Wen Gott strafen will, lässt er in interessanten Zeiten leben. Niemand bezweifelt, dass wir uns heute in »interessanten Zeiten« befinden. Der Wirtschafts- und Rechtsstandort Deutschland steht vor gravierenden Herausforderungen. Die Bundesregierung hat einen Herbst der Reformen versprochen. Das Zeitfenster für Reformen ist eng. Die Digitalisierungsmuffel dürfen nicht gewinnen.
Ob die rasanten Fortschritte in der Entwicklung künstlicher Intelligenz den Beruf des Rechtsberaters eliminieren werden? Unzweifelhaft verändert er ihn fundamental. Kanzleien und Rechtsabteilungen setzen verstärkt auf den Einsatz künstlicher Intelligenz. Deren Einsatz muss – wie im Journalismus – transparent gemacht werden. Solange die künstliche Intelligenz halluziniert, bleibt es ein gelegentlich fehlerhaftes Hilfsmittel. Es wird einen gut ausgebildeten und erfahrenen Juristen geben müssen, der ihre Ergebnisse prüft, ggf. korrigiert oder ergänzt.
Die Haftungsfrage für den Einsatz künstlicher Intelligenz ist noch ungeklärt. Die Unternehmen ahnen häufig die »richtige« Antwort, geben die Frage aber zur Sicherheit an den externen Rechtsberater, der sie dann verbindlich beantwortet. Ist die Antwort unrichtig, springt die Haftpflichtversicherung der Kanzlei ein und ersetzt den entstandenen Schaden. In diesem Dreieck zwischen Mandanten, Kanzleien und Versicherung wird die Verantwortung für den Einsatz künstlicher Intelligenz neu justiert werden. Die Anstrengungen der Kanzleien, ihren Mandanten eigene Software-Lösungen für ihre rechtlichen Probleme anzubieten, sind enorm. Erhebliche Investitionen fließen in die Entwicklung von Use-Cases, die die Bearbeitung rechtlicher Fragen erleichtern und beschleunigen sollen. Legal-Tech-Anbieter sind häufig der natürliche Partner für die Kanzleien. Die finanzielle Belastung der Partnerschaften ist erheblich. Ob diese Entwicklungskosten von den Kunden übernommen werden, ist fraglich. Best-Practice-Lösungen müssen entwickelt werden.
Die Bundesregierung kann sich auf die Wirtschaftskanzleien verlassen.
Viele Kanzleimanager schauen deshalb mit Interesse auf den Einstieg internationaler Investoren in den deutschen Steuerberatungsmarkt. Die Digitalisierung der Arbeit, aber auch die Internationalisierung der häufig mittelständischen deutschen Steuerberatungsgesellschaften ist unterwegs. Dabei werden die Modelle des europäischen Gesellschaftsrechts, meist eine Luxemburger Konstruktion, gewählt, um den Investoren die rechtskonforme Beteiligung zu ermöglichen. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Dezember 2024 hat der nationale Gesetzgeber das letzte Wort. Wird der Fremdbesitz an einer Steuerberatungsgesellschaft (auch über europäische Konstruktionen) untersagt? Diese Diskussion wird im Rechtsmarkt sorgfältig verfolgt werden. Dies gilt insbesondere für die Softwarespezialisten, die im Auftrag der Wirtschaftskanzleien die Lösungen für die digitale Zukunft entwickeln helfen. Gibt es für sie mehr als einen Bonus, nämlich eine echte Partnerschaftsperspektive, wenn sie nicht auch Rechtsanwalt sind?
Ausländische Vertragspartner durften lange auf das Qualitätsversprechen von Law made in Germany vertrauen. Deutsche Gerichte werden den Fall (nach internationalen Maßstäben) schnell und kompetent entscheiden. Für diese Partner der deutschen Wirtschaft bestimmt und zu Recht stolz eröffnen die Bundesländer nun Commercial Courts und Commercial Chambers, in denen englischsprachige Richter verhandeln und entscheiden. Einziger Wermutstropfen: Wieder einmal ist es den Ländern nicht gelungen, sich auf ein bundesweit einheitliches System zu verständigen. Der Föderalismus im Justizbereich sollte den Wettbewerb der Länder beflügeln, nicht aber Insellösungen fördern. Das EfA-Prinzip (Einer für alle) überzeugt erst dann, wenn tatsächlich alle Bundesländer dem Vorbild des gelungenen Prototyps folgen, statt eigenen Vorlieben zu frönen.
Auf die Trägheit der Justiz sollte kein Schuldner bauen dürfen. Der Richter soll (nach dem Vorbild der Schiedsgerichtsverfahren) aktiver Verfahrensmanager nicht nur Entscheider sein. Die Digitalisierung der Justiz, basierend auf einem einheitlichen Justizportal, wird dafür der Schlüssel sein. Damit wird auch der Zivilprozess noch stärker lösungsorientiert sein.
Der Gesetzgeber ist aber auch gefordert, Internal Investigations sinnvoll zu regeln. Wenn die Unternehmen animiert werden sollen, bei (vermuteten) Missständen für Aufklärung (auf eigene Kosten) zu sorgen, muss etwa sichergestellt sein, dass die von den Anwälten ermittelten Aussagen und Ergebnisse nicht beschlagnahmt werden dürfen.
Ein zeitgemäßes Arbeitszeitgesetz ist ein Schlüssel. Die Zeitautonomie der angestellten Mitarbeitenden ist längst Realität in der Wissensgesellschaft. Die Vertrauensarbeitszeit ist gelebte Realität. Jetzt muss nur noch der Gesetzgeber nachziehen. Im Koalitionsvertrag befindet sich bereits eine Idee, wie die überfällige Novellierung umgesetzt werden kann.
Die Bundesregierung kann sich auf die Wirtschaftskanzleien verlassen. Sie werden ihr Know-how und ihre internationale Erfahrung bündeln und konstruktiv einbringen. Unterstützt von 43 General Counsels großer Unternehmen hat sich der Bundesverband der Wirtschaftskanzleien in Deutschland (BWD) seit 2022 als verlässliche Größe etabliert. Aus dem »einfach mal machen« sollte »einfach mal klappen« werden, damit die Zuversicht in den Rechts- und Wirtschaftsstandort Deutschland wieder wächst. Die Anwältinnen und Anwälte in den Wirtschaftskanzleien sind bereit, ihren Beitrag zu leisten. Die Zeiten bleiben interessant.
Text Stefan Rizor, Vorstandssprecher Bundesverband der Wirtschaftskanzleien in Deutschland (BWD) e. V.
Schreibe einen Kommentar