
Marcel Hug
CEO SVIT Schweiz
Die Situation im Mietwohnungssektor der Schweiz ist in der aktuellen politischen Diskussion ein heisses Eisen. Ich plädiere dafür, einen etwas entspannteren Umgang mit dem Thema zu pflegen und den Einzelfokus durch eine offenere Perspektive zu ersetzen. Selbstverständlich gibt es im Wohnbereich Härtefälle. Familien, die sich trotz Vollzeitarbeit kaum eine Wohnung leisten können, sind ein Beispiel dafür. In solchen Situationen müssen Lösungen gefunden werden. Trotzdem ist dies nicht der Normalfall, sondern die Lage auf dem Schweizer Wohnungsmarkt gibt meines Erachtens weniger zum Klagen Anlass, als ich es im öffentlichen Diskurs mit Erstaunen, aber auch einem gewissen Unbehagen mitbekomme. Warum ich hier für einen offeneren Fokus plädiere, begründe ich gerne.
Nachfrage nach Wohnraum: Bedürfnisse der Wohnbevölkerung in der Schweiz
Viele Indikatoren deuten darauf hin, dass die Nachfrage nach Wohnraum in Zukunft nicht abnehmen wird. Die Schweiz erlebt ein anhaltendes Wirtschaftswachstum und zieht Arbeitskräfte aus der ganzen Welt an. Dies führt zu einem Anstieg der Bevölkerungsdichte, was wiederum den Druck auf den Wohnungsmarkt verstärkt. Auch findet eine Binnenwanderung in Richtung der Städte statt und eine Zunahme der Ein-Personen-Haushalte führt dazu, dass wir auch pro Kopf immer mehr Wohnraum «verbrauchen». Wäre der Raumbedarf pro Person in der Stadt Zürich seit den 1980er-Jahren gleich geblieben, hätten wir heute trotz steigender Bevölkerung einen Leerstand von 40 Prozent. Auch der Ausbaustandard der Wohnungen hat sich laufend verbessert. So ist es in neuen Mietwohnungen heute nicht unüblich, dass hochwertige Küchengeräte, zwei Nasszellen, ein eigener Waschturm und Parkett vorgefunden werden. Ganz zu schweigen von den Baukosten, die durch verschiedene Ursachen ständig steigen.
Brauchen wir in Sachen Wohnen eine neue Bescheidenheit?
All das ist nicht zum Nulltarif zu haben. Es erklärt sich aufgrund obiger Ausführungen von selbst, dass die Mietpreise in der Vergangenheit gestiegen sind. Diese Preiserhöhung ist aber nur die Hälfte der Wahrheit. Der andere Teil der Wahrheit ist, dass gefühlt bei Mietwohnungen ausschliesslich auf den Preis geschaut wird und nicht wie sonst üblich auf das Preis-Leistungs-Verhältnis. Oder haben Sie beim Kassensturz schon einmal einen Produkttest für Mietwohnungen gesehen, der auch die Leistung des Produkts Wohnen erfasst (Doppelverglasung, Parkettboden, Waschturm etc.)?
Es braucht meines Erachtens eine neue Bescheidenheit. Wir müssen nicht für die Ewigkeit bauen, wir bauchen auch nicht noch mehr Vorschriften, die beim Bau einer Liegenschaft zu berücksichtigen sind, nur um minimale Restrisiken auszuschliessen. Auch darf man sich die Frage stellen, ob es ein Menschenrecht auf Parkettboden zum Nulltarif geben muss. Und es ist zwar schön, zentral und ruhig zu wohnen. Aber darf darum in städtischen Räumen keine Verdichtung stattfinden? Und zum Schluss auch die Frage: Ist es wirklich völlig unzumutbar, dass man in Volketswil statt in der Stadt Zürich wohnt?
Ein Blick über die Grenzen lohnt sich
Die Schweiz ist ein kleines, wohlhabendes Land. Auch darum lohnt sich der Blick über die Grenzen beim Thema «Wohnen». Tatsächlich ist die Eigentumsquote nirgends in Europa (ja vermutlich auf der ganzen Welt) so tief wie in der Schweiz. Daraus könnte fälschlicherweise geschlossen werden, dass in der Schweiz die Umverteilung von Mieter:innen zu Eigentümer:innen besonders gross sein muss. Um das beurteilen zu können, lohnt sich ein Blick auf die Struktur der Eigentümer von Wohnliegenschaften in der Schweiz. Rund die Hälfte der Wohnliegenschaften gehört sogenannten «institutionellen» Anlegern. Diese sind in der Schweiz häufig Pensionskassen, welche direkt oder indirekt Wohnliegenschaften halten, um eine Rendite zu erzielen. Diese Rendite kommt dann nicht irgendwelchen ausländischen Aktionären (wie dies in anderen Ländern häufig der Fall ist) zugute, sondern der arbeitenden Bevölkerung in Form von Verzinsung ihrer Rentenguthaben. Dies relativiert die Eigentumsquote in der Schweiz doch sehr erheblich.
Ist das «Volk der Mieter» mit der aktuellen Situation zufrieden?
93 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer sind mit ihrer aktuellen Wohnsituation zufrieden. Dies ergab die Immo-Barometer-Umfrage 2024 von Wüest Partner. Rund 47 Prozent der Mietenden geben an, dass es ihnen in ihrer Wohnung sehr gut gefällt, während weitere 46 Prozent ihre Wohnsituation als «ziemlich gut» bewerten. Das sind doch eindrückliche Werte. Offensichtlich macht die Immobilienwirtschaft vieles richtig. Für den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist die Wohnzufriedenheit ein wichtiger Faktor, ist doch das Wohnen ein Grundbedürfnis der Menschen. Es scheinen also in der Schweiz rund ums Wohnen keine solch dramatischen Zustände zu herrschen, wie man meinen könnte, wenn man Nachrichten hört oder Zeitungen liest. Empörung bringt Klicks – die neue Währung der Presseindustrie. Da kann man sie auch einmal künstlich erzeugen.
Der Staat soll die Wohnungsknappheit lösen – kann er das?
Es liegt auf der Hand, dass das Angebot an Wohnraum in der Schweiz aufgrund der beengten geografischen Verhältnisse sehr beschränkt ist. Die Aufgabe des Staates ist es, die Rahmenbedingungen so zu steuern, dass genügend Wohnraum erstellt wird. Dem ist aktuell leider nicht so. Nach Berechnungen des Bundesamts für Wohnungswesen werden jährlich weniger als 50 000 Wohnungen gebaut, obwohl 70 000 benötigt würden.
Was läuft falsch bei «Vater Staat»? Statt sich um optimale Rahmenbedingungen für die Erstellung von Wohnraum zu kümmern, wird auf den Preis fokussiert. Der Preis ist aber nicht der Ansatzpunkt für, sondern das Resultat der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Insofern ist der Staat gefordert, nicht Rendite- und Mietzinskontrollen einzuführen, sondern die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass genügend Anreize und Möglichkeiten bestehen, um neuen Wohnraum zu schaffen und damit das Angebot an Wohnraum zu erhöhen.
Was ist der Schweiz in Sachen Wohnraum zu wünschen?
Neben der Produktion von mehr Wohnraum scheint es mir angebracht, die völlig überhitzte Diskussion zu diesem Thema zu versachlichen und in einen grösseren Kontext zu stellen. Die Schweiz neigt generell dazu, auf sehr hohem Niveau «zu jammern». Ich würde mir wünschen, dass wir wieder weniger jammern und uns dafür auch einmal entspannt am Erreichten freuen!
Text Marcel Hug, CEO SVIT Schweiz
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