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Thomas Brezina will Kinder nie belehren

31.08.2019
von Stefan Marolf

Thomas Brezina ist einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuchautoren. Vor gut zwei Jahren hat er sich dann erstmals an die Erwachsenenliteratur gewagt – und das mit Erfolg. Im Interview spricht er über seine Kindheit, seine Erfolge und über sein neustes Werk.

Thomas Brezina, Sie leben in Wien und in London. Wo fühlen Sie sich wirklich zuhause?

Zuhause fühle ich mich an beiden Orten, weil ich den Wechsel sehr schätze. Ich bin sehr gerne in Österreich, da ich hier aufgewachsen bin. Mein Lebensmittelpunkt ist eindeutig hier, aber die Stadt, die mich seit 26 Jahren inspiriert, ist London.

Zuhause sind Sie auch rund ums Thema Kinder. Woher kommt diese Faszination?

Eine ausgezeichnete Frage, auf die ich absolut keine Antwort geben kann, weil ich es schlicht nicht weiss. Schon mit acht Jahren habe ich zum ersten Mal versucht, ein Kinderbuch zu schreiben. Mit 16 habe ich den grossen österreichischen Jugendpreis gewonnen. Das Thema hat mich einfach immer interessiert. Nach der Schule habe ich im Fernsehen als Puppenspieler im Kinderprogramm gearbeitet und wurde auch als Regieassistent eingesetzt. Später wurde mir angeboten, im Fernsehen und auch im Radio zu schreiben – immer für Kinder. Und ich habe stets zugesagt. So hat sich das dann entwickelt.

Sie gelten als einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Kinder- und Jugendbuchautoren. Was ist Ihr Erfolgsrezept?

Ich habe sehr grossen Respekt vor Kindern, vor ihrer Persönlichkeit und vor ihren Ansichten. Bei allem, was ich gemacht habe, ging es immer darum, Kinder zu begeistern. Ich denke, dass Kinder das spüren – deswegen lesen sie wohl auch gerne meine Geschichten. Wenn ich ein neues Buch schreibe, dann stelle ich mir vor, dass ich es Kindern vorlese. Ich frage mich: Würden sie jetzt gebannt zuhören; ja oder nein?

Ich habe sehr grossen Respekt vor Kindern, vor ihrer Persönlichkeit und vor ihren Ansichten. Thomas Brezina

Welche Message wollen Sie mit Ihren Büchern rüberbringen?

Was ich mit all meinen Geschichten immer zeigen wollte, ist: Diese Welt hat viel Faszinierendes zu bieten und in Kindern steckt eine Menge. Es ist ihre Aufgabe und ihre Möglichkeit, das Beste daraus zu machen, die Welt zu entdecken und sie mitzugestalten. Sie können es – ich habe einen tiefen Glauben daran. Ganz wichtig sind bei mir Themen wie Freundschaft oder Neugierde und vor allem auch eine ganz selbstverständliche Akzeptanz für alles, was anders ist. Ich will Kinder nie belehren, das ist mir das Allerwichtigste – aber ich will ihnen Geschichten erzählen, die ihnen Mut machen und sie bestärken.

Kinder nie belehren – viele Eltern halten das wohl für unmöglich. Wie kann das funktionieren?

Wenn wir Kinder ständig belehren, behandeln wir sie von oben herab. Das lässt sich kein Erwachsener gefallen. Warum sollte das ein Kind mögen? Wenn wir Kinder für Dinge begeistern wollen, dann müssen wir respektieren, dass Kinder manches gerne tun, anderes weniger.

Wie gelingt es Eltern denn, Kinder zu begeistern?

Eltern, die sich für Verschiedenes begeistern, geben das Interesse an ihren Nachwuchs weiter. Vor allem bei jüngeren Kindern springt der Funke auf diese Weise über. Das ist die eine Richtung. Die andere Richtung ist, herauszufinden, wofür sich ein Kind von Natur aus begeistert und interessiert. Was auch immer das sein mag; es gilt dann: fördern, fördern, fördern.

Und wie gelingt es Ihnen, Kinder mit Ihren Geschichten zu begeistern?

Indem ich ihnen Geschichten von Abenteuern erzähle, welche sie selbst gerne erleben würden. Ich erzähle von Figuren, mit denen Kinder selbst gerne befreundet wären. Meine Geschichten sind so aufgebaut, dass sie vom ersten bis zum letzten Satz packend sind. Meine Bücher
werden so gedruckt, dass sie auch Kinder ansprechen, welche nicht so gerne lesen. Wenn ich neue Ideen habe, erzähle ich ganz beiläufig Kindern davon. Dann achte ich auf ihre Reaktionen: Hören sie hin? Wollen sie mehr erfahren oder berührt es sie nicht? Und die Dinge, die sie nicht so berühren, die vergesse ich wieder.

Kinderbücher müssen unter anderem leicht verständlich sein. Was entgegnen sie Kritikern, die Kinderliteratur folglich für banal halten?

Ganz abgesehen davon, dass sie die Arbeit des Autors geringschätzen, ist es absolut respektlos Kindern gegenüber. Denn das hiesse, Kinder seien banal. Die hochgestochenen Stile, die einige wenige Leute gerne lesen und Literatur nennen, mögen so sein, wie sie sind. Ich respektiere das. Aber alles andere verdient den gleichen Respekt. Wenn wir in den englischen Sprachraum schauen: Der berühmte Charles Dickens, hat seine Bücher, die heute Weltliteratur sind, als Fortsetzungsgeschichten in einem Hausfrauen-Magazin veröffentlicht. Was ist der Erfolg? Er hat seine Leser berühren können. Das ist für mich ganz grosse Literatur.

Auf Ihrer Website schreiben Sie, viele Erwachsene verdrängten die negativen Erinnerungen an Ihre Kindheit. Weshalb glauben Sie das?

Naja, weil es wehgetan hat. Ganz einfach. Weil man sich einfach nicht gerne an Dinge erinnert, die geschmerzt haben. Ich glaube, wer Kinder wirklich mag, wer mit Kindern gut umgehen möchte, wer sie verstehen möchte, der muss sich mit der eigenen Kindheit auseinandersetzen. In meinem neuen Buch sind verschiedene Anleitungen und Fragebögen, die Erwachsenen helfen, ein bisschen mehr über ihre eigene Kindheit zu entdecken. Wenn ich weiss, wie ich meine eigene Kindheit erlebt habe, dann kann ich mit einem Kind hervorragend umgehen.

Wer mit Kindern gut umgehen möchte, muss sich mit seiner eigenen Kindheit auseinandersetzen. Thomas Brezina

Sie selbst sagen, Sie erinnerten sich noch ziemlich genau an Ihre Kindheit. Wie war diese?

Ich hatte eine gute Kindheit; eine Mischung aus vielen Freuden sowie einigen Schmerzen. Ich war immer ein bisschen ein Einzelgänger, ich habe mich für Dinge wie Puppentheater interessiert. Weder war ich ein guter Fussballer noch der Anführer einer Clique. Ich zog mich häufig zurück, habe viel gelesen und mir vieles ausgedacht. Meine Eltern haben das alles unterstützt und gefördert und nie in irgendeiner Form bewertet oder kritisiert – und dafür bin ich ihnen unendlich dankbar. Ich war ein dickliches Kind, dadurch bin ich eine Zeit lang verspottet worden. Das hat mich furchtbar verletzt. Aber ich hatte einige wirklich gute Freunde und ich habe unglaublich gerne gebastelt, experimentiert und entdeckt. So war meine Kindheit.

Sie erlebten Ihre eigene Kindheit in den 60er- und 70er-Jahren. Was hat sich seither verändert?

Was heute anders ist, ist das Angebot an Medien. Ich glaube, dass dieses sehr grosse Ansprüche an Kinder stellt und zur Belastung werden kann. Allerdings sind die Grundthemen von Kindern gleichgeblieben: Wer bin ich? Was kann ich? Wie stehe ich zu anderen? Da hat
sich aus meiner Sicht überhaupt nichts verändert.

Sie haben über 550 Kinderbücher geschrieben und 2017 Ihren ersten Erwachsenenroman herausgebracht. Was war der Grund für diese Neuorientierung?

Das ist in mir gewachsen. Die Idee, eine meiner Kinderserien für Erwachsene fortzusetzen und alle Hauptfiguren 20 Jahre älter werden zu lassen, ist mir seit vielen Jahren durch den Kopf gespukt. Eines Morgens bin ich aufgestanden und habe mit der Umsetzung begonnen. Dass das Ganze dann so ein grosser Erfolg werden und auf Platz eins der Bestseller-Liste landen würde, das hätte ich mir nie träumen lassen.

Wie waren die Reaktionen auf das Buch?

Die Reaktionen waren hervorragend. Bei der Präsentation, die vor dem Erstverkaufstag um Mitternacht stattgefunden hat, standen über 700 Leute vor der Buchhandlung. Man muss sich das vorstellen: Ich habe bis drei Uhr morgens Bücher signiert. Ich war dann auf einer grossen Tour, dabei wurden alle meine Veranstaltungen überrannt und die Leute waren begeistert, ihre Helden aus der Kindheit neu zu erleben.

Den Meisten sind Sie wohl als Kinderbuchautor bekannt. Gab es Kritik an Ihrer Neuorientierung?

Dazu kann ich nur eines sagen: Was Kritik angeht, höre ich ausschliesslich auf Menschen, von denen ich ganz genau weiss, was ihre Hintergründe sind. All diese Menschen haben mich ermutigt, den Schritt zu wagen. Meine Lektoren haben mir geholfen mit meinem Kinderstil, den ich natürlich intus hatte und immer noch habe. Und ob das jetzt sogenannten Kritikern gefällt oder nicht, das ist für mich nicht der Massstab. Die Menschen, für die ich es gemacht habe, hatten Freude – und das sind meine Leserinnen und Leser.

Ihr neues Buch «Blödsinn gibt’s nicht» ist kürzliche erschienen. Wie nervös sind Sie – nach knapp 30 Jahren als Autor – vor einem solchen Moment noch?

Ach, ich freue mich darauf. Diesmal geht es darum, Kinder für das Leben zu begeistern. Das Buch fällt in die Kategorie Erziehungsratgeber und ist eigentlich kein Erziehungsratgeber, sondern ein Ratgeber für Eltern sowie alle anderen Menschen, die mit Kindern zu tun haben. Es war mir ein grosses Anliegen, darüber zu schreiben, weil ich mich seit 35 Jahren damit beschäftige.

Ein Erziehungsratgeber, der keiner ist? Erklären Sie.

Es ist selbstverständlich ein Ratgeber. Es geht aber nicht darum, Kinder zu erziehen. Erziehung ist für mich das Erlernen und Üben von Spielregeln für das Zusammenleben sowie den Umgang mit sich selbst. Was ich in meinem neuen Buch schildere, ist etwas anderes. Es geht darum, Kindern die Freude an der Welt und am Leben, die sie von Natur aus mit sich bringen, noch zu verstärken.

Es geht darum, Kindern die Freude an der Welt und am Leben zu verstärken. Thomas Brezina

Leserinnen und Leser sollen sich Fragen an ihr früheres Ich stellen. Verraten Sie eine dieser Fragen aus dem Buch?

Es gibt zum Beispiel ein Zeugnis der eigenen Kindheit: Es geht darum, die Eltern, Geschwister, die Schule und viele weitere Dinge aus Kindheitstagen zu benoten.

Sie haben selbst keine Kinder. Weshalb sollte man ausgerechnet ein Buch von Ihnen rund ums Thema Familie lesen?

Weil ich einen völlig anderen Blick auf Kinder haben kann. Mein Vorteil ist, dass ich weder Vater noch Lehrer bin, sondern ein Mensch, dessen Aufgabe es ist, Kinder zu begeistern – und das seit 35 Jahren.

Wie sind Sie auf den Titel Ihres Buches gekommen?

Es ist ein Kapitel drin: «Blödsinn gibt’s nicht». Kindern wird so oft gesagt: «Das ist so ein Unsinn, so ein Blödsinn.» Davon sollten wir endlich wegkommen. Ich erzähle die Geschichte eines Physikers, der seiner Tochter erklären will, wie man eine Stecknadel auf der Wasseroberfläche schwimmen lassen kann. Seine Idee ist, dass man ein Stück Löschpapier hinlegt und die Nadel obendrauf. Das Papier geht unter und die Oberflächenspannung trägt die Nadel. Für ihn ist das die einzige Möglichkeit, die Aufgabe zu lösen. Seine kleine Tochter sieht das Problem nicht, friert das Wasser ein, legt die Nadel obendrauf, taut dann das Wasser auf und die Nadel schwimmt. Es funktioniert auch so – der Physiker wäre nur nie auf die Idee gekommen. Und aus diesem Grund sollte man Kinder fördern, statt ihnen Türen zuzuschlagen.

Ihr Buch richtet sich an Eltern und alle, die mit Kindern zu tun haben. Was möchten Sie diesen Leuten mit auf den Weg geben?

Viele Eltern fühlen sich überfordert von ständig neuen Erziehungstheorien und haben schliesslich das Gefühl, alles falsch zu machen. Ich glaube das nicht. Ich beobachte so viele Eltern und ihre Kinder, die einen grossartigen Job machen. Was ich ihnen auf den Weg mitgeben möchte: Erziehung ist nur ein Teil – das freudige Miteinander und die Begeisterung für die Welt sind heute wohl wichtiger als je zuvor.

Passend zum neuen Buch: Blödsinn oder nicht? Nehmen Sie Stellung.

Blödsinn gibt’s wirklich nicht.
Bei Kindern ja. Bei Erwachsenen – muss ich ganz ehrlich sagen – sind viele Aussagen wirklich heftigst zu hinterfragen.
Es ist schwieriger, kinder- als erwachsenengerecht zu schreiben.
Blödsinn ist das sicher nicht. Es ist extrem herausfordernd, weil man vom Erwachsenenstandpunkt abrücken und wirklich den Mut haben muss, die Welt durch die Augen der Kinder zu sehen.
Sie satteln jetzt komplett auf Erwachsenenromane um.
Ich? Nein, das ist ein Blödsinn! Ich schreibe weiterhin Kinderbücher.
Insgeheim ist Ihr neues Buch doch ein Erziehungsratgeber.
Wenn man das so nennen möchte …
Heute haben es Kinder schwieriger als früher.
Das halte ich für einen Blödsinn.

Text Stefan Marolf
Bilder Tom Storyteller GmbH

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