einen Schlummerbetrieb gesetzt, wobei die Innenraumtemperatur während der Nacht ab- gesenkt wird. Und: In Eschenbach (LU) wird zurzeit die erste Wärmepumpen-Weichenheizung der Schweiz erprobt, die im Vergleich zu einer elektrischen Weichen- heizung ein Drittel weniger Energie benötigt.

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