claudia pletscher claudia pletscher: «ein unternehmen kann alleine nicht halten»
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Claudia Pletscher: «Ein Unternehmen kann alleine nicht mithalten»

01.07.2018
von SMA

Als die Post vor gut 170 Jahren gegründet wurde, waren noch Pferde zur Verteilung im Einsatz. Seitdem hat sich das Unternehmen stetig weiterentwickelt und feilt mit Hochdruck an neuen Innovation. Wieso Drohnen dennoch erst einmal kein Thema für die Paketzustellung sind, weiss Claudia Pletscher, Leiterin Innovation und Entwicklung bei der «Schweizerischen Post».

Claudia Pletscher, was sind die grössten Herausforderungen in diesem Job hinsichtlich der digitalen Entwicklung?

Unsere Kunden verhalten sich immer digitaler, mobiler und individueller. Das bedeutet für uns, immer mehr Flexibilität, Personalisierung und Speed – in all unseren Angeboten. Die Schweizerische Post muss ihre Kernkompetenzen aus der physischen Welt mit voller Kraft digital ausspielen, will sie auch in Zukunft ihre Position in der Schweiz als gewichtige Infrastruktur-Dienstleisterin mit gewohnter Qualität und Zuverlässigkeit behaupten. Das bedeutet, dass wir unsere traditionelle Rolle als Übermittlerin vertraulicher Informationen nicht mehr nur physisch, sondern zusätzlich auch elektronisch ausüben. Die Post nutzt neue Technologien für den Ausbau des Kerngeschäftes aber auch zum Aufbau neuer Geschäftsfelder. Dies nicht zuletzt, um den physischen Kanal weiter attraktiv zu halten, denn unsere Kundinnen und Kunden erwarten zu Recht, dass wir die traditionellen Dienstleistungen digital anreichern und sie jederzeit von überall, insbesondere auch mobil, mit der Post in Kontakt treten können. Die technischen Möglichkeiten erleichtern ihnen den Alltag.

In einem Ihrer Vorträge sprachen Sie von «everything computes»? Inwiefern gilt dies schon für die Post?

Die Post setzt schon seit langem digitale Technologie ein, um ihre Abläufe zu verbessern. Wir könnten gegen 600’000 Pakete, rund 17 Millionen Briefsendungen und gut 3 Millionen Geld-Transaktionen pro Tag in den kurzen Zeitfenstern gar nicht bewältigen, wenn wir nicht schon seit langem hochdigitalisierte Prozesse und Abläufen einsetzen würden. Von aussen sieht man uns das gar nicht an. 1996 wurde der Barcode auf den Paketetiketten eingeführt. 2006 wurden RFID-Chips auf Rollwagen in Sortierzentren angebracht, um darauf verschiedene Art von Informationen zu speichern. In der Sendungsüberwachung und -verfolgung eröffnet das Internet der Dinge heute neue Perspektiven. Kombinierte IoT- und Blockchain-Lösungen erlauben uns das Messen und Rückverfolgen der Temperatur in Paketen und mithilfe von Intelligent Automation verarbeiten wir Millionen von Dokumenten und Daten in unseren Service-Zentren.

Was muss ein Unternehmen Ihrer Meinung nach tun, um mit den digitalen Fortschritten und Entwicklungen in Zukunft mithalten zu können?

Im digitalen Zeitalter sind Geschwindigkeit und Kundenfokus noch wichtiger: Wie stellen wir sicher, dass wir die wirklichen Kundenbedürfnisse adressieren und rasch auf das komplexe Umfeld reagieren können. Auch technologische Kompetenz ist wichtig, um die Zusammenhänge zu sehen. Aber das allein genügt nicht; ein Unternehmen kann im Alleingang mit den Entwicklungen nicht mithalten. Wir setzen daher bewusst im Ökosystem auf Partnerschaften für unseren Innovationsprozess. Wir arbeiten gezielt mit Universitäten, Start-ups, Behörden oder anderen Unternehmen zusammen, um neue digitale Themen wie Robotics, Blockchain, Cybersecurity oder künstlicher Intelligenz zu bearbeiten und Innovationsprojekte zu starten. Damit sind wir schneller, besser und günstiger unterwegs als alleine. Ein Beispiel dafür ist unser Drohnenprojekt: Wir arbeiten eng mit dem Drohnenentwickler Matternet, mit den Spitälern und ihrem Transportbedürfnis, mit dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) sowie mit den betroffenen Städten zusammen.

Sie haben es gerade erwähnt: Im März 2017 hat die Post zusammen mit dem Tessiner Spitalverbund EOC und dem Drohnenhersteller Matternet ein Innovationsprojekt gestartet. Dabei sollen Drohnen künftig Laborproben zwischen zwei Spitälern in Lugano transportieren. Wie weit ist dieses Projekt und kann es tatsächlich umgesetzt werden?

Seit Oktober 2017 ist die Drohne in Lugano täglich im Einsatz. Wir haben damit weltweit den ersten behördlich bewilligten kommerziellen Transport mit Logistikdrohnen umgesetzt. Zwischenzeitlich fanden mehr als 1000 erfolgreiche autonome Drohnenflüge zwischen dem Ospedale Italiano und dem Ospedale Civico statt. Im vierten Quartal soll in Lugano erstmalig der reguläre, vollständig autonome Drohnenbetrieb starten. Vor gut einem Jahr dauerte der Transport einer Laborprobe zwischen zwei Standorten des Tessiner Spitalverbundes «Ente Ospedaliero Cantonale (EOC)» in Lugano noch 45 Minuten. Dank der Drohnenlogistik legen wir die gut 1.2 Kilometer heute innerhalb weniger Minuten zurück – sehr ökologisch und ohne Stau. Das bedeutet einen Zeitgewinn für das EOC und damit einen klaren Nutzen für seine Ärzte und Patienten.

Weitere Flüge gibt es jetzt auch in Bern und in Zürich. Schwirren bald in allen Schweizer Städten Drohnen der Post?

Der Einsatz von Drohnen macht nur dort Sinn, wo der Mehrwert für den Kunden klar nachweisbar ist. Die Transporte sollen flexibler, unabhängiger von der Verkehrslage, ökologischer – und natürlich schneller werden. Deshalb wird die Post auch künftig die Drohnenlogistik nur dort einsetzen, wo es ökologisch sinnvoll und technisch machbar ist. Der Gesundheitsbereich eignet sich jedoch für diese Art Logistik besonders gut, denn die Geschwindigkeit kann entscheidend sein, dementsprechend ist der Bedarf nach effizienten Lösungen für prioritäre Sendungen gross. Gemeinsam mit unseren Kunden arbeiten wir zum Wohl der Patientinnen und Patienten. Die Gesundheitsbranche ist interessiert und die Post ist mit weiteren Kunden im Gespräch.

Wäre der Luftweg für die Verteilung von Briefen und Paketen auch eine Option für die Post?

Die Post stellt gut 17 Millionen Briefsendungen und gegen 600’000 Pakete pro Tag zu. Für das Massengeschäft eignet sich die Drohne nicht, da sind unsere Zusteller viel effizienter. Und die Post hat auch keine Absicht dies zu ändern.

In absehbarer Zeit wird der Einsatz von Drohnen nicht über ein Nischendasein hinausgehen.

Sie haben in Bern und Zürich auch den Transport von Sendungen in Spezialfällen via Zulieferroboter getestet. Wie weit sind Ihre Erkenntnisse mit diesen Geräten?

Die Post hat mit verschiedenen Partnern Erfahrungen rund um die Einbindung der Technologie in unterschiedliche Logistikprozesse gesammelt. Dabei wurden mehr als 200 Fahrten absolviert und 1000 km unfallfrei zurückgelegt. Die Technologie funktioniert somit – es besteht jedoch noch ein Gap zur Regulation; diese verlangt, dass der autonome Lieferroboter stets mit einer Begleitperson unterwegs ist. Solange diese Vorgabe besteht, bleibt der Case begrenzt interessant für uns. Bis dahin prüft die Post parallel andere Anwendungen. Dabei konzentriert sie sich auf autonome Roboter, die innerhalb von Gebäuden Waren transportieren.

Für das Massengeschäft eignet sich die Drohne nicht, da sind unsere Zusteller viel effizienter.

Smart Cities gewinnen in der heutigen Zeit immer mehr an Bedeutung, besonders Metropolen sollen schon bald smart ausgestattet sein. Sie sollen den Bewohnern mit minimalem Ressourcenverbrauch eine maximale Lebensqualität basierend auf intelligenten Infrastrukturlösungen bieten. Wie könnten diese Ihrer Meinung nach aussehen?

Das Feld für smarte Lösungen ist weit. Die Post kann als Mischkonzern und Grundversorger mit fast allen Kern-Dienstleistungen in Zahlungsverkehr, Mobilität und Logistik zur Smart City beitragen. Auch unsere Infrastruktur kann vernetzt werden und einen Beitrag zur Smart City leisten. Ein Beispiel: Sensoren an unseren Fahrzeugen und Gebäuden können Parameter wie Luft- oder Strassenqualität messen. Diese Informationen helfen der Stadt, Infrastrukturentscheide zu fällen, die die Lebensqualität verbessern.

Welche Rolle könnte die Post bei dem Aufbau einer Smart City spielen?

Die Post als Infrastruktur-Dienstleisterin kann Wesentliches dazu beitragen, denn die Grundversorgung ist ein essentieller Bestandteil einer Smart City. Dort fügt sie sich noch nahtloser und individueller in den Alltag der Bürgerinnen und Bürger ein, vereinfacht das Leben in und um die Stadt und erhöht dadurch die Lebensqualität.

In einer Smart City wird vieles automatisch gesteuert, was wiederum Strom benötigt. Was würde bei einem Stromausfall passieren?

Die Post baut derzeit zusammen mit Swisscom ein schweizweites Netz auf, das Informationen stromnetz-unabhängig und kostengünstig überträgt. Swisscom hat dieses so genannte Low Power Network aufgebaut, die Post steuert Standorte für Empfangsstationen und ihre Erfahrungen aus einem eigenen Pilotnetz, sowie die konkreten Anwendungsfälle für nahtlos integrierte Logistikdienstleistungen bei.

Das Thema Nachhaltigkeit wird auch in Zukunft eine bedeutende Rolle in der Gesellschaft spielen. Inwiefern kann durch Digitalisierungen und Smart Technologies darauf Rücksicht genommen werden?

Smarte Lösungen können nicht auf Nachhaltigkeit abzielen, sie müssen. Denn Nachhaltigkeit ist eines der Kernziele einer Smart City. Die Post unterhält schon heute in der Zustellung von Postsendungen mit über 6000 Fahrzeugen eine der grössten Elektroflotten Europas, die zudem mit «naturemade star»-zertifiziertem Ökostrom aus der Schweiz rumfährt. Damit leistet die Post bereits heute einen entscheidenden Beitrag zur Luftqualität, Lärm und Energieeffizienz in Städten.

Was denken Sie hat sich bis zum Jahr 2030 bzgl. der Städte, Infrastruktur und der Digitalisierung im Allgemeinen geändert?

Durch die stärkere Vernetzung werden neue Informationsquellen erschlossen, die für Verwaltungsentscheide genutzt werden können. Dadurch wird die Digitalisierung in Städten stärker als heute zur Ressourceneffizienz und Verbesserung der Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger beitragen.

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