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Cybergrooming: Wenn Onlinechats ernst werden

25.08.2022
von Kevin Meier

Noch immer hält sich die gesellschaftliche Ansicht, dass das digitale Leben kaum etwas mit der Realität zu tun hat. Ein Trugschluss, der zu unüberlegtem oder gar gefährlichem Onlineverhalten führen kann. Das Phänomen des Cybergroomings veranschaulicht die Problematik.

Seit 2010 erhebt die ZHAW alle zwei Jahre repräsentative Daten zur Mediennutzung der Schweizer Jugend und publiziert die Ergebnisse in der James-Studie. 2020 ergab die Untersuchung, dass 92 Prozent der Teenager zwischen 12 und 19 Jahren soziale Netzwerke täglich oder mehrmals pro Woche nutzen. Besorgniserregender ist jedoch der Befund, dass im selben Jahr bereits 44 Prozent online mit sexuellen Absichten kontaktiert wurden.

Eines der verkannten Onlinerisiken ist das Cybergrooming, das vor allem in Chats von sozialen Medien, Onlinespielen und Videoplattformen stattfindet. Das Schweizer Recht kennt keinen kennzeichnenden Artikel für Grooming, da damit verbundene Vergehen bereits durch andere Gesetze abgedeckt werden. Sobald eine sexuelle Absicht gegenüber einem Kind erkennbar wird, befindet man sich im strafrechtlichen Bereich. Nichtsdestotrotz definiert das Bundesamt für Justiz die Erscheinung bezeichnend: «Verhalten von Erwachsenen gegenüber Kindern und Jugendlichen in Chat-Rooms mit dem Ziel, einen sexuell motivierten Kontakt herzustellen. Je nach Fall soll ein Treffen im realen Leben folgen, um das Opfer zu missbrauchen.»

Cybergrooming aus Sicht der Opfer

Beinahe ausschliesslich sind es Männer unterschiedlicher Altersklassen, die Minderjährige mit sexuellen Absichten in Chat-Rooms kontaktieren. Oftmals geben sie sich als Gleichaltrige aus, um schlussendlich missbrauchsabbildendes Material zu erschleichen oder ein Treffen zu organisieren. Dazu bauen sie eine Bindung zum Opfer auf und/oder setzen es unter Druck. Häufig machen Betroffene trotz Bedenken mit, da sie nach mehreren harmlos scheinenden Nachrichten den Eindruck erhalten, es sei zu spät, um den Kontakt abzubrechen. Wurde bereits Bildmaterial ausgetauscht, kommt es in einigen Fällen zu Erpressungen.

Das Thema Cybergrooming sollte auf allen Ebenen zur Sprache kommen und nicht tabuisiert werden.

Da sich bei jungen Menschen die Persönlichkeit und die Sexualität in der Entwicklungsphase befinden, hat Cybergrooming enorme Auswirkungen auf die Opfer – auch ohne physischen Missbrauch. Denn egal, ob in der digitalen oder materiellen Welt, das Phänomen führt zu Belastungen oder gar Traumata, welche den Reifeprozess stören und über Jahre Konsequenzen nach sich ziehen können, wie Schwierigkeiten beim Aufbau von Beziehungen und bei Intimitäten. Die Opfer leiden jahrelang unter den Folgen und benötigen therapeutische Hilfe.

Wer tut so etwas?

Die Vermutung liegt nahe, dass die Täter:innen auf kindliche und jugendliche Körper sexuell ansprechbar sind. Tatsächlich ist dies allerdings bei den wenigsten der Fall. Expert:innen zufolge geht es im Kern meist darum, Macht und Dominanz auszuüben. Die zugrunde liegende Motivation ist demnach nicht unbedingt der Missbrauch, sondern die Manipulation an sich. Dass sie anderen Menschen unsägliches Leid zufügen, verdrängen die Täter:innen mit Rechtfertigungsstrategien. Da in der Gesellschaft der digitale Raum als separiert von der materiellen Welt wahrgenommen wird, können sich die Täter:innen dahinter verstecken: Sie schauen ja nur und alles sei sowieso schon da. Sie belügen sich auf diese Weise selbst, obwohl sie genau wissen, was das Ziel ihrer Kontaktaufnahme ist.

Im Internet wie im realen Leben unterwegs

Man muss sich also klar bewusst sein, dass Onlinechats genauso Einfluss auf die Realität haben wie Gespräche in der physischen Welt. Für Menschen, die eine sexuelle Ansprechbarkeit durch Kinder und Jugendliche bei sich bemerken oder eine Machtausübung wie Cybergrooming verlockend finden, gibt es Hilfestellen, die präventive Therapien anbieten, beispielsweise das Netzwerk «Kein Täter werden Schweiz».

Prävention liegt aber auch auf den Schultern von Gesellschaft, Politik und Schulen. Das Thema Cybergrooming sollte auf allen Ebenen zur Sprache kommen und nicht tabuisiert werden. Grundsätzlich gelten im digitalen Raum dieselben Faustregeln wie im realen Leben: Vorsicht bei Kontaktaufnahmen von Fremden, beim Versand von eigenen Bildern und beim Teilen von persönlichen Informationen. Wenn sich Chats in eine eindeutige oder suggerierte sexuelle Richtung entwickeln, sollte man den Kontakt sofort beenden, das Gespräch dokumentieren und die Polizei einschalten. Diese kann auch präventiv aktiv werden.

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Weitere Informationen für Jugendliche und Erwachsene

tcs.ch

147.ch

projuventute.ch

klicksafe.de

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