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Mario Facchinetti: Der Nutzen von Innovationen wird noch zu wenig vermittelt und erkannt

14.01.2021
von Kevin Meier

Im Vergleich zum digitalen Wandel in anderen Branchen wie FinTech oder LegalTech ist PropTech noch weniger bekannt. «Fokus» hat mit dem PropTech-Pionier Mario Facchinetti über Innovation und Digitalisierung in der Immobilienbranche gesprochen.

Mario Facchinetti

Mario Facchinetti

Herr Mario Facchinetti, wie viel Potenzial steckt in der Schweiz für PropTech?

Diese Entwicklung hat in Europa vor vier Jahren begonnen. Während diesem Zeitraum sind in der Schweiz über 250 Firmen in diesem Bereich entstanden, weltweit etwa 7 000. Das zeigt, was für eine geballte Ladung Innovation auf diese Branche zukommt. Allerdings musste man feststellen, dass der Wandel doch nicht so schnell vonstatten geht, wie von Start-up-Investoren anfangs erhofft. Das Potenzial auf Seiten der PropTechs ist aber durchaus vorhanden. Die Schwierigkeiten bestehen in der Adaption in den Markt, die Innovation erst ermöglicht. Da sind wir noch schwach auf der Brust. Um diese Adaption zu erleichtern, müssten dem Thema Innovation von etablierter Seite mehr Ressourcen zugesprochen werden. Leider absorbiert das Tagesgeschäft jedoch so stark, dass dieses Thema zu schnell zurückgestellt wird. Die Gründer haben oftmals einen technologischen Hintergrund und ihre Stärken liegen nicht im Marketing und Vertrieb. Dies führt dazu, dass nur spärlich kommuniziert und verkauft wird. Ich sehe vor allem bei ökologischen Nachhaltigkeitsthemen noch einiges an Kommunikationspotenzial, welches derzeit nicht ausgeschöpft wird.

Wie ist der Ist-Zustand von PropTech in der Schweiz?
In welcher Phase befindet sich die Szene?

Es ist eine junge Szene. Die ältesten Firmen sind vielleicht fünf, sechs Jahre im Geschäft. Nichtsdestotrotz würde ich sagen, dass die Gründungswelle seit eineinhalb, zwei Jahren etwas abflacht und nur noch wenige neue Geschäftsmodelle auf den Markt kommen. Interessanterweise werden immer noch viele PropTech-Unternehmen gegründet, aber der Wow-Effekt flacht ab. Es sind jetzt vor allem Nachfolger, die aus der ersten Welle Start-ups gelernt haben und eigene Spezifikationen auf den Markt bringen. In der Schweiz sind wir also in der Wachstums- und Konsolidierungsphase angekommen. Wie sich die Coronakrise konkret auf die Branche auswirken wird, weiss man noch nicht. Jedenfalls ist es weder vor noch während der Krise zu einer grossen Konkurswelle gekommen. Das könnte auch an der Schweizer Mentalität liegen: Man beisst lieber durch, anstatt sich einzugestehen, dass etwas nicht funktioniert.

Ausserdem kann man seit etwa zwei Jahren auch eine Professionalisierung feststellen, vor allem in Bezug auf Investoren und Start-up-Gründer. Die grossen Unternehmen haben in der Zwischenzeit auch Innovationsverantwortliche eingestellt. Wie intensiv sich diese mit Innovationsthemen auseinandersetzen, ist aber eine andere Frage. Grundsätzlich ist es wichtig zu erkennen, dass es neue Kompetenzen braucht, um sich zielführend mit neuen Technologien und Geschäftsmodellen auseinandersetzen zu können. Immobilienfachleute bringen diese nur beschränkt mit. Man sollte sich entsprechend nicht zu schade sein, sich in diesem Bereich weiterzubilden oder externe Hilfe beizuziehen.

Wo bestehen denn noch Hindernisse für Innovation und Digitalisierung?

Die Schwierigkeiten liegen nicht an den erkannten Problemen oder der Qualität neuer Produkte und Dienstleistungen, welche diese Probleme an der Wurzel beseitigen. Das allgemeine Bewusstsein, dass Innovationen wichtig sind, ist vorhanden. Dennoch fehlt es an Verständnis und Akzeptanz wie man erfolgreich mit solchen, oftmals jungen Firmen zusammenarbeitet. Meiner Einschätzung nach sind wir in einer sehr heiklen Phase. Sollte es nicht gelingen, Kollaborationsprojekte voranzutreiben, laufen wir Gefahr, dass viele Technologieunternehmen die nächsten zwei Jahre nicht überstehen. Somit würden wir die aufgebaute Innovationstätigkeit der letzten vier Jahre abdrosseln und das Feld ausländischen Firmen überlassen. Dann hätten wir auch die Revolution der Immobilienwirtschaft verpasst und uns in Abhängigkeit von globalen Technologiefirmen begeben. Im Bereich der Gebäudevisualisierung sind wir bereits auf bestem Weg dahin.

Das allgemeine Bewusstsein, dass Innovationen wichtig sind, ist vorhanden. Mario Facchinetti

Muss man für PropTech in- und ausserhalb der Branche noch sensibilisieren?

Ganz klar, ja. FinTech ist zum Beispiel um einiges bekannter. Es wird aber immer mehr über PropTech gesprochen und die Publikationen und Events zum Thema nehmen zu. Dementsprechend dringt es auch immer öfter zur Gesellschaft als Ganzes durch. Zu berücksichtigen ist natürlich, dass PropTech vor allem ein B2B-Markt ist. B2C-Start-ups sind immer populärer unterwegs als reine B2B-Lösungen.

Welche Innovationen sollte man derzeit im Auge behalten?

Man sollte die Innovationen beachten, die erlauben, die Menschen wieder dort einzusetzen, wo sie mit Menschen in Kontakt kommen. Entsprechend sind Lösungen interessant, die den Mitarbeitenden die dafür nötige Zeit verschaffen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Nachhaltigkeit. Technologische Innovationen können helfen, ESG-Vorgaben schneller zu erreichen.

Was raten Sie der Branche und Immobilienbesitzenden in Bezug auf PropTech?

Man muss wach bleiben und die Entwicklungen nicht nur noch beobachten, sondern sofort anfangen, Erfahrung im Umgang mit dem Thema zu sammeln. Man sollte die Komplexität von Innovationen nicht unterschätzen. In einem Unternehmen sind Ressourcen wie Zeit und Budget zur Verfügung zu stellen, um sich eingehender mit Innovationsthemen zu befassen. Es sollte die Frage gestellt werden, wo man effizienter werden und zugleich eine ökologische und gesellschaftliche Wirkung erzielen kann. Dies nicht mit dem Ziel, Arbeitsplätze abzubauen, sondern Menschen dort einzusetzen, wofür sie gemacht sind – dem Kontakt mit anderen Menschen! Man sollte sich immer im Klaren sein, dass der digitale Wandel exponentiell vonstatten geht und deshalb Zuwarten keine gute Idee ist. Denn in Zukunft kann es schwierig sein, Verpasstes aufzuholen.

Interview Kevin Meier

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