Die Knotenpunkte der Zukunft liegen in den Vorstädten. Wer neue Infrastrukturen und die Verkehrswende will, muss wissen, wie man Menschen wirklich von Tür zu Tür bringt, inklusive der letzten Meile.
Zentrale innerstädtische Knotenpunkte, an denen binnen weniger Minuten hunderte oder tausende von Menschen umsteigen und sich wie Ameisen in zwei oder drei verschiedene Richtungen bewegen – das waren einmal die Merkmale oder Herausforderungen der modernen, urbanen Mobilität. Möglichst viele Menschen, ob Einheimische oder Touristen, in ein riesiges Beförderungssystem zu zwingen, galt als Erfolg.
Die Zeiten haben sich geändert, denn die Verkehrswende kann ohne diejenigen, die nie eine Straßen- oder U-Bahn benutzt haben, zunehmend älter werden oder als Vorstadtbewohner emissionsfrei pendeln müssen, nicht funktionieren. Soll heißen: Es kommt auf den Einstieg, der im Pendlersinn dann auch wieder den Ausstieg meint, an. Wie also kann es gelingen, Menschen praktisch vor ihrer Wohnungs- oder Haustüre abzuholen und ins Mobilitätssystem einzuschleusen?
Start und Ziel werden wichtiger
Start und Ziel sind damit die eigentlichen Problemfelder der Verkehrsplanung. Die sogenannte »letzte Meile«, mit der Menschen wirklich ihr Ziel erreichen, ist gleichzeitig die erste Meile. Das bedeutet: Der individuelle, kleinteilige Verkehrsweg zu Haltestellen, wo die Mobilität dann zunehmend massentauglicher mit Bussen und Bahnen erfolgt, wird zur »sozialen Mobilität« – in Anlehnung an die sozialen Medien, wo sich jeder seine eigenen Inhalte selbst zusammenstellt.
Kleinteiligere Mobilitätskonzepte brauchen einen breiten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Konsens.
Wo heute bei der Routenplanung noch der Fußweg mit einer zweistelligen Minutenangabe steht, müssen Konzepte her, die per E-Roller oder kleiner selbstfahrender Busse ein umfassendes Mobilitätskonzept ermöglichen, auch für ältere Mitfahrende oder solche mit Handicap. Klar ist auch, dass kleinteiligere Mobilitätskonzepte einen breiten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Konsens brauchen. Die Chefetagen des öffentlichen Nahverkehrs müssen sicherlich noch ihr Bewusstsein umstellen, um mithilfe lokaler Anbieter Alternativen zuzulassen und ihre starren Fahrpläne mit E-Taxi-Diensten, E-Rollern und Nachbarschaftsbussen zu koppeln.
Fahrtreppen und Schrägaufzüge
Auch »Aufzüge, Fahrtreppen und Fahrsteige können eine Schlüsselrolle« spielen, ist sich die Website Urban-Hub.com der Düsseldorfer TK Elevator GmbH sicher – und führt als Beispiel ihre »vertikale Personenbeförderung« an, »in Form von Schrägaufzügen, die vom Funktionsprinzip mit Seilbahnen vergleichbar sind«. In den Hügellandschaften Spaniens wurden bereits etliche dieser modernen Bewegungsmittel installiert. In Zurbaranbarri, Bilbao, fährt seit 2010 ein Schrägaufzug, der in Form eines riesigen B-Buchstabens konzipiert wurde, von dem höhergelegenen Viertel zur 64 Meter tiefer gelegenen U-Bahn-Station. Die mittlerweile zum Wahrzeichen gewordene B-Bahn hilft vor allem älteren Menschen, die so in ihrer gewohnten Umgebung wohnen bleiben und weiter aktiv am gesellschaftlichen Leben und Einkaufen teilnehmen können.
»Im Ausland zeigt sich bereits, dass die Vielfalt noch deutlich zunehmen könnte«, schrieb Christine Haas Ende 2018 in der Welt über die neue Mikromobilität. Auch Anrufsammeltaxis und per App georderte Kleinbusse seien Lösungen, »flexibler als der auf Routen und Zeiten festgelegte ÖPNV«. Mikromobilität beschränke sich aber nicht nur auf die Bewältigung der »letzten Meile«, meint andererseits der Münchner Smart-Parking-Anbieter ParkHere. »Sie umfasst vielmehr jeglichen Kurzstreckentransfer, bei dem Kleinstfahrzeuge ohne Verbrennungsmotor zum Einsatz kommen.« Neben spontan oder im Voraus buchbaren E-Rollern und E-Scootern verweist das Unternehmen auch auf seine Parking-App, die die letzte Meile und den Gebrauch eines privaten, zusammenfaltbaren E-Rollers individuell mittels eines geeigneten PKW-Parkplatzes, am besten mit Ladestation, ermittelt. Zweifellos fehle aber »eine App, die tatsächlich flächendeckend alle verfügbaren Makro- und Mikromobilitäts-Verkehrsmittel zusammenfasst«.
Paket-, Personentransport und Psychologie
Das dringend erforderliche Zusammenspiel unterschiedlicher Mobilitätsformen meint vielleicht auch, endlich Schnittpunkte zwischen Personen- und Lastenbeförderung herzustellen. So prüft das Verbundprojekt LogIKTram der Hochschule Offenburg derzeit, inwieweit Straßenbahnen auch Pakete ausliefern könnten, während Amazon in seinem Tübinger Forschungslabor an Robotern schraubt, die Kühlschränke langsam über Bürgersteige zur Zustelladresse transportieren. Wenn nun die Zustellungen immer individueller und kleinteiliger werden – und damit automatisch auch immer mehr den Personenverkehr kreuzen -, stellt sich die Frage, ob Logistikfahrzeuge nicht auch Einzelpersonen für kurze, übersichtliche Strecken von A nach B transportieren oder mitnehmen können.
Es geht vielleicht gar nicht darum, überall unbedingt von Tür zu Tür nur mit fahrbarem Untersatz unterwegs zu sein. Es geht vielmehr darum, sich dauerhaft sicher zu fühlen, dass Verkehrskonzepte für alle funktionieren – und einen sicher und verlässlich an jedes erdenkliche Ziel bringen. Die großen, klassischen Beförderungsangebote von Bahn und Bus spielen dabei nur eine Rolle. Ohne eine breite, als verlässlich eingestufte Mikromobilität, die Nachbarn verbindet oder Reisende und Pendler zu individuellen Zeiten wirklich ins statt nur ans Ziel bringt, wird es keine Verkehrswende geben.
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