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Business Editorial IT

Die verwandelte Matrix der Welt

17.03.2022
von SMA

Es gehört zum Wesen beschleunigter, moderner Gesellschaften, dass sie unermüdlich einer Propaganda des Wandels frönen. Sich aber gleichzeitig fürchterlich vor jeder Veränderung fürchten. Seit vielen Jahren leben wir in diesem paradoxen Spannungsfeld: Mehr Transformation! Mehr Effizienz! Mehr Tempo! Aber gleichzeitig ahnen wir schon lange: Es wird nicht in die gleiche Richtung weitergehen wie bisher.


Matthias Horx,
Trend- und Zukunftsforscher

Und dann kommt plötzlich ein Virus und bringt alles zum Stillstand. Oder ein Krieg, der alle Kontinuität infrage stellt. 

In diesem Frühling sieht die Welt plötzlich aus wie im dystopischen Cyber-Film Matrix von 1999, wo in den Kampfszenen die Kugeln und Kombattanten (Agent:innen in coolen Anzügen und Sonnenbrillen) in der Luft steckenbleiben. Die Welt steht rasend still. Alles schwebt reglos, unfähig sich im gefrorenen Zeitstrom zu bewegen. 

Dann plötzlich in einem Wimpernschlag fallen die Körper tot oder triumphierend zu Boden und die Welt geht einfach weiter wie gehabt. Das alte Normal kehrt zurück.

Wirklich? Es ist das Wesen historischer Krisen, dass sie die für normal gehaltene Normalität zerstören. Und zwar für immer.

Das vormals Normale erscheint uns plötzlich fremd. Matthias Horx

Pandemien wie Kriege verändern in seltsamen Paradoxien den Gang der Weltgeschichte. Sie dekonstruieren Gewohnheiten, Weltanschauungen., Zukunftserwartungen. Sie beschleunigen und unterbrechen gleichzeitig Trends, die längst im Gange waren. Die Pest im 14. Jahrhundert beendete das Mittelalter, die nahezu totale Herrschaft des Klerus, und führte in die Epoche der Renaissance. In den Cholera-Wellen des 19. Jahrhunderts verwandelten sich die Städte, man baute Hygiene- und Sanitärsysteme, moderne Stadtbilder entstanden, Gesundheit wurde langfristig zu einem «common good». 

Glokalisierung: Die Turbo-Globalisierung der letzten dreissig Jahre hat eine triumphale Wohlstandsdynamik geschaffen, von der vor allem die alten Industrieländer profitierten. Dort sanken die Preise und die Umweltprobleme wurden elegant ans andere Ende der Welt entsorgt. Das erzeugte aber neue Friktionen, Spaltungen, die wir ignoriert haben, aber derer wir jetzt gewahr werden.. Die über den ganzen Erdball gestreckten Just-in-Time-Systeme, werden immer teurer und fragiler.

Der Preis unserer Lebensweise wird höher und höher. Im Nachgang von Krieg und Pandemie werden sich die Wertschöpfungsketten radikal verändern. Ganze Produktionszweige werden aus der Ferne zurückgeholt. Ökonomische Autonomie wird ein neuer Leitwert. Das meint nicht: Ende der Globalisierung. Die Zukunft gehört einer neuen Mischung aus «global» und «lokal». Einer ehrlicheren, robusteren, und auch faireren Kooperation. Einer neuen globalen Verbindlichkeit. 

Das Ende des digitalen Mythos: Hat Corona nicht alles Digitale komplett beschleunigt? Sind in den Schulen nicht endlich die digitalen Lernformate angelaufen? Bei näherer Betrachtung stellt sich all dies eher als Illusion heraus. Es waren weniger die Corona-Apps und Datensysteme, sondern – wenn überhaupt – die «Soziotechniken», die für Resilienz gegen die Seuche sorgten. 

Mit den rumpelnden Panzern, Bomben und Geschosssalven in Osteuropa stirbt auch der digitale Mythos, der uns die letzten 20 Jahre in eine Art utopistische Trance versetzt hat. Zeit, Raum und Materie wurden angeblich unerheblich, alles soll, kann, muss «virtualisiert» werden. Künstliche Intelligenz soll uns erlösen – aber von was, und auf welche Weise?

Quantencomputer werden schneller als Licht rechnen – aber wozu? Alles ist, «connected» – aber vor lauter Hass und Niedertracht, Narzissmus und Gewalt, die aus dem Netz quillt, stirbt die gesellschaftliche Kommunikation. Das Netz hat uns nicht vereint, sondern gespalten, es erzeugt getrennte Manipulations- Welten, Wahrnehmungsblasen von monströsen Ausmassen Eine «digitale Revision» steht bevor, in der wir uns – als Individuen, Unternehmen, als Menschheit – entscheiden müssen, welche Digitalisierung wir im Sinne welcher Zukunft wollen. Und auf welche wir in Zukunft lieber verzichten. 

Big Business Change: Erstaunlicherweise hat die Pandemie die tiefsten Veränderungen dort hinterlassen, wo wir früher nicht wirklich hinsehen wollten: im Ökologischen. Manager:innen, CEOs, Politiker:innen sprechen heute in einem ganz anderen Tonfall von der historischen Herausforderung, die vor uns liegt.

Die Dekarbonisierung wird nicht mehr (ausschliesslich) mit der Stimme des Greenwashings kommentiert. Sondern mit der Erkenntnis, dass wir vor einem radikalen Wandel unseres Rohstoff- und Energiesystems stehen. Erneuerbare Energien sind neuerdings Freiheits-Instrumente. Angesichts von Putins ultrafossiler Attacke – Öl, Stahl und Gewalt – könnte man fast sagen: Friedenswaffen.

Zu den höchstnotierten Firmen der Welt gehören heute Tesla, Impossible Foods und Biontech. Die neuen Superstars sind Unternehmen, die nicht nur um jeden Preis wachsen, sondern die grossen Zivilisations-Probleme lösen wollen. Zum ersten Mal sinken an der Wallstreet die Kurse der Silicon-Tech-Monopolisten. Billionen fliessen in den Dekarbonisierungs-Sektor.

Die grossen Finanzfonds sortieren ihre Assets neu – in Richtung der Kriterien nachhaltiger Transformation. Die ökologische Frage ist plötzlich zur Sicherheits- und Existenzfrage geworden. Selbst wenn jetzt vorübergehend wieder Kohle verbrannt und Atomstrom gezapft wird:  Ein neokapitalistischer Konsens in Richtung einer «blauen» Transformation ist dabei, zu entstehen. 

Grosse Krisen zwingen uns, die Realität mit neuen Augen – und Fragen – zu sehen. Was ist Demokratie im 21. Jahrhundert? Was bedeutet Freiheit im Kontext von Verbindlichkeit? Wie können wir die globalen Institutionen von UNO bis WHO bis UNHCR stärken? Durch Zeitenwenden kommt die Zukunft sozusagen mächtig auf uns zu.

Eine neue Wahrheit, eine echte Wirklichkeit entsteht. Voll atemloser Verzweifelung, aber nicht ohne Hoffnung könnte man sagen: Danke Corona! Danke Putin!

Text Matthias Horx, Trend- und Zukunftsforscher

Eine Antwort zu “Die verwandelte Matrix der Welt”

  1. Wanda Tabeau sagt:

    Sehr interessant, ich hoffe das wir in diese Richtung gehen werden

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