Aufgrund des Klimawandels und der Ressourcenknappheit gerät die Bauindustrie immer mehr in den Fokus. Die Schweiz baut aber noch mehrheitlich konventionell. Allerdings sind die Instrumente und Konzepte für nachhaltiges Bauen vorhanden, sodass die Bauindustrie ihre Verantwortung wahrnehmen kann.
Laut dem Bundesamt für Umwelt BAFU sind in der Schweiz 3200 Millionen Tonnen Baumaterial verbaut und jedes Jahr kommen etwa 63 Millionen Tonnen dazu. Hinzu kommt, dass 84 Prozent der gesamten Schweizer Abfallmenge aus der Bauindustrie stammen, wie Swiss Prime Site 2020 schrieb. Die Umweltbelastung im Baubereich ist also hoch.
Das BAFU berechnet einen Wert von 57 Billionen Umweltbelastungspunkten für diesen Bereich alleine. Zum Vergleich: Carbotech geht davon aus, dass 1000 Umweltbelastungspunkte in etwa 24 Kilometern Zugfahrt in einem SBB-Regionalzug entsprechen. Der Baubereich ist nach dieser Rechnung äquivalent zu etwa 1,3 Billionen Zugkilometern. Marianne Stähler, Geschäftsführerin des Vereins eco-bau, ist sich jedoch sicher: «Das Baugewerbe ist sich der Thematik bewusst.»
Die Umweltbelastung im Baubereich ist also hoch.
CO2 im Vordergrund
Materialeinsatz und Abfallmengen sind nur zwei von mehreren Indikatoren, aufgrund derer man die Umweltbelastung berechnen kann. Einer der wichtigsten ist aber der CO2-Ausstoss. Zum einen wird CO2 bei der Herstellung von Baumaterialien emittiert: Beispielsweise bei der Zementherstellung gehen Schätzungen von etwa acht Prozent der globalen CO2-Emissionen aus. Die Zahl mag zwar klein wirken, das Ausmass wird aber bewusst, wenn man weiss, dass Deutschland 2,2 Prozent der globalen CO2-Emissionen ausstösst. Vor allem in Relation zur CO2-Thematik sei sich das Baugewerbe der Dringlichkeit eines Umdenkens bewusst. Stähler betont, dass eine radikale Senkung des CO2-Ausstosses sehr dringend sei. Die Herausforderung liege nicht unbedingt an Wissenslücken oder aktivem Widerstand, sondern darin, wie man das Dringlichkeitsbewusstsein in Handlungen ummünzt.
Nicht nur umdenken, sondern handeln
Derzeit wird in der Schweiz noch mehrheitlich konventionell gebaut. Zwischen Denken und Handeln besteht also noch eine Lücke. «Das Umdenken muss in einer ‹Umhandlung› münden», sagt auch Stähler. Hinsichtlich einer Veränderung der Handlungsweisen stecke man noch in den Anfängen. Dennoch sieht Stähler wachsendes Interesse im Zuge der Klimadebatte und der CO2-Gesetze – vor allem wenn es um Indikatoren wie CO2 und graue Energie geht. Ein Teil des Problems bei der Einführung von mehr Nachhaltigkeit im Baugewerbe sind unterschiedliche Auffassungen über deren Dringlichkeit. Die einen sehen es als eine Transformation des Baugewerbes, während andere einen radikalen Bruch mit konventionellen Denkweisen fordern. Dennoch sollte man eines nicht aus den Augen verlieren: «Wir müssen irgendwo anfangen und nicht auf die perfekte Lösung warten. Es geht um die Wirkung», hebt Stähler hervor.
Wir müssen irgendwo anfangen und nicht auf die perfekte Lösung warten. Es geht um die Wirkung. Marianne Stähler
Recycling ist nur ein Teil des Ganzen
Innerhalb des Themas einer nachhaltigen Bauwirtschaft nimmt Recycling und Wiederverwertung auch einen gewissen Raum ein. Häufig denkt man dabei primär an das Ende des Lebenszyklus eines Produktes. Eigentlich müsste man hier aber beim Design des Produktes ansetzen. In dieser Phase sollte man schon daran denken, wie man die Lebensdauer eines Materials verlängern und wie man es wiederverwenden oder recyceln kann. Der Kreislauf lässt sich nur schliessen, wenn man bereits am Anfang an das Ende denkt und das Produkt dementsprechend plant. Stähler weist aber darauf hin, dass intelligentes Design unbedingt den «eingebauten Zustand» mitdenken muss. Eine Verklebung sei zwar einfacher, aber das Produkt kann nur noch schwierig oder gar nicht mehr herausgeholt werden. «Deswegen erlaubt der Minergie-Eco-Standard auch keinen Bauschaum, nicht nur aus gesundheitlichen Gründen, sondern auch, weil alles verklebt wird», erklärt Stähler.
Innovation und das Bauwesen
Es braucht ein Umdenken in der Bauindustrie, weg von der arbeitsteiligen «Gewerke-Sicht» hin zur kundenzentrierten Denkweise. So wie es in den anderen Branchen schon länger der Fall ist. Das gehört mit zur Transformation, die auch die vielen Normen und Vorgaben erfüllen muss. Laut Stähler ist das auch ein Problem der Bauindustrie: «Es gibt wenig Raum für Innovation, denn es ist Aufwand und braucht Durchsetzungswille, der erste zu sein, der ein neues Material ‹ausprobiert›.» Nichtsdestotrotz hat sich die Baubranche in den letzten Jahrzehnten revolutioniert, insbesondere durch den Holzbau. Den Schwierigkeiten zum Trotz hat sich dieser etabliert. «Es war ein langer Weg, aber man hat gemerkt, dass man anders denken und kombinieren kann», erläutert Stähler. Zudem werde auch an einem grüneren Beton mit neuartigen Zementen und Zuschlagsstoffen sowie alternative Rohstoffe für die Herstellung geforscht. Wenn hier Revolutionen im gleichen Ausmass auf uns zukommen, dann habe die Baubranche laut Stähler einen sehr grossen Schritt Richtung Senkung des CO2-Ausstosses und Umweltbelastung geschafft.
Bestehende Bauten nicht vergessen
Beim Thema ökologische Nachhaltigkeit in der Bauindustrie werden häufig Neubauten in den Mittelpunkt gerückt. Allerdings sollte man mehr über bestehende Bauten sprechen. Denn laut BAFU hat der Betrieb der Bauten eine höhere Auswirkung auf die Umwelt als deren Bau an sich. Energetische Sanierungen haben deshalb ein hohes Potenzial die Nachhaltigkeit zu verbessern, wie die Wüest Partner AG im Auftrag des BAFU in einer Marktstudie im Juni 2020 herausgefunden hat. «So wenig wie möglich rückbauen, so viel wie möglich sanieren», stimmt Stähler zu. Die Herausforderung bestehe darin, das Gebäude und die verbauten Materialien genau zu kennen. Nur dann kann man auf die gewünschte Wirkung hinarbeiten. «Es gibt Instrumente und Nachschlagwerke, die als Entscheidungsgrundlagen helfen, dahingehen eine Wirkung zu erzielen», versichert Stähler.
Ein Interview zu nachhaltiger Entwicklung lesen Sie hier.
Text Kevin Meier
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