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Stress: «Es geht um bewussten Konsum»

12.11.2020
von Patrik Biberstein

Mit «Fokus» spricht Rapper Stress im Zuge der «More Fresh, less trash»-Kampagne über Nachhaltigkeit – sowohl beim Wohnen als auch generell.

Stress, die Kampagne «More Fresh, less trash» von Bosch, deren Hauptdarsteller du bist, ist momentan omnipräsent. Welche Rolle nimmt denn Nachhaltigkeit in deinem Leben ein?

Wenn man mal begreift, was Nachhaltigkeit wirklich heisst, merkt man, dass dieses Thema in jedem Teil des Lebens eine Rolle spielt. Als Künstler denke ich beim Schreiben meiner Musik über Nachhaltigkeit nach, im Sinne von «Welche Art von Songs will ich eigentlich Schreiben?». Nachhaltigkeit ist meiner Meinung nach, eine Attitude; für mich persönlich geht das von meiner Ernährung über wie und was ich schreibe bis hin zu meinem Auto oder wie ich mein Haus heize.

Was konkret beachtest du denn bei diesen Aspekten?

Das beginnt bereits bei mir zu Hause, denn mein Haus beheize ich mittels einer Erdsonde. Ausserdem fahre ich ein Elektroauto. Ansonsten versuche ich zudem, so oft wie möglich mit dem Zug zu reisen. Ich achte darauf, clever einzukaufen: nur das, was ich wirklich brauche und wenn möglich regionale oder Bio-Produkte. Auch bei der Ernährung gebe ich Acht – ich bin zwar kein Vegetarier, aber ich habe meinen Fleischkonsum reduziert und angepasst. Ich versuche, wenn ich mal Fleisch esse, Fleisch zu konsumieren, welches nicht so viel Ressourcen verbraucht. Beispielsweise esse ich eher Poulet als Rind oder Kalb. Am Ende des Tages gehört viel Reflektieren dazu; Nachhaltigkeit betrifft so gut wie jeden Aspekt unserer Leben und vieles ist miteinander verknüpft. Schlussendlich muss man nur die richtigen Entscheidungen treffen!

Ausserdem fahre ich ein Elektroauto. Ansonsten versuche ich zudem, so oft wie möglich mit dem Zug zu reisen. Stress

Wenn du mit anderen über Nachhaltigkeit sprichst: Was sind dabei die nervigsten Ausreden, wieso jemand angeblich nicht nachhaltig leben kann?

Es gibt viele Menschen, die nicht einmal Ausreden suchen. Kleines Beispiel: Ich habe eine Reportage gesehen, welche gezeigt hat, dass der
menschliche Körper eigentlich gar kein Fleisch bräuchte und dass es zudem gesünder wäre für uns, immerhin weniger Fleisch zu essen. Ich habe das später einem Freund von mir erzählt. Er meinte daraufhin, das sei ihm egal, er möge Fleisch einfach zu sehr, um den Fleischkonsum einzuschränken und werde weiterhin so viel konsumieren. Und genau das ist meiner Meinung nach das zentrale Problem – diese Ignoranz, diese Arroganz und dieser Egoismus, Dinge zu konsumieren obwohl man genau weiss, dass sie Schaden anrichten – einfach, weil man will.

Es gibt viele Menschen, die nicht einmal Ausreden suchen. Stress

Schlussendlich ist es aber auch ein Wahrnehmungsproblem: Wir müssen nicht den Planeten retten – er wird mit oder ohne uns weiterexistieren. Denn was wir retten müssen, ist unseren Platz auf diesem Planeten. Was die Leute nicht verstehen, ist, dass wir mit unseren Taten unsere Daseinsgrundlage hier zerstören. All diese egoistischen Denkweisen, wie zum Beispiel «Ich will aber dieses Auto fahren, ich habe ja schliesslich hart dafür gearbeitet», stören mich – nicht, wenn jemand Ausreden erfindet.

Denn wenn jemand Ausreden sucht, dann zeigt das immerhin, dass die Person sich des Problems bewusst ist und es versteht. Viele Menschen denken nicht gerne allzu weit, vielleicht, weil es ihnen Angst macht und es unangenehm ist. Und das ist Teil der Herausforderung, welche das Klima-Problem darstellt; es ist etwas, das nicht ganz greifbar ist, weil es ziemlich weit weg ist aber trotzdem nicht so weit weg. Es betrifft die Menschen von heute – aber vielleicht nicht sie direkt, sondern erst ihre Kinder.

Dabei wird eine Schwachstelle unserer Kultur sichtbar: In den letzten Jahrzehnten haben wir eine narzisstische Kultur entwickelt; die Menschen sind selbstsüchtig geworden. Sie haben zudem das Gefühl, gewisse Dinge zu besitzen stehe ihnen einfach zu. Aber das ist falsch. Das soll nicht heissen, die Leute würden es nicht verdienen, aber das Problem ist, dass wir es uns nicht erlauben sollten.

StressHast du praktische Tipps puncto Nachhaltigkeit im Alltag für unsere Leserschaft?

Es reicht, sich ein wenig für Dinge und Produkte zu interessieren, sich damit auseinanderzusetzen, was unsere Taten für Auswirkungen haben. «Was geschieht, wenn ich das wegwerfe?» «Was unterstütze ich, wenn ich dieses Produkt kaufe?» Das geht in dieselbe Richtung, wie die Konzernverantwortungsinitiave, über welche wir ja am 27. November abstimmen.

Denn du kannst dich nicht gegen aussen abschotten und dich nur um deine eigene Community kümmern, heutzutage ist ja alles miteinander verknüpft. Wenn du dieses iPhone kaufst, dann gibt es Schweizer Firmen, die mitverantwortlich für die Ausbeutung von Kindern in den Minen sind, denn sie kaufen den Rohstoff und verkaufen ihn weiter an Apple.  Ich weiss, dass das Ganze überwältigend und unangenehm sein kann – manchmal möchte man einfach geniessen. Aber wenn wir ehrlich zu uns sind, dann sind die Zeiten des reinen Genusses vorbei, und zwar weil wir so verantwortungslos agierten in der Vergangenheit. Man muss jetzt Prioritäten setzen: Will man einfach für sich selbst eine angenehme Zeit oder wollen wir auch unseren Nachfahren eine Chance geben zu leben?

Du warst immer bekannt als jemand, der sich für die Umwelt einsetzt; zum Beispiel mit dem Lied «on a qu’une terrre» im Jahr 2007. Wie ist diese Umweltbewusstheit zustande gekommen?

Wenn man ein wenig gebildet ist – und zwar nicht im akademischen Sinn, sondern durch eigenes Interesse – dann sieht man, dass sich der Planet verändert und dass es Probleme gibt. Zu der Zeit als mir das bewusst geworden ist, war ich noch mit Melanie (Winiger, Anm. d. Red.) zusammen. Sie hat einen Sohn, der war damals etwa fünf Jahre alt. Da wurde mir klar, dass wir für die zukünftigen Generationen etwas ändern müssen. Ausserdem wurde mir bewusst, dass dies für die Politik gar nicht so einfach ist, denn hier in der Schweiz ist es ja praktisch Teil des Berufes, Kompromisse einzugehen.

Will man einfach für sich selbst eine angenehme Zeit oder wollen wir auch unseren Nachfahren eine Chance geben zu leben? Stress

Also fand ich, war es an mir, das Problem offen anzusprechen, was zur Kampagne mit Coop geführt hat. Ich wurde oft gefragt, warum ich mit Coop gearbeitet habe und nicht beispielsweise dem WWF. Das Ergebnis hat mir jedoch recht gegeben: Wir hatten einen riesigen Impact. Und das ist am Ende das, was zählt. Wenn ein so grosses Unternehmen beginnt, verantwortungsvoll zu denken und handeln sowie bestimmte Werte zu promoten, auch wenn es zu ihrem eigenen Nutzen ist, machen sie das Richtige. Und das ist das Wichtige.

Als letztes Jahr die ganze «Fridays for Future»-Bewegung aufgekommen ist, hat mich das sehr gefreut. Es war schön zu sehen, dass mittlerweile eine gewisse Sensibilität für das Thema da ist. Ich meine, damals 2007 habe ich genau dieselben Themen angesprochen, aber es hat jetzt trotzdem mehr als zehn Jahre gedauert, bis das Thema die nötige Aufmerksamkeit bekommt. Natürlich freut es mich, dass die Jungen sensibilisiert sind für das Thema, aber es ärgert mich, dass wir zehn Jahre im Kampf gegen den Klimawandel «verschwendet» haben.

«On a qu’une terre» erschien vor 13 Jahren. Was hat sich seither hier in der Schweiz getan puncto Nachhaltigkeit? Sind wir auf dem richtigen Weg?

Wir sind zu spät. Aber immerhin reden wir darüber und versuchen unseren Teil zur Lösung beizutragen. Problematisch sind aber Länder wie die USA, deren aktueller Präsident den Klimawandel nicht akzeptiert – nicht einmal wenn die gesamte Westküste in Flammen aufgeht. Denn meiner Meinung nach war die Schweiz schon immer ein Land, das wohl überlegt handelt. Natürlich gibt es dahingehend also Dinge, die wir gut machen.

https://www.youtube.com/watch?v=LivrlU_bmm0

Zudem hat die Schweizer Bevölkerung auch die Mittel und Wege, um zu entscheiden und etwas zu ändern; wir sind kein Land, in welchem die Leute von der Hand in den Mund leben und es sich nicht leisten können, über Sachen wie Nachhaltigkeit nachzudenken. Das Problem ist in den grösseren Ländern – dort muss dieser Gedankengang auch einsetzen. Aber letzten Endes muss Veränderung ja irgendwo beginnen und meistens beginnt man im Kleinen.

In deinem Arbeits- und auch deinem Privatleben musst du oft reisen auch mit dem Flugzeug. Wie lässt sich das mit einem nachhaltigen
Lebensstil vereinbaren?

Wir versuchen natürlich, so selten wie möglich zu fliegen; es gibt ja auch noch den Tourbus und Züge. Das ist meiner Meinung nach auch
genau der springende Punkt: Wir müssen die Gesellschaft nicht grundlegend verändern, um dem Klimawandel beizukommen. Es gibt so viele Dinge, die heute als selbstverständlich angesehen werden – wie das Fliegen zum Beispiel – bei welchen wir uns fragen sollten, ob wir es tatsächlich brauchen. Es geht nicht darum, nie mehr Steaks zu essen, nie mehr im Ausland Ferien zu machen oder was auch immer. Vielmehr geht es darum – wenn man solche Dinge konsumiert – sich bewusst zu sein, was das für einen Impact hat; es geht um bewussten Konsum.

In der Bosch-Kampagne geht es darum, mit der richtigen Technologie Foodwaste vorzubeugen. Was tust du selbst konkret, um weniger Essen entsorgen zu müssen?

Ich wohne nur drei Gehminuten entfernt von einem Supermarkt. Das erlaubt es mir, einfach jeden Tag das einzukaufen, was ich gerade brauche. So muss ich nicht für eine ganze Woche einkaufen und vorausplanen. Das einzige was bei mir ab und an mal übrig bleibt, ist Brot – und hierfür habe ich ein wunderbares Rezept entdeckt: Ich tauche das Brot in Milch und brate es mit Butter in der Pfanne.

Wenn man jedoch zum Beispiel eine fünfköpfige Familie hat und die ganze Zeit arbeiten muss, dann geht das praktisch nicht. Da muss man
vielmehr planen und voreinkaufen. Aber genau deshalb hat Bosch diese Technologie entwickelt; es hält beispielsweise Gemüse viel länger frisch. Und genau so sollte doch Technologie benutzt werden – um Probleme zu lösen. Wenn wir unseren Arsch retten wollen, wird Technologie sehr wahrscheinlich eine extrem wichtige Rolle dabei spielen.

Wir haben bereits über Nachhaltigkeit und nachhaltiges Leben/Wohnen gesprochen, kommen wir nun zum Wohnen per se: Wie würdest du deine Wohnsituation beschrieben?

Ich gebe lieber ein bisschen mehr Geld aus und dafür hat das Produkt dann auch die nötige Qualität, um zehn Jahre oder mehr zu überdauern – bei Möbeln beispielsweise. Lieber kaufe ich etwas Klassisches, Geschmackvolles, das lange hält, als jedem Trend hinterher zu rennen. Denn das ist etwas, das mehr Menschen erkennen könnten; Produkte kaufen, die Qualität haben und funktional sind, anstatt andauernd etwas Neues zu kaufen.

Lieber kaufe ich etwas Klassisches, Geschmackvolles, das lange hält, als jedem Trend hinterher zu rennen. Stress

Wir sollten über oberflächliche Dinge wie die Farbe von Möbeln hinwegsehen; «Oh das ist so ein schöner Stuhl» oder «Oh der Stuhl hat eine schöne Farbe» – ich meine come on guys, es ist ein Stuhl, mehr nicht, sitz darauf oder was auch immer. Aber der Stuhl hat eine Funktion, und die ist es nicht, deine Augen zu unterhalten. Diese ganzen Modesachen sind sicherlich schön aber sie lenken uns auch von den wichtigen Dingen des Lebens ab.

Wenn du dein ideales Zuhause erschaffen könntest – wie sähe das aus und wo wäre es?

Sicherlich wäre es hier in der Schweiz – es ist ein grossartiger Ort zum Leben! Denn wir haben eine hohe Lebens-, Luft- und Wasserqualität; das sind alles Dinge, die wir gar nicht mehr realisieren, wie wichtig sie sind. Wäre ich nicht mehr so beschäftigt mit meiner Musik, hätte ich gerne einen Garten, um dort mein eigenes Essen anzubauen. Was den genauen Standort betrifft, so würde ich gerne diesen Mix, wie ich jetzt im Zollikerberg habe, beibehalten – man ist schnell in der Stadt, aber man wohnt nicht mitten drin.

Stress, beende bitte die folgenden Sätze

Das schönste Zuhause, welches ich je besucht habe, gehört…(überlegt) Es gehört einem Mann namens «Brusti». Er hat ein Haus mitten im brasilianischen Urwald. Das Haus ist komplett geöffnet – es ist eigentlich nur ein riesiges Dach. Ich finde das sehr praktisch und elegant!

Mein Lieblingszimmer bei mir zu Hause ist… Das Wohnzimmer, dort verbringe ich auch am meisten Zeit.

Mein Zuhause wäre nicht das gleiche ohne… mein Studio.

In meinem Kühlschrank hat es immer… Sprudelwasser, ich bin süchtig danach. (lacht) Ich habe mir deswegen ein Gerät gekauft, um selbst welches herzustellen. Ich würde mein Haus mit folgender Person tauschen: Niemandem (lacht)

Mit Marc Sway sass Stress 2013 und 2014 in der Jury von «The Voice of Switzerland». Das Interview mit dem Soul- und Pop-Sänger gibt es hier.

Interview Patrik Biberstein Fotos Cyrill Matter

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