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«Im Jurastudium erlernt man Kompetenzen, die in verschiedenen Tätigkeiten nützlich sind»

18.02.2022
von Andrea Tarantini

Welche Herausforderungen haben junge Jurastudierende heutzutage zu meistern? Ist es für Absolvent:innen einfach, sich in der Berufswelt zurechtzufinden? Diese und weitere Fragen beantwortet Aurélie Conrad Hari, teilhabende Rechtsanwältin der Kanzlei Bär & Karrer AG sowie Head of Litigation und Rekrutierungsbeauftragte des Genfer Büros, im Interview.

Aurélie Conrad Hari, welche Rolle nehmen Anwält:innen heutzutage ein?

Die Rolle der Rechtsanwält:innen besteht darin, die Interessen der Mandant:innen zu verteidigen. Diese Funktion hat viele Facetten, weshalb sich die Tätigkeiten vielfältig gestalten. In der traditionellen Funktion vertreten die Anwält:innen die Mandant:innen vor Gericht und machen sie geltend. Parallel dazu zeichnet sich die Beratungstätigkeit der Anwält:innen dadurch aus, dass sie zu Berater:innen ihrer Mandat:innen werden. In diesem Zusammenhang müssen die Anwält:innen das Geschäft ihrer Mandant:innen verstehen, deren Bedürfnisse kennen und Unterstützung bei der Führung der Geschäfte leisten und gleichzeitig strategische und innovative Visionen vorschlagen.

Hat sich dies im Laufe der Zeit verändert?

Die traditionelle Funktion der Anwält:innen in Bezug auf die Verteidigung bleibt unverändert. Der Wandel liegt in der Natur des Verfahrens, weswegen der mündliche Teil des Berufs an Bedeutung verloren hat. Dadurch ist die Verfahrensführung eines Falles technischer geworden und der schriftliche Austausch hat gegenüber dem mündlichen an Bedeutung gewonnen. Ausserdem haben sich die Beziehung zu den Mandat:innen und die Anforderungen an den Beruf der Rechtsanwältin oder des Rechtsanwalts bedeutend verändert. Neben dem ständig wachsenden und komplexer werdenden Gesetzeswerk, mussten sich die Anwält:innen auch an die Entwicklung und Globalisierung des Geschäftslebens anpassen. Das heisst für die Mandat:innen: verfügbarer und reaktionsfähiger sein und die Netzwerke auf internationaler Ebene aufbauen.

Was sind die grössten Herausforderungen für den Anwaltsberuf in den kommenden Jahren?

Rechtsanwält:innen müssen sich an die neuen Bedürfnisse der Mandat:innen und an eine Welt anpassen, die sich sehr schnell verändert. Der Beruf beruht auf uralten Grundsätzen wie Unabhängigkeit und dem Berufsgeheimnis. Er hat sich aber stetig weiterentwickelt und das wird auch so bleiben. Es ist daher wichtig, diese Grundsätze zu bewahren und gleichzeitig die Dienstleistungen neu zu erfinden. In nächster Zeit wird es auch darum gehen, neue Arbeitsmethoden wie das Homeoffice ins Gleichgewicht mit dem menschlichen Kontakt zur Kundschaft zu bringen. Das letzte Jahr hat jedoch gezeigt, dass sich unser Beruf, der oft als traditionalistisch und konservativ gilt, schnell angepasst hat – auch an die Justizbehörden.

Welchen Herausforderungen begegnen Jurastudierende?

Eine unmittelbare Herausforderung besteht durch die Pandemie, die es den Studierenden unmöglich macht, an Präsenzkursen teilzunehmen. Das Interesse an jeder universitären Ausbildung ist nämlich nicht nur akademisch und intellektuell, sondern auch mit dem studentischen Leben und seinen sozialen Aspekten verbunden. Diese sogenannten «Soft Skills» sind für die Netzwerkbildung und die sozialen Fähigkeiten notwendig, um später im Beruf mit anderen interagieren zu können. Ansonsten sehen sich die Jurastudierenden einem starken Wettbewerb ausgesetzt. Die Zahl der Studierenden nimmt ständig zu, ebenso wie die Qualität der Profile, die durch die beruflichen und akademischen Erfahrungen wie Wettbewerbe und andere «Moot Courts» bereichert werden. Schliesslich besteht die grösste Herausforderung für Jurastudierenden in ihrer Fähigkeit, das akademische Wissen in einer höchst pragmatischen, juristischen Tätigkeit anzuwenden, die menschliche und Managementfähigkeiten erfordert.

Was raten Sie Studierenden, die Schwierigkeiten haben oder manchmal die Motivation am Studium verlieren?

Ich ermutige sie, durchzuhalten. Diese Ausbildung eröffnet ihnen viele Wege und sie verschwenden daher keine Zeit, auch wenn sie sich später für eine andere Richtung entscheiden oder keinen rein juristischen Beruf anstreben. Die Ausbildung in Rechtswissenschaften vermittelt Fähigkeiten, die in verschiedenen Realitäten nützliche Säulen darstellen. Jura kann zu einem Anwalts- oder Richteramt führen, aber auch zum Journalismus, zur Geschichtswissenschaft, zum Lehrberuf, aber auch zur Gründung eines Start-ups oder zur Unternehmensführung. Heutzutage ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Generalanwalt CEO eines Unternehmens wird. Darüber hinaus geniessen diese Studiengänge aufgrund ihrer strengen und strukturierten Argumentation, die sie erzeugen, eine hohe Glaubwürdigkeit bei Arbeitgebenden.

Ist es für Jurastudierende wichtig, Erfahrungen im Ausland zu sammeln?

Ja, es ist sowohl menschlich als auch beruflich eine Bereicherung, da man eine neue Kultur kennenlernt und auf juristischer Ebene neue Mechanismen in Bezug auf ein anderes Land und andere Gesetze lernt. Dies ermöglicht einem, sein Denken zu konfrontieren, sich in eine andere Denkweise zu versetzen und erweist sich für wichtig, wenn man für eine internationale Klientel oder in einer Grosskanzlei arbeiten möchte.

Ist es für neue Absolvent:innen schwierig, sich im Bereich der Rechtswissenschaften durchzusetzen?

Es gibt viele Möglichkeiten. Die immer umfangreicheren Lebensläufe der Studierenden zeigen im Übrigen, dass sie sich schon frühzeitig auf ihre Karriere vorbereiten, indem sie sich bereits während des Studiums in der Vereins- oder Berufswelt engagieren. Wir ermutigen die Studierenden, die Möglichkeiten zu nutzen, die ihnen im Rahmen akademischer Wettbewerbe oder beruflicher Erfahrungen geboten werden. Unsere Kanzlei bietet, wie andere auch, Studierenden die Möglichkeit, ein Sommerpraktikum zu absolvieren. So können sie während ihrer akademischen Laufbahn das wahre Leben eines Anwalts und einer Kanzlei kennenlernen und ihre Portfolios stärken.

Welche Ratschläge würden Sie Studierenden geben, die eine Karriere als Anwält:innen anstreben?

Setzen Sie sich schon während des Studiums voll ein und seien Sie geduldig und ausdauernd. Dieser Beruf bedeutet ständiges Lernen – aber gerade, weil man nie ausgelernt hat, ist er so spannend. Die Opfer lohnen sich, denn am Ende folgt ein Beruf, der Befriedigung und die Gewissheit bringt, sodass man sich dank einer vielseitigen Tätigkeit nie langweilt.

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