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Mit 40 in Rente gehen?

20.11.2020
von Fatima Di Pane

Eine Internetbewegung namens FIRE nimmt es sich zum Ziel, möglichst früh in Rente zu gehen. Marc Pittet gehört dazu und erzählt im Interview von seinen Werten und was er im Ruhestand machen möchte. 

Marc, dein grosses Ziel ist es, mit 40 in Rente zu gehen. Warum?  

Die kurze Antwort lautet: Freiheit und Unabhängigkeit. Jeden Morgen eine Wahl zu haben, was ich mit meinem Tag tun möchte, völlig unabhängig von Geldfragen.

Wie bist du zu diesem Ziel gekommen? Warst du unglücklich?

Viele Menschen entwickeln dieses Ziel, weil sie ihre Jobs oder ihre Lebenssituation nicht mögen. Andere haben einen Traum, den sie mithilfe finanzieller Unabhängigkeit erreichen wollen. Ich gehöre eher zur zweiten Gruppe.

Meine Frau und ich wollten schon immer ein Eigenheim kaufen. Dafür wäre eine Anzahlung von 140 000 Franken nötig gewesen. Eines Tages rechneten wir unser kombiniertes Vermögen zusammen, inklusive der zweiten Säulen, und erreichten knapp 50 000 Franken. Das war ein Schock! Wir wussten, dass wir etwas ändern mussten, wenn wir unser Ziel erreichen wollten. Also stellten wir ein Budget auf. Als Geek begann ich sofort nach Budgetsoftwares zu suchen. So stolperte ich dann über die FIRE-Bewegung, deren Ziel es ist, früh in Rente zu gehen. Mein Interesse war schnell geweckt.

Um früh in Rente gehen zu können, leben du und deine Familie einen frugalen Lebensstil. Was bedeutet das?

Für uns bedeutet das, bewusst mit unserem Geld umzugehen. Zuvor haben wir von Lohn zu Lohn gelebt; was auf dem Bankkonto übrig war, wurde ausgegeben. Wir waren damals sehr im Konsumismus-Denken und dachten, dass Geld ausgeben glücklich macht.

Wir haben begonnen darüber nachzudenken, was unser Leben wirklich erfüllt und wie wir als Konsequenz dessen mit unserem Geld umgehen. Wir geben kein Geld mehr aus für Dinge, die wir nicht wirklich wertschätzen. Zum Beispiel haben wir kein TV-Abo mehr und grosse Ausgaben wie die Krankenversicherung und Internetanschluss sind optimiert. Früher hatten wir auch zwei Autos, obwohl das weder nötig noch effizient war.

Es ist aber wichtig, zwischen sparsam und geizig zu unterscheiden. Wir sparen nicht um jeden Preis Geld, sondern geben nur dann Geld aus, wenn es uns das wirklich wert ist. Wenn mich das Abendessen im Restaurant mit Freunden glücklich macht, dann gebe ich gerne dafür Geld aus.

Hast du manchmal Angst, etwas zu verpassen, weil du dir zu wenig gönnst?

Nein. Ich lebe den Lebensstil, den ich für richtig halte und mit dem ich glücklich bin. Man muss aber auch sagen, dass meine Familie und ich den FIRE-Lifestyle nicht so radikal leben. Da gibt es ganz andere Beispiele. Wir sind eher ausgeglichen.

Merken deine Kinder, dass eure Familie anders mit Geld umgeht?

Ich glaube nicht. Es ist ja nicht so, dass sie uralte Kleidung tragen oder so. (lacht) Sie merken aber schon, dass wir kritisch gegenüber Verschwendung und Überfluss sind. Wir finden es nicht gut, zu viele Dinge zu besitzen. Diese Werte geben wir ihnen auch mit. Mein Sohn ist zehn Jahre alt, manche Kinder in seiner Klasse haben bereits ein Smartphone. Das finden wir nicht gut, also bekommt er auch keines. Da geht es aber mehr um Werte, nicht um Geld. Ansonsten unterscheiden wir uns nicht sehr von anderen Familien. Wir leben ja nicht in einem Zelt im Wald. (lacht)

Mein Sohn ist zehn Jahre alt, manche Kinder in seiner Klasse haben bereits ein Smartphone. Das finden wir nicht gut, also bekommt er auch keines. Marc Pittet

Welchen Einfluss hat dieser Lebensstil auf dein soziales Umfeld?

Meine Familie teilt meine Werte. Mit Freunden ist es manchmal eher ein Problem. Aber glücklicherweise leben wir auf dem Land. Hier ist es normaler, sich beieinander Zuhause zu treffen, als ständig in Restaurants und Cafés zu gehen.

Um mehr zu Sparen und investieren zu können, verzichtest du auf vieles. Wird man nicht müde davon, ständig zu verzichten?

Nein, weil ich so überzeugt davon bin, dass Geld ausgeben mich einfach nicht glücklich macht. Es ist aber auch so, dass meine Frau und ich da verschieden sind. Ich verzichte gerne mehr; sie unternimmt gerne mehr. Aber über kleinere Beträge wie 30 Franken diskutieren wir auch nicht. Wir machen Kompromisse. So erhalten wir auch eine gute Balance. Ohne meine Familie wäre ich im Sparen um einiges extremer!

Um finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen, musstest du dir viel Wissen über Finanzen aneignen. Wie hast du das gemacht?

Meine erste Anlaufstelle waren Blogs und Online-Communitys. Dort tummeln sich viele Menschen mit einer Leidenschaft für die Thematik. Dort habe ich alle Basics zu Personal Finance und zum Investieren gelernt.

Der grösste Stolperstein für mich war, dass die meisten Ressourcen sich auf die USA bezogen, dort begann die FIRE-Bewegung schon in den 1990-Jahren. In den USA werden Themen wie Vorsorge und Rente natürlich ganz anders gehandhabt als hier. Über die Schweiz habe ich aber nichts gefunden.

In den USA werden Themen wie Vorsorge und Rente natürlich ganz anders gehandhabt als hier. Marc Pittet

Darum habe ich meinen eigenen Blog und das dazugehörige Forum gegründet, um über das Thema im Schweizer Kontext zu sprechen. Die Mischung aus Lektüre, aber auch aktiv über FIRE zu schreiben und mich mit Menschen auszutauschen, hat mir sehr geholfen. Beispielsweise habe ich auf dem Blog transparent gezeigt, wie ich meine Steuern mache. Daraufhin haben sich Leute gemeldet und mir erklärt, wie ich das optimieren kann. So lernt man unglaublich viel.

Viele Menschen empfinden die Finanzwelt als nur schwer verständlich, wollen aber ähnliches erreichen wie du. Was empfiehlst du diesen Menschen?

Ich würde jedem empfehlen, eine von den folgenden zwei Methoden umzusetzen. Beispielsweise setzt man ein Budget mit allen Ein- und Ausgaben auf. Man plant alle seine Ausgaben für den Monat, auch die Freizeit. Der ganze Rest wird gespart. So ist man schon ein ganzes Stück besser dran, als die Leute, die von Lohn zu Lohn leben.

Eine andere Herangehensweise ist die «Pay-yourself-first»-Methode. Wenn du deinen Lohn bekommst, gibst du direkt 10-25 Prozent in dein Sparkonto, und davon auch einen Teil in ein Investmentkonto. Und mit dem Rest kannst du machen, was du willst.

Momentan arbeite ich auch an einem Onlinekurs, wo man die FIRE-Basics lernen kann. Dieser wird voraussichtlich 2021 zugänglich.

Was ist der grösste Fehler, den Menschen in der privaten Finanzplanung machen?

Sie nehmen sich zu wenig Zeit und setzen sich zu schnell zu grosse Ziele. Es ist ein langer Prozess, und es gibt eine Menge zu lernen. Man muss sich die Zeit nehmen, und akzeptieren, dass gewisse Dinge ein bis zwei Jahre dauern können.

Kleine Schritte sind besser als drastische Veränderungen.

Welche Pläne hast du für die Zeit ab 40?

Ich würde gerne mit meiner Familie reisen, am liebsten drei bis sechs Monate im Jahr. Wir mögen langsames Reisen und nehmen uns gerne viel Zeit für einen Ort.

Auch möchte ich mich gerne verstärkt in humanitären Projekten beteiligen.

Im Alltag möchte ich mehr Zeit mit lesen und schreiben verbringen. Als Kind habe ich sehr gerne geschrieben; durch den Blog habe ich diese Leidenschaft wiederentdeckt. Ich kann mir auch vorstellen, Bücher zu schreiben.

Es würde mir auch Freude machen, ein Unternehmen zu gründen und coole Dinge zu entwickeln, ohne den Druck zu verspüren, damit Geld verdienen zu müssen. Einfach tolle Sachen entwickeln, die etwas in der Welt bewegen könnten. Das würde mir gefallen.

Marcs Blog über finanzielle Unabhängigkeit ist zu finden unter mustachianpost.com/de.

Infos zu Marcs Buch Frei mit 40 in der Schweiz sind zu finden unter mustachianpost.com/de/buch

Interview Fatima Di Pane

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