Interview von Andrina Brodbeck

«Künstliche Intelligenz wird das menschliche Denken nie ersetzen»

Weshalb sich der Standort Schweiz für Technologieunternehmen eignet, ob Quantencomputing konventionelles Computing ablöst und was ihn an seiner Position als CEO von IBM Schweiz bereichert, erklärt Christian Keller im Interview.

Weshalb sich der Standort Schweiz für Technologieunternehmen eignet, ob Quantencomputing konventionelles Computing ablöst und was ihn an seiner Position als CEO von IBM Schweiz bereichert, erklärt Christian Keller im Interview.

Christian Keller, IBM ist seit 1927 hierzulande tätig und unterhält hier auch ein Forschungslabor. Weshalb ist die Schweiz der richtige Standort für IT-Firmen?

Die Schweiz ist ein sehr interessanter Markt. Als wettbewerbsfähige und offene Volkswirtschaft verfügt sie über globale Top-Unternehmen sowie starke und innovative KMUs. Dazu kommt: Das duale Bildungssystem ist einzigartig und bietet für Technologiefirmen einen attraktiven Skillpool. Es ist kein Zufall, dass aus unserem Forschungslabor vier Nobelpreise hervorgegangen sind. Darauf sind wir ebenso stolz wie auf unsere fast 100-jährige Geschichte in der Schweiz.

Was bereichert Sie an Ihrer Position als CEO von IBM Schweiz besonders?

Es ist die Möglichkeit, einen aktiven Beitrag zum Erfolg der Schweiz beizutragen. Es ist spannend und bereichernd, Unternehmen bei ihrer digitalen Transformation und den Herausforderungen Security und Cloud zu unterstützen. Zudem bringe ich mich in gesellschaftspolitische Diskussionen ein, um Vertrauen in neue Technologien wie künstliche Intelligenz oder Quantencomputing zu fördern.

Laut IBM ist Europa weltweit am zweithäufigsten von Cyberangriffen betroffen. Wie steht es um die Schweiz und was muss getan werden, um die Situation diesbezüglich zu verbessern? 

Wir müssen hier etwas differenzieren. Banken und Versicherungen haben bereits ein hohes Sicherheitsniveau und sind weniger verletzlich als etwa die Industrie oder die Gesundheits- und Energiewirtschaft. Cyberkriminelle finden Einfallstore leider oftmals wegen nicht durchgeführter Software-Updates. Oft fehlt es etwa an einer Zwei-Faktor-Authentifizierung.

Es ist wichtig zu verstehen, dass künstliche Intelligenz menschliches Denken nicht ersetzt, sondern erweitert.

Auch «Zero Trust»-Konzepte sind noch lange nicht überall verbreitet. Sicherheit fängt damit an, dass man niemandem vertrauen soll. Somit sollten die Zugriffsrechte auf das absolute Minimum reduziert werden. Weiter muss man immer davon ausgehen, dass es Sicherheitslücken gibt. Ausserdem ist «secure by design» zentral. Das heisst: Bereits bei der Entwicklung sind Sicherheitsaspekte zu berücksichtigen und nicht erst im Nachhinein.

IBM ist neben Microsoft und Google eines der führenden Unternehmen in Quantencomputing. Werden Quantencomputer in Zukunft Supercomputer ablösen?

Es wird bis auf Weiteres keine Ablösung geben, sondern eine Koexistenz. Es gibt viele Bereiche, in denen die traditionellen Computermodelle bestehen bleiben. Quantencomputing schafft Vorteile bei der Bewältigung grosser Datenmengen und einer Vielzahl von Variablen. Etwa bei komplexen Risikoberechnungen, Optimierungen oder Simulationen in der Forschung. Quantencomputing beschleunigt die Entwicklung neuer Werkstoffe oder Medikamente, um nur zwei IBM-Forschungsschwerpunkte in der Schweiz zu nennen.

Wie vertrauenswürdig ist künstliche Intelligenz?

Es ist wichtig zu verstehen, dass künstliche Intelligenz menschliches Denken nicht ersetzt, sondern erweitert. Nur KI, die transparent und erklärbar ist und die Daten nicht missbraucht, ist vertrauenswürdig. Die Unmengen an generierten Daten kann man mit manuellen Prozessen gar nicht handhaben. Insbesondere in der Cybersicherheit ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz zwingend notwendig, um Abwehrmechanismen zu entwickeln. Auch in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens ist sie bereits aktiv, ohne dass wir es bemerken – etwa beim Sortieren von Mails oder Fotos.

Künstliche Intelligenz befindet sich erst in den Anfängen.

Zertifikate wie das «Digital Trust Label» bezeugen, dass eine KI-Anwendung vertrauenswürdig ist. Menschliches Denken und künstliche Intelligenz werden koexistieren. In Bereichen, in denen Kreativität gefragt ist, ist das menschliche Gehirn der KI klar überlegen. Aber in der Sprachverarbeitung besteht ein grosses KI-Potenzial, das noch lange nicht ausgeschöpft ist. Künstliche Intelligenz befindet sich erst in den Anfängen.

Die Technologie ist ein rasant fortschreitendes Berufsfeld. Wie ist es möglich, da immer Schritt zu halten und innovativ zu sein? 

Eine gute Grundausbildung und konstante Weiterbildung sind der Schlüssel. Die Technologie ist ein unendliches Lernfeld. Bei IBM erwarten wir von allen Mitarbeitenden auf jeder Stufe, dass sie pro Jahr während der Arbeitszeit mindestens 40 Stunden Weiterbildung absolvieren. Wichtig ist aber auch die Zusammenarbeit der Industrie mit Fachhochschulen, Universitäten sowie mit der ETH und EPFL, um neue Ausbildungsprogramme zu entwickeln.

Als CEO von IBM Schweiz brauchen Sie sicherlich manchmal Abstand von der digitalen Welt. Was tun Sie persönlich, um diesen zu erhalten?

Hauptsächlich geniesse ich die Freizeit mit meiner Familie, um abzuschalten. Ich treibe sehr gerne Sport und bin oft in den Bergen unterwegs. Die lassen sich nicht durch die digitale Welt ersetzen. Ausserdem baue ich mir immer wieder Offline-Zeitfenster ein, in denen ich die digitalen Geräte bewusst nicht benutze.

Interview Andrina Brodbeck
Bild Markus Bertsch

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25.03.2022
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