Interview von Jessica Petz

Matthias Horx: «Man kann die Gegenwart erst richtig aus der Zukunft erkennen»

Was bringt die Zukunft von Morgen? Wie verändern Globalisierung, Neo-Ökologie und Mobilität unsere Gesellschaft? Zukunftsforscher Matthias Horx klärt auf!

Megatrends wie Globalisierung, Neo-Ökologie oder Mobilität verändern die Welt vor unseren Augen und lassen immer wieder die Frage aufkommen, was uns unsere Zukunft eigentlich bringen wird und wie wir mit diesen Trends umgehen sollen. Zukunftsforscher Matthias Horx spricht im Interview mit «Fokus» über Zukunftsängste und die Frage, wie sich bestimmte Trends im Laufe der Zeit verändern werden.

Matthias Horx, Sie sind Zukunftsforscher und beschäftigen sich viel mit der Zukunft. Haben Sie Angst vor der Gegenwart?
Angst ist ja ein vorübergehender Zustand, den man nicht «halten» kann. Das Herz schlägt, der Puls rast. Dieses Gefühl haben wir von unseren Steinzeitvorfahren. Es bedeutet: Jetzt kämpfen oder fliehen! Vor der Gegenwart Angst zu haben, ist nur dann sinnvoll, wenn man plötzlich auf einer Strasse ein Auto ungebremst auf sich zufahren sieht. Ansonsten wäre das ein neurotischer Zustand. Die Gegenwart ist immer nur das, auf was ich mich beziehe.

Matthias Horx

Bild Klaus Vyhnalek (www.vyhnalek.com)

Wie wird man Zukunftsforscher?

Indem man sich intensiv für die Zukunft interessiert.

Sind Sie aufgrund Ihres grossen Interesses dann Zukunftsforscher geworden?

Ja, genau deswegen. Ich war schon als Kind ein «Zukunftskind» und wollte immer wissen, was sich ändern wird und was die Zukunft mit sich bringt, welche so unberechenbar ist.

Wenn man sich so oft mit der Zukunft beschäftigt, verliert man dann die Gegenwart aus den Augen?

Nein, ganz im Gegenteil. Man kann die Gegenwart erst richtig aus der Zukunft erkennen. Die Gegenwart ist nämlich viel zu gross und vielfältig, um sie überhaupt als Ganzes wahrzunehmen. Wir nehmen das meiste über die Medien wahr, was das Gebilde noch schwieriger macht. Es ist wichtig, die Gegenwart in einen Kontext aus Vergangenheit und Zukunft zu stellen.

Was ist Ihrer Meinung nach ein überschätzter Trend?

Der Trend zum Trend ist ein überschätzter Trend. In diesem Kontext ist «Trend» gemeint als vorübergehende Modeerscheinung, wie sie von Fashionfirmen oder Internetportalen ständig «produziert» wird, meistens um etwas zu verkaufen. Etwa Hosen mit Schlag «kommen wieder» oder «es gibt immer mehr Influencer, die viel Geld verdienen». Die meisten so ausgerufenen Trends sind morgen schon wieder Schnee von gestern. Es sind Hypes, die schnell abflachen.

Wie geht man mit unvorhersehbaren Ereignissen um?

Indem man sich wundert, und staunt, und sich dann versucht, einen Reim darauf zu machen, was in diesem Moment gerade passiert ist. Und dann sollte man sich freuen – wenn nämlich alles genau planbar und vorhersehbar wäre, wäre das Leben tot und leer. Allerdings gibt es auch Risiken, die wir nicht erkennen können, aber damit müssen wir als Menschen leben.

Wenn wir in die Zukunft blicken, haben wir immer öfter ein Worst-Case-Szenario in Bezug auf den Klimawandel vor Augen. Machen Sie sich Sorgen um die Zukunft des Klimas beziehungsweise der Erde?

Wer würde sich in dieser Hinsicht keine Sorgen machen? Die eigentliche Frage ist hierbei doch, was genau mit «Sorgen» gemeint ist. Ist es das Jammern? Oder doch das Klagen? Denkt man sich Verschwörungstheorien aus oder ist Handeln gefragt? Alle können ja etwas tun, um aus dem Gebrauch der Kohlenwasserstoffe und der fossilen Brennstoffe auszusteigen. Allerdings verschwenden noch zu viele Menschen ihre ganze Energie darauf, sich Sorgen zu machen – und dadurch kommt alles so langsam voran, wodurch der eigentliche Zweck weit verfehlt ist.

Gehen uns in Zukunft die Ressourcen aus?

Nein. «Die Ressourcen» sind unendlich. Manches kann vorübergehend knapper oder teurer werden und für manche Menschen nicht so erschwinglich sein wie früher. Je knapper und teurer diese Ressourcen werden, desto mehr lohnt sich Recycling oder andere Formen der Herstellung. Irgendwann kommen Ersatzstoffe ins Spiel, sodass wir früher oder später in einer Kreislaufwirtschaft münden, in der alle Produkte und Dinge entweder kompostiert oder recycelt werden. Das nennt sich «Cradle to Cradle» und ist inzwischen ein Riesentrend geworden, der momentan anhält.

Werden wir in Zukunft (fast) nur fremdgesteuert leben?

Nein.

Wie wird die Menschheit irgendwann aussterben? Durch eigenes Handeln oder Aussenauswirkungen?

Die Menschheit wird gar nicht aussterben. Sicher werden wir uns aber verändern und an unsere Umgebung anpassen. Es wird in 10 000 Jahren mehrere verschiedene «Menschheiten» geben, die alle verschiedene Varianten der ursprünglichen Spezies «Homo Sapiens» sind. Wir sind dann Homo Diversis. Genauer betrachtet sind wir das eigentlich schon heute.

Was wird sich in den nächsten Jahren grundlegend ändern?

Sehr viel, wie zum Beispiel unser Energiesystem. Aber auch die Nahrungsmittelproduktion, die Mobilität und der Journalismus werden in einigen Jahren nicht mehr das sein, was sie heute sind. Jedoch sprechen wir hier nicht von radikalen oder totalen Veränderungen. Es wird alles Schritt für Schritt gehen und so Veränderungen herbeiführen. Interessant wäre ja auch mal zu fragen: Was bleibt? Es bleibt zum Beispiel die Familie, das Schweizer Alphorn und die ewige menschliche Eigenschaft, sich vor der Zukunft zu fürchten. Aber wir werden, wie mit so vielem, damit umgehen können.

Es wird in 10 000 Jahren mehrere verschiedene «Menschheiten» geben, die alle verschiedene Varianten der ursprünglichen Spezies «Homo Sapiens» sind. Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher, www.horx.com

Welcher Trend hat Sie in den letzten Jahren am meisten überrascht?

Das dürfen Sie einen Trend- und Zukunftsforscher, der 30 Jahre seinen Job macht, nicht fragen (lacht). Ich kann nicht jedes Detail voraussagen, aber ich bin relativ überraschungsfrei.

Glücklich oder Unglücklich – Wie werden sich die Menschen in Zukunft fühlen?

Wir sind jetzt und werden auch in Zukunft keine Roboter sein, die man auf eine bestimmte Stimmungslage programmieren kann. So wie es schon immer war, wird es eine Spannung zwischen beidem geben – dieses Zusammenspiel nennt sich Leben.

Was sagen Sie Menschen, die Angst vor der Zukunft haben?

In moderner Übersetzung würde ich so etwas sagen wie «Fürchte dich nicht». Oder: Meinen Sie nicht, dass man die Dinge nicht auch von einer anderen Seite sehen kann? Aus der Zukunft heraus? Was könnte das, vor dem Sie jetzt Angst haben, Positives bewirken? Wie könnten wir das Problem lösen? Es fällt einem überraschenderweise fast immer etwas als Antwort ein, wenn man den Geist ein bisschen öffnet und sich auf dieses Gedankenspiel einlässt. Es geht ja darum, der Angststarre zu entkommen, die in diesem Moment andauert. Dazu hilft auch Humor.

Freuen Sie sich auf Ihre Zukunft? Oder überwiegt die Enttäuschung, weil es doch immer anders kommt, als erwartet?

Nicht immer, aber doch recht oft, ist es sinnvoll, sich «ent-täuschen» zu lassen. Der Bindestrich ist wichtig, denn er heisst, dass man sich von Illusionen verabschiedet. Das erzeugt auch Freiräume. Illusionen hingegen sind täuschend, manchmal auch einengend. Die meisten Menschen tappen ja bekanntlicherweise immer in dieselben Illusionsfallen, weil sie allzu sehr etwas ganz Bestimmtes wollen. Der oder die Partner:in soll bestimmten Vorstellungen entsprechen, der Beruf soll die Karriere garantieren, man will reich und erfolgreich werden, eine gesunde Work-Life-Balance und so viel mehr: Man erwartet etwas Perfektes und Vollkommenes. Mit diesem Mindset erleidet man aber leicht Schiffbruch, weil man sich gar nicht auf die Welt mit ihren Falten und Fehlern einlässt. Zukunftsregel Nummer Zwei: Es ist besser, nicht zu viel zu erwarten und stattdessen offen und neugierig zu bleiben. Zukunftsregel Nummer Eins kommt von Albert Einstein: «Strive not to be a success, but rather to be of value.» Frei übersetzt heisst es so viel wie: Strebe nicht nach Erfolg, sondern nach Sinn. Die Zukunft kann uns, wenn wir sie sanft und richtig betrachten, Sinn geben, etwas anzustreben. Aber nicht, etwas zu verlangen.

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Zur Person

Matthias Horx ist Gründer des Zukunftsinstituts und gilt als einer der einflussreichsten Trend- und Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum. Zudem ist er Herausgeber des jährlich erscheinenden Zukunftsreports. Darin analysiert Horx mit ausgewählten Expertinnen und Zukunftsforschern die prägendsten Entwicklungen unserer Zeit.

Neue Perspektiven kann man im aktuellen Zukunftsreport 2023 entdecken.

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18.03.2023
von Jessica Petz
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