hydroelektrischer bau in den schweizer alpen, schweiz. symbolbild energiewende
iStock/Bertrand Godfroid
Energie

Technologie allein reicht nicht

27.06.2025
von SMA

Die Schweiz verfügt über technologische Mittel und Investitionskraft, um die Energiewende schnell zu realisieren. Was fehlt, sind stimmige Rahmenbedingungen, die ökologische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Faktoren gleichermassen berücksichtigen. Interdisziplinäre Ansätze zeigen, wie sich erneuerbare Energieformen intelligent und naturverträglich integrieren lassen.

Technologische Lösungen für den Wandel im Energiesystem sind vorhanden – ebenso die finanziellen Mittel. Die Transformation hin zu erneuerbaren Energien bringt neben der Vermeidung von Klimaschäden zudem auch bedeutende wirtschaftliche, gesellschaftliche und geopolitische Vorteile: Sie reduziert die Abhängigkeit von fossilen Importen, fördert Innovation im Inland und verbessert Luftqualität sowie Lärmsituation – was sich positiv auf Gesundheit und Lebensqualität auswirkt.

Trotzdem schreitet der Wandel in der Schweiz zu zögerlich voran, um die vereinbarten Klimaziele zu erreichen. Warum? Technologie entfaltet ihr Potenzial nur unter passenden politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Eine systemische Sichtweise, die die Energiezukunft im Zusammenhang mit Klimawandel und Biodiversitätskrise denkt, ist deshalb unerlässlich.

Lehren aus der Wasserkraft

Im internationalen Vergleich nimmt die Schweiz heute mit rund 60 Prozent Stromproduktion aus Wasserkraft eine führende Rolle ein. Der Ausbau dieser erneuerbaren Energie begann früh – aber nicht ohne Widerstände. Staumauern veränderten ganze Landschaften, fluteten Täler und lösten auch damals gesellschaftliche Diskussionen aus. Heute gilt die Wasserkraft in der Schweiz jedoch als weitgehend akzeptiert und prägt sogar ein Stück nationaler Identität. Das Bild der Staumauer steht für viele sinnbildlich für Ingenieurskunst und technologische Pionierleistung.

Die Geschichte zeigt: Ambitionierte Veränderungen im Schweizer Energiesystem sind möglich. Ebenfalls führt sie vor Augen, dass sich Gesellschaften an neue Infrastrukturen gewöhnen. Die gesammelten Erfahrungen verdeutlichen aber auch das enge Zusammenspiel von Energie, Biodiversität und Klima. Das wird greifbar bei der schwierigen Frage nach der richtigen Restwassermenge – jenem Minimalabfluss, der im natürlichen Fliessgewässer verbleiben muss, um Lebensräume und darin lebende Arten zu erhalten.

Die gesetzlich vorgeschriebene Restwassermenge in der Schweiz liegt unter dem ökologisch empfohlenen Niveau. Heute stehen rund zwei Drittel der Fischarten in der Schweiz auf der Roten Liste der bedrohten Arten; 14 Prozent gelten bereits als ausgestorben. Die Situation verschärft sich im Zuge des Klimawandels, da der Nutzungsdruck auf die Ressource Wasser zunimmt. Tobias Wechsler, Hydrologe an der WSL, forscht in Speed2zero genau zu diesen Fragestellungen und sieht machbare Lösungsansätze: «Bereits kleine Anpassungen bei der Restwassermenge können die Biodiversität deutlich stärken – ohne die Energieproduktion wesentlich zu beeinträchtigen. Transparente Datengrundlagen können helfen, ökologische und energiewirtschaftliche Ziele besser zu vereinen.»

Kompromisse beim Planen von neuer Energieinfrastruktur

Der weitere Ausbau der Wasserkraft ist in der Schweiz beschränkt. Da der Klimawandel zudem die Verfügbarkeit von Wasser beeinflusst, wird aktuell auch in Solar- und ergänzend in Windenergie investiert und unter Zeitdruck nach passenden Standorten gesucht. Jede neue Infrastruktur bringt zwangsläufig Zielkonflikte mit sich, insbesondere in der dicht besiedelten Schweiz. Während eine nachhaltige Energieproduktion langfristig zur Stabilisierung des Klimas beiträgt und damit indirekt den Druck auf die Biodiversität mindert, kann der Bau neuer Anlagen empfindliche Ökosysteme zusätzlich belasten. Aus übergeordneter Sicht ist jedoch wichtig zu betonen, dass in der Schweiz bisher nicht die Energieinfrastruktur, sondern Urbanisierung und intensive Landwirtschaft die Haupttreiber des Biodiversitätsverlusts sind.

Die gute Nachricht: Es gibt Hilfsmittel zur Lösung von diesen energiebezogenen Interessenskonflikten. Der Swiss SolarWind Explorer identifiziert Gebiete mit hoher Eignung für Solaranlagen und Windkraftwerke sowie gleichzeitig niedrigem Konfliktpotenzial mit dem Biodiversitäts- und Landschaftsschutz. Das öffentlich zugängliche Webtool basiert auf einem umfassenden Kriterienkatalog, der auf Initiative der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz in einem partizipativen Prozess mit Kantonen, Bundesämtern, Wissenschaft, Umweltorganisationen, Energiebranche und Raumplanungsexpert:innen entstanden ist. Das interaktive Instrument übersetzt diese breit abgestützten Kriterien in Geodaten und visualisiert die so ermittelte Eignung in einer Karte.

Petra Sieber, Projektverantwortliche seitens Speed2zero, sieht im Swiss SolarWind Explorer ein zentrales Instrument zur Unterstützung der Energiewende: «Das Tool macht komplexe Zielkonflikte greifbar – für eine sachliche Diskussion und fundierte Entscheidungen. So tragen wir zu einem Ausbau der erneuerbaren Energien bei, die nicht nur naturverträglich und akzeptiert, sondern auch rasch umsetzbar ist.»

Die Rolle der interdisziplinären Forschung

Die Herausforderungen des Restwassers und der Standortsuche für Solar- und Windanlagen zeigen exemplarisch, dass Technologie und Innovation immer in einen grösseren gesellschaftlichen Kontext eingebunden sind.

Genau hier kommt der Wissenschaft eine bedeutende Rolle zu. Sie generiert nicht nur belastbare Fakten, sondern kann als evidenzbasierte Partnerin interdisziplinäre Zusammenhänge in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft tragen.

Wie der Klimaforscher Reto Knutti treffend formuliert: «Die letzten Jahrzehnte haben uns schmerzlich gezeigt, dass Fakten allein nicht genügen – Wissenschaft muss komplexe Zusammenhänge verständlich einordnen und darüber hinaus zur richtigen Zeit in den politischen Diskurs einbringen. Dafür braucht es einerseits angewandte, interdisziplinäre und auf Nutzende zugeschnittene Forschung und andererseits den Dialog mit Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, damit wir vom Wissen zum Handeln kommen. Viele Lösungen existieren, nun müssen wir gemeinsam an der Umsetzung arbeiten.»

Text ETH Zürich

Weiterführende Informationen:

Speed2zero – eine Initiative des ETH-Rats
www.speed2zero.ethz.ch

Swiss SolarWind Explorer – entwickelt am Lehrstuhl für Planung von Landschaften und Urbanen Systemen (PLUS)
swiss-solarwind-explorer.ethz.ch

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