nahaufnahme - hand eines mannes,  auto auf  straße fährt. stadtverkehr
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Deutschland Innovation Mobilität

Die Rückkehr des »Homo Blech«

31.10.2022
von Rüdiger Schmidt-Sodingen

Der Stadtverkehr wird neu geordnet. Neue Fußgängerzonen entstehen, gleichzeitig kippen Laden- und Bürokonzepte. Wer soll nun wohin – und was wird eigentlich aus dem Fahren mit dem Auto?

Im Jahr 1986 steht der Kölner Kabarettist Heinrich Pachl mit Kamera und Mikro vor einer Fußgängerbrücke an der Kölner Boltensternstraße, Ecke Riehler Straße. Er fragt Passanten: »Wissen Sie, warum ich hier erst hoch, dann da oben drüber und auf der anderen Seite wieder runter muss, obwohl ich eigentlich nur über die Straße will?« Die Passanten lachen, zucken die Schulter, sagen: »Das ist so.« Dann meint jemand: »Weil da eben die Autos fahren.« 

Für seinen 43-minütigen Dokumentarfilm »Homo Blech« zieht Pachl dann später konsequenterweise mit dem Auto weiter. Er erreicht die Innenstadt, wo der Verkehr praktisch zum Erliegen kommt. Als er längere Zeit einen Parkplatz sucht, steigt er aus und bespricht die Situation abermals mit anderen Verkehrsteilnehmer:innen. Wo soll das Auto jetzt hin? Wieso geht es nicht weiter? Wer hat das alles geplant? Wieso kommen erst die Autos und dann die Menschen?

»Stadt formt Mobilität formt Stadt«

In ihrer Studie »Neue Mobilität für die Stadt« fragte die Stiftung Mercator knapp drei Jahrzehnte später: »Wie kann zukünftige urbane Mobilität aussehen, die auf die Besonderheiten der Stadtstruktur eingeht und zugleich die unterschiedlichen Lebensstile der Bewohner berücksichtigt?« Eine erste Erkenntnis der Autoren Prof. J. Alexander Schmidt, Hendrik Jansen, Hanna Wehmeyer und Jan Garde vom Institut für Stadtplanung und Städtebau der Universität Duisburg-Essen lautete: »Verkehr und Mobilität stoßen im urbanen Bereich an ihre Grenzen. Straßen und Plätze haben viele ihrer ursprünglichen Funktionen verloren, dienen nur noch der Verkehrsabwicklung und beschneiden dramatisch die Stadtqualität.«

»Stadt formt Mobilität formt Stadt« formulierte die Studie in einer ersten Zwischenbilanz, die heute, angesichts der unmittelbaren Corona-Folgen, einer massiven »leichten Mobilität« mit Fahrrädern und Rollern und neuen grünen »Urban Gardening«-Konzepten, aktueller denn je scheint. Corona hat ganze Ladengassen und Fußgängerzonen leergeräumt, die anhaltende Energiekrise zwingt noch einmal alteingesessene Geschäfte in die Knie, Modeketten versuchen sich an zeitlich begrenzten Pop-up-Stores. 

Die Folge: Es stehen wieder vermehrt Flächen zur Verfügung, die sich auch bei einer wirtschaftlichen Erholung nur bedingt mit neuen Shops füllen werden. Die Städte wollen auch längst etwas anderes: Sie wollen die Menschen zurück in die Stadt holen – in zwei Schritten. Zunächst einmal soll der Verkehr umweltverträglicher und leichter gestaltet werden. Dazu zählen effizient genutzte Parkplätze, digital verwaltbare Carsharing-Systeme, E-Roller und Mietfahrräder für die »letzte Meile«. Der Individualverkehr für überschaubare, innerstädtische Wege abseits des öffentlichen Nahverkehrs wird das »Durch-die Stadt-gleiten« zu einem neuen positiven Stadterlebnis erheben.  

Mobilität begünstigt Freiflächen 

Der zweite Schritt der Städte besteht in neuen Wohnungen, die die Menschen mittel- und langfristig aus den Speckgürteln zurück in die City holen sollen. Vorbild sind hier ironischerweise genau die kleinen Vororte, die schon seit Jahren und Jahrzehnten aus leerstehenden Friseursalons oder Metzgereien Erdgeschosswohnungen hervorzaubern.     

Gleichzeitig reduzieren neue Mobilitätsangebote in der Stadt und außerhalb den Flächenfraß. Laut dem Deutschen Institut für Urbanistik, Difu, das im Auftrag des Bayerischen Bau- und Verkehrsministeriums die Mobilität in Wohnquartieren untersuchte, können »Mietertickets« und Mobilitätskonzepte eindeutig dabei helfen, »den Bau von Stellplätzen beim Neubau von Wohnungen zu reduzieren und somit wertvolle städtische Flächen zu sparen«. Neue attraktive Freiflächen könnten entstehen, die das Stadtfeeling, das nun aus Verweilen und Treffen statt Warten und Zusammenstoßen besteht, in die Vororte und Wohnquartiere ausdehnen.

Welche Rolle spielen in diesem neuen Schulterschluss für mehr Wohnraum, der auch altersgerechte und soziale Aspekte berücksichtigt, denn nun die Autos? Sie sind nicht mehr zum individuellen Mehr-Stunden-Transport zwischen Arbeitsplatz und zu Hause da, sondern dienen im Sinne kooperativer Beförderungsmodelle dazu, verschiedene Stadt-, Arbeits-, Bildungs- und Wohnräume in eindeutig knapperen Zeiträumen zu verbinden.    

Vielleicht hätte sich Heinrich Pachl, der 2012 früh verstorben ist, längst an die sogenannten Ausfallstraßen oder großen U-Bahnhöfe gestellt und dort gefragt: »Wissen Sie, warum ich jetzt hier aus der Stadt wegmuss? Wieso kann ich nach dem Arbeiten nicht hierbleiben und hier wohnen?« An der Antwort wird gerade in diversen Stadtverwaltungen mit klugen, mobilen Köpfen gebastelt. 

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