justitia vor digitalem hintergr (konzept eines anwalts  künstlicher intelligenz). symbolbild legal tech
iStock/Pitiphothivichit
Deutschland Künstliche Intelligenz Recht

Legal Tech: Der Anwaltsberuf im Wirbelwind der KI

25.09.2025
von SMA
Patrick PriorKI-Experte, Keynote Speaker, Jurist, Buchautor und Verleger des ­Legal Tech Verzeichnis Magazins

Patrick Prior
KI-Experte, Keynote Speaker, Jurist, Buchautor und Verleger des ­Legal Tech Verzeichnis Magazins

Wird es in zehn Jahren noch Anwältinnen und Anwälte geben? Viele Jahre lang wäre diese Frage völlig absurd gewesen. Eine erste Erschütterung des Glaubens an die Unersetzbarkeit der Anwaltschaft kam aber um das Jahr 2016 auf, als der Begriff »Legal Tech« aus den USA herüberschwappte. Mit Legal Tech bezeichnete man moderne Software für Juristinnen und Juristen, die ihre Arbeit, zumindest in Teilen, automatisieren konnte und damit der bisher erhältlichen Software weit voraus erschien. Die Begriffe Low-Code und No-Code wurden einer breiten Masse von Juristen bekannt und viele Legal-Tech-Konferenzen schossen aus dem Boden und brachten den Rechtsmarkt in einen Technologiehype. Zum ersten Mal waren Juristen mit Hoodies und Tablets unter dem Arm angesehener als ihre Kolleg:innen in Business-Kostümen und Anzügen. Auf diesen Branchentreffen wurde damals erstmalig die Frage diskutiert, ob Software in den nächsten Jahren Anwälte ersetzen könnte.

Die Meinungen darüber waren sehr unterschiedlich. Manche sahen einen echten Ersatz des Berufs durch Software kommen, andere meinten, ihre Arbeit sei niemals durch eine Software zu ersetzen, da viel zu speziell. Die Mehrheit war sich einig darüber, dass zumindest Teile der Arbeit automatisiert werden, und daher besorgt um einen kommenden Verfall des Stundensatzes, da kein Mandant 400 Euro pro Stunde bezahlen würde, wenn dieselbe Arbeit von einem Computer in Sekundenschnelle erledigt werden kann. Gemäß Gartner Hype Cycle folgt auf jeden Höhepunkt der überhöhten Erwartungen ein Tiefpunkt der Desillusionierung und genau so traf es auch ein. In den Jahren 2018 bis 2022 gab es zwar weiter Fortschritte im Bereich Legal-Tech-Software, allerdings nicht annähernd in eine Richtung, die einen Anwalt jemals ersetzen könnte.

Dies änderte sich Ende 2022 mit der Veröffentlichung von ChatGPT. Erstmals konnte man einer Software juristische Fragen stellen und diese gab tatsächlich ausführliche und halbwegs sinnvolle Antworten. Natürlich waren diese alles andere als perfekt und vor allem das Problem der Halluzinationen, also des Erfindens von z. B. Gerichtsurteilen oder Literaturverweisen, war ein großes Problem. Trotzdem war der Effekt auf die Branche immens! So schlecht waren die Antworten oftmals nicht und wer sich mit besseren Eingaben, also dem professionellen Prompten, beschäftigte, konnte auch deutlich bessere Ergebnisse erzielen.

Manche Jurist:innen waren nun tatsächlich davon überzeugt, nur noch wenige Jahre Arbeit vor sich zu haben, bis die KI vollständig übernimmt. Sarkastisch wurde diskutiert, ob man in Zukunft nicht mehr den Stundensatz des Anwalts abrechnen wird, sondern die Leistung des KI-Prozessors in Teraflops, also der Maßeinheit für die Rechenzeit eines Computers. Und auch Anbieter von juristischen Datenbanken und juristische Verlage sahen sich erstmalig in Konkurrenz zu US-amerikanischen KI-Konzernen.

Aber ist es wirklich realistisch, dass es in zehn Jahren keine Anwältinnen und Anwälte mehr geben wird? Höchstwahrscheinlich nicht. Denn zunächst müsste die KI deutlich besser werden, um den Beruf des Juristen wirklich ersetzen zu können. Dies könnte der Fall sein, wenn wir AGI, also Artificial General Intelligence, erreichen. Diese KI wäre dann so gut wie der beste Anwalt der Welt, nur unbeschreiblich viel schneller. Wann wir AGI erreichen, ist stark umstritten. Die Mehrheitsmeinung der Experten geht davon aus, dass dies in den Jahren 2040 bis 2050 passieren könnte. Die KI in zehn Jahren wird daher wohl noch nicht die kognitive Fähigkeit haben, einen Anwalt vollständig zu ersetzen.

Aber selbst wenn AGI existiert, ist immer noch fraglich, ob ein Mandant seinen Fall überhaupt einem großen KI-Konzern anvertrauen möchte, der dann auch Zugriff auf juristische Datenbanken bräuchte, wie gut die KI strategisch berät und wie weit der menschliche Vertrauensfaktor in echte Beratung und der psychologische und empathische Beistand einer Anwältin oder eines Anwalts durch eine Software ersetzt werden kann.

Ein weiterer Punkt, der gegen die Ersetzung spricht, sind regulatorische Fragen. Aktuell wäre es einer KI gar nicht erlaubt, einen Mandanten vor Gericht jenseits der Höhe der Instanz des Amtsgerichts zu vertreten, und die KI könnte auch keine Akteneinsicht erhalten. Auch die Demografie – viele Anwälte gehen bald in den Ruhestand und es kommen deutlich weniger nach – spricht für die Berufsausübung eines Anwalts in zehn Jahren.

Die KI wird den Anwalt also nicht so schnell ersetzen, den Beruf allerdings völlig verändern. Der Anwalt in zehn Jahren wird täglich mithilfe von künstlicher Intelligenz arbeiten und wer sich dieser Hilfe versagt, wird kaum mehr am Rechtsmarkt bestehen. Er wird dabei immer mehr zum »Human in the Loop«, also zur Kontrollinstanz der KI, die immer mehr Aufgaben übernehmen wird, wie z. B. Vertragserstellung, Dokumentenanalyse, Recherche und die Erstellung von Schriftsätzen. Die Anwältin oder der Anwalt überprüft, korrigiert, entscheidet und trägt somit weiterhin die volle Verantwortung.

Da sich auch Rechtsabteilungen der KI bedienen und damit deutlich fähiger werden als heute in ihrer Tiefe und Breite der juristischen Aufgaben, müssen sich auch die Wirtschaftskanzleien anpassen in ihrer Beratung gegenüber Unternehmen. Hier steht vor allem die persönliche Beratung und die möglicherweise eigenen und überlegenen Kanzlei-KI-Systeme, trainiert durch die gesammelte Erfahrung der Kanzleianwälte, im Vordergrund.

Für kleinere Kanzleien könnte es allerdings deutlich schwieriger werden. Simple Verträge aufsetzen und einfach gelagerte Rechtsfragen beantworten wird die KI in zehn Jahren können. Und wenn die Höhe des Streitwertes im Rahmen des Amtsgerichts liegt, wird es genug Fälle geben, bei denen sich der potenzielle Mandant mithilfe von KI einigermaßen gut vor Gericht selbst verteidigen kann. Überall, wo aber echte persönliche und erfahrene Beratung im Vordergrund steht und nicht nur das schnelle Aufsetzen eines Schreibens mit dazugehöriger Kostennote, wird der Anwalt gebraucht und durch KI sogar deutlich fähiger, günstiger und effektiver werden.

Text Patrick Prior

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Vorheriger Artikel Kanzleien wappnen sich für die (KI-)Zukunft – kommt die Justiz mit?
Nächster Artikel Trade and Defence, ein ganz besonderer Markt