Kanzleien wappnen sich für die (KI-)Zukunft – kommt die Justiz mit?
Die Welt des Rechts kann sich manchmal anfühlen wie eine Zeitreise in die Vergangenheit. Besonders die Justiz hat den Ruf, weit hinter modernen Standards zurückzubleiben – ein Zustand, den der Deutsche Anwaltverein (DAV) ändern will.
Viele Anwältinnen und Anwälte stellen sich schnell auf neue Entwicklungen und technischen Fortschritt ein. Schließlich müssen Kanzleien auch wirtschaftlich denken – Prozessoptimierung und Effizienzsteigerung sind deshalb für Anwältinnen und Anwälte von großer Bedeutung.
Gerade auf diese zwei Anliegen zahlen die Digitalisierung und die künstliche Intelligenz ein. Das Thema ist omnipräsent.
Der Berufsstand arbeitet schon seit Jahren mit dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) digital (und ist dazu auch verpflichtet). Gleichzeitig kämpft die Justiz weiter mit der flächendeckenden Einführung der elektronischen Akte. Jüngst wurde bekannt, dass die elektronische Gerichtsakte, die eigentlich ab Januar 2026 überall vorgeschrieben wäre, nun doch noch ein weiteres Jahr herausgeschoben werden soll. Dabei würden auch in der Justiz viele gern schneller und moderner arbeiten. Es bleibt zu hoffen, dass der nun beschlossene Pakt für den Rechtsstaat, der auch Investitionen in die Digitalisierung enthält, und die von Bund und Ländern beschlossene gemeinsame KI-Strategie zu einer Beschleunigung der Digitalisierung der Justiz führen. Es soll eine KI-Plattform eingeführt werden, auf der alle bisher in den einzelnen Ländern entwickelten KI-Applikationen für die Justizmitarbeitenden aller Länder zur Verfügung stehen, um Doppelarbeit zu vermeiden und Tools zu teilen. Das ist der richtige Weg.
Andererseits besteht Zurückhaltung bei der Einführung dringend nötiger Modernisierungen, hinsichtlich der Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung sogar eine Blockadehaltung. Bis heute gibt es von Strafprozessen in der Regel weder ein Wortprotokoll noch eine Audio- oder Videoaufzeichnung, die Verfahrensbeteiligten müssen sich also auf die eigenen Mitschriften stützen. Dabei wäre es technisch längst möglich, die Verhandlungen aufzuzeichnen und automatisch von einer Software transkribieren zu lassen. Dies würde auch zu einer Arbeitserleichterung für die Richterinnen und Richter führen. Alle diese Entwicklungen werden bereits überholt: KI-Sprachmodelle werden stetig weiterentwickelt und sind zu immer neuen Leistungen fähig.
Ist das eine Gefahr für die Rechtsbranche? Nein, es ist ein Gewinn. Den Anwalt oder die Anwältin kann eine KI nicht ersetzen und wird es auch nicht. Aber KI kann die Arbeit der Anwältinnen und Anwälte unterstützen und erheblich erleichtern sowie effizienter machen.
KI wird in Zukunft sogar noch von wachsender Bedeutung sein. Das Anwaltsblatt hat ihr in diesem Jahr ein ganzes Heft gewidmet und greift das Thema immer wieder auf. Der Deutsche Anwaltverein hat im Juli ermittelt, welche konkreten Anwendungsfälle es schon heute für KI-Tools gibt. Es sind häufig zeitfressende Fleißarbeiten, bei denen die KI besonders hilfreich ist, jene Dinge also, die keine juristische Ausbildung erfordern, aber trotzdem gemacht werden müssen. Textrecherchen, Dokumentenanalyse in Due-Diligence-Prozessen, die Zusammenfassung komplexer Inhalte oder die Transkription und Protokollierung von Gesprächen sind nur einige der Use-Cases. Hinzu kommen Einsatzmöglichkeiten in der Öffentlichkeitsarbeit oder für Übersetzungsarbeiten.
Für Juristinnen und Juristen bringt das einen besonderen Mehrwert. Der Workload, der auf Standardtätigkeiten, Verwaltungs- und Büroarbeit entfällt, lässt sich mit KI-Unterstützung deutlich reduzieren. Nicht nur bei Anwältinnen und Anwälten, sondern auch beim übrigen Kanzleipersonal werden so dringend benötigte Kapazitäten frei. Wir dürfen nicht vergessen, dass den juristischen Berufen eine gewaltige Pensionierungswelle bevorsteht. Wenn diese den Arbeitsmarkt trifft, wird es sich auszahlen, dass Juristinnen und Juristen ihre Arbeitszeit verstärkt ihren Kerntätigkeiten widmen können und weniger mit administrativen Aufgaben beschäftigt sind.
Der DAV hat in seiner Stellungnahme Nr. 32/2025 aufgezeigt, dass und wie sich KI-Tools nutzen lassen, ohne gegen anwaltliches Berufsrecht, AI Act, Datenschutz- und Urheberrecht zu verstoßen. Dass dabei sorgfältig gearbeitet werden muss und Berufspflichten wie die Verschwiegenheitspflicht beachtet werden müssen, ist selbstverständlich.
Wichtig ist die Auswahl der richtigen Programme. Viele Sprachmodelle werden in der Cloud angeboten – die Arbeit mit ihnen ist berufsrechtlich erlaubt, sofern sich der Dienstleister zur Verschwiegenheit gemäß § 43 e BRAO verpflichtet hat. Dies bieten zwar noch nicht alle Cloud-Anbieter an, der Vorstand des DAV hat jedoch bereits beschlossen, mit Anbietern dazu in Gespräche zu gehen.
Die Rechtsbranche, das muss uns klar sein, kommt nicht an KI vorbei. Wir dürfen sie aber auch nicht sorglos überall einsetzen, wo es im ersten Moment opportun scheint. Stattdessen gilt es, sich die neuen Möglichkeiten überlegt und zielgerichtet zunutze zu machen, um die Qualität von Rechtsdienstleistungen zu steigern. Hier ist ein konstruktiver Austausch wichtig. Die Möglichkeit dazu schafft der DAV im Rahmen von Fachveranstaltungen wie seinen KI- und Datenschutz-Foren.
Text Dr. Sylvia Ruge, DAV-Hauptgeschäftsführerin
Schreibe einen Kommentar